Sonntag, 10. Jänner 1971
Die Wirtschaftsminister trafen sich bei Kreisky, um die nächsten
Aktionen zu besprechen. Für Freitag, den 29. Jänner um 10 Uhr
wurde in die Handelskammer Wien die ökonomische Konferenz einge-
laden. Ich schlug sogar vor, nachdem Kreisky sich für diesen Saal
sich entschieden hat, den Hausherrn Präsident Mitterer meinen
Amtsvorgänger zu ersuchen, die ökonomische Konferenz zu begrüssen.
Kreisky wird versuchen, ob Mitterer zustimmt. Alle Minister
sollen kurzfristig maximal in 10 Minuten darlegen, was sie
vom Wirtschaftsprogramm erfüllt haben, was sie in Angriff genommen
haben und die Perspektive. Kreisky selbst wird den Vorsitz führen,
mit den anderen Präsidiumsmitgliedern der Partei und wird auch
gleichzeitig über ERP Verstaatlichte sprechen, Häuser über den
Arbeitsmarkt, Frühbauer über Verkehr, Moser über Infrastruktur,
Strassen, Lawinenverbauungen und sonstiges, Weihs über die Land-
und Forstwirtschaft, Äusseres über allgemeine Integration, allerdings
wird Kirchschläger nicht daran teilnehmen können und deshalb soll ich
auch über dieses Kapitel sprechen. Androsch selbst über allgemeine
Fragen. Für die Tagung soll ein Pressepapier vorbereitet werden,
jeder Referent muss also 350 Exemplare Konferenzunterlagen zur
Verfügung stehen. Im März wird Moser noch über die Wohnung eine
Konferenz abhalten, ebenso soll das Verkehrsprogramm im März präsen-
tiert werden. Das Humanprogramm und die Experten werden im Früh-
herbst erst einberufen werden, da sie bis dahin die Frage mit dem
Spitalproblem von Häuser geklärt sein soll. Broda wird eine Justiz-
Diskussion im April und Kreisky die Verwaltungsreform im Mai durch-
führen. Ebenso ist die Absicht, die Aussenpolitik und die Militär-
politik noch einmal zu diskutieren. Mit Kreisky, Gratz, Firnberg
und Androsch soll auch eine Kulturaussprache stattfinden. Dann
soll anschliessend eine grosse, alle umfassende Expertentagung
in der Hofburg wieder stattfinden. Allerdings ist nicht
beabsichtigt, eine Akademie anzuschliessen, wie das seinerzeit
nach dem Referat von Kreisky und Lembke der Fall gewesen ist. Kreisky
hofft, dass er Galbraith oder Jackins zu dieser Expertentagung
bringen kann.
Kreisky meinte, dass es jetzt notwendig ist, zwischen den beiden
Extremen der Oppositionsrolle der SPÖ, wo sie Kassandra-Rufe aus-
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gestossen hat und zwischen Dr. Kue, der bekanntlicherweise erklärt
hat, ich red mir ein, es geht mir gut, durchzukommen. Die derzeitige
Pessimismus-Welle muss überwunden werden. Zu diesem Zweck werden
folgende Massnahmen, die wir einvernehmlich beschlossen haben, in
Angiff genommen:
1. Androsch wird ein zehnjähriges Investitionsprogramm bis spätestens
März vorlegen. Er wird auch versuchen, eine Koordination mit den Ländern
den grossen Gemeinden und Städten herbeizuführen. Die derzeit von
ihm ausgegebenen Richtlinien, die ein Miminum-Investitionsprgramm
darstellen würden, werden alsbald ergänzt, indem die einzelnen Ressorts
ihm ihre allerdings möglichen und erfüllbaren Wunschvorstellungen über-
mitteln. In diesem Fall kann auch das Handelsministerium Vorschläge
unterbreiten, da wir bei den Richtlinien bekanntlicherweise überhaupt
keinen Vorschlag machen konnten, weil wir keine 20 Mill. S Investi-
tionsposition in unserem Budget haben. Gleichzeitig wird Androsch
damit ein langfristiges Budgetplanungskonzept in Angriff nehmen.
2. Die Raumplanung wird sofort in Angriff genommen und es ist das erste
Mal, dass wir ein Organ schaffen. Kreisky wird eine Raumordnungs-
Konferenz im Feber einberufen. Seiner Meinung nach werden derzeit
sehr viele öffentliche Gelder dazu verwendet, um Politik zu betreiben
und dies muss besser koordiniert werden.
3. Die verstaatlichte Industrie wird ein Nebenkriegsschauplatz bleiben
da die Kompetenz ja derzeit nicht bei ihm sondern bei der ÖIAG liegt.
Allerdings gibt die verstaatlichte Industrie an, dass sie einen
Finanzbedarf für die nächsten Jahre von 5–7 Milliarden Schilling
hat. Seiner Meinung nach müssten 500 Mill. Eigenkapital pro Jahr und
von Bundesseite der verstaatlichten Industrie zur Verfügung gestellt
werden. Androsch glaubt allerdings, dass höchstens 300 Mill. S pro
Jahr erforderlich sind.
4. Das Kohlenproblem wird unverzüglich in Angriff genommen. Im Rahmen
einer neutralitätspolitischen Energieversorgung wird überprüft
ob und in welchem Ausmass inländischer Kohlenbergbau weiter betrieben
werden soll. Dann wird festgestellt, was es kosten darf und dann wird
den Unternehmungen mitgeteilt, dass unverzüglichst eine Fusion der
einzelnen Gesellschaften in Angriff genommen werden soll. Zu diesem
Zweck wird das Handelsministerium mit dem Finanzministerium die
Richtlinien für die Bergbauförderung auf die neuen Gesichtspunkt hin
ändern. Kreisky hat mir zugestanden, dass es unmöglich ist, diese
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Probleme landsmannschaftlich zu lösen.
5. Der Fremdenverkehr bekommt die Priorität 1), u.a. wird fest-
gehalten, dass im Kompetenzgesetz die Zusammenlegung aller
Fremdenverkehrskompetenzen im Handelsministerium erfolgt. Darüber
hinaus kann ich jedwede grosszügige Planung und Projektausarbeitung
auf diesem Sektor in Angriff nehmen.
6. Nach der wirtschaftspolitischen Aussprache am 20. Jänner wird
Kreisky eine Darlegung unserer Konzepte bringen, gleichzeitig
anschliessend wird Androsch die Verbändekomitee wieder bei ihm
aktivieren. Dadurch soll die Möglichkeit geschaffen werden, dass
Mussil stärker in Erscheinung treten kann und vor allem aber stärker
gebunden wird, sodass er nicht wie heute neben seinen Beamten
nicht Kontaktmöglichkeiten mit dem Finanzministerium über eine
offizielle Organisationsform hat. Dadurch wird vielleicht verhindert,
dass er in die Paritätische Kommission, d.h. im Wirtschafts- und
Sozialbeirat beitritt.
7. Das Handelsministerium wird sofort alle Strukturprobleme, die
verdeckt durch die Konjunktur jetzt in Erscheinung treten werden,
aufzeigen. Insbesondere werden wir die Fragen über Kohle, Fremden-
verkehr, dann über Textilien, Schuhe, Papier usw. in einem Papier
darstellen. Die Strukturprobleme können sich nämlich branchenmässig,
regionalmässig, arbeitsmarktmässig oder kapitalmarktmässig zeigen.
Als grobe Ansatzpunkte können wir feststellen, dass derzeit der
ERP-Fonds 1,3 Milliarden, die Kommunalbank 100 Millionen, der
E.u.E.-Fonds 150 Millionen, die Investitionskredit AG 400 Mill.
und die landwirtschaftliche Hilfe der AIK-Kredite derzeit im
wirtschaftlichen Einsatz sind. Darüber hinaus kommen aus der Bewer-
tungsfreiheit ca. 3 Milliarden Schillinge. Alle diese Mitteln sollen
zweckmässiger eingesetzt werden. Das Handelsministerium wird ersucht,
diesbezügliche Vorschläge zu erarbeiten. Die drei Hauptsparten
nämlich Textilien, sind hoffnungslos in der weiteren Entwicklung.
Kirchschläger teilt mit, dass in Addis Abeba jetzt ein japanisches
Textilwerk eröffnet wird, wo man 4 Cent pro Stunde Lohn zahlen
wird. Kreisky weist darauf hin, dass in Schweden nur mehr die
Portugiesen ihre Textilien verkaufen und in den USA nur mehr
Hongkong Textilien. Papier hat in Österreich keine Chance, weil
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die Zellulose zu stark verteuert an die Papierfabriken abge-
geben wird. Ich glaube nicht, es so pessimistisch aussieht,
vor allem hat nicht in Schweden nur allein Portugal den Absatz und in
USA die neue Hongkong-Ware sondern es gibt dort auch noch eine
inländische Produktion und es wird sicher auch noch weiter eine
geben. Auch bei uns wird durch die modische Anschläge die Textil-
produktion auch unter schärfsten Konkurrenzbedingungen existent
sein und die Schuhindustrie, die sich z.B. auf die Skischuh-
erzeugung umgestellt hat, hat einen ganz guten Absatz, auch im
Export. Auf alle Fälle halte ich es aber für sinnvoll, wenn man
alle diese Fragen untersucht und auch aufzeigt. Allerdings
muss jetzt unser Apparat zu arbeiten beginnen, ohne dass er
eigentlich Zeit gehabt hätte, durch Wochen oder Monate ja vielleicht
durch Jahre sich darauf vorzubereiten. Ich wies dann noch darauf
hin, dass es noch andere Strukturprobleme gibt, wie z.B. die Errichtung
der Raffinerie in Lannach, die 2,3 Mill. t viel zu klein ist,
oder dass die chemischen Werke sich nicht fusionieren mit der ÖMV
und die Stickstoffwerke, und in allen diesen Fragen nimmt Kreisky
eine sehr progressive Haltung ein und sagt, das müsste jetzt alles
aufgezeigt werden, damit man sich in Zukunft nicht den Vorwurf ma-
chen kann, wir hätten den grossen Wurf nicht in Angriff genommen.
8. Da die einzelnen Ministerien, aber auch die einzelnen Banken
und sonstigen Kreditausgabestellen immer wieder dieselben Überprüfun-
gen bei Firmen durchführen, soll Veselsky einen Vorschlag unter-
breiten, wie man eine Zentralisierung der Überprüfungen von einzel-
nen Firmen oder Branchen in Angriff nehmen kann.
9. Steuerliche Massnahmen wird der Finanzminister im Rahmen der
grossen Steuerreform bereits jetzt in Angriff nehmen und ins-
besondere im Hinblick auf eine Industrialisierungspolitik konkreti-
sieren.
10. Preisentwicklung. Dieser Punkt hat uns am meisten Schwierigkeiten
bereitet, weil wir ausser den jetzigen Vorschlägen keine zusätz-
lichen grösseren Aktionen in Angriff nehmen können. Optisch stehen
wir gut da. Die Prognose von 5 % wurde weit unterschritten und
beträgt derzeit für 1971 4,3 %. Auch für das heurige Jahr werden
5 % prognostiziert, Koren spricht von 6 % und die Handelskammer
das Wirtschaftsforschungsinstitut sprechen im Prognoseteam hat
sogar von 7 % gesprochen. Ich glaube, man sollte in der Optik
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dann immer wieder darauf hinweisen, dass so wie im vergangenen
Jahr auch heuer die Tätigkeit der sozialistischen Regierung dafür
sorgen wird, dass diese Preiserhöhungen nicht kommen werden.
Die Partei hat wieder im Computer ihre Aktion ausgewertet und
feststellen können, dass von 40.000 Befragten Mitgliedern oder
Interessenten doch 20 % geantwortet haben und an der Spitze steht
nach wie vor das Problem der Preise. Auch für die jüngeren Menschen.
Kreisky stimmt daher mit mir vollkommen überein, dass weder der
VÖEST-Kokspreis noch das andere Kohlenspannen vor dem 1 . April,
d.h. innerhalb der Heizperiode erhöht werden dürfen. Die Idee
von Weihs, den Milcherzeugerpreis gegebenenfalls um 10 oder 20
Groschen zu erhöhen, wird ebenfalls auf die Zeit nach der
Bundespräsidentenwahl verschoben. Auch die Lohnbewegungen, die
sich auf eine Preiserhöhung auswirken sollen bis zu diesen Zeitraum
zurückgestellt werden. Ich kann mir allerdings nicht vorstellen,
dass dies möglich ist. Weihs will auf alle Fälle den Krisengroschen
von derzeit 10 auf 7 Groschen senken, wobei er einen Groschen
dann für die Milchleistungskontrolle neuerdings abzapfen kann.
Alle sind der Meinung, man sollte diese Krisengroschensenkung erst
zu einem Zeitpunkt durchführen, wo gleichzeitig auch der Milcher-
zeugerpreis erhöht wird, um den Bauern dann einen grösseren Erfolg
und sichtbare Milchpreiserhöhung zu gewährleisten. Weihs stimmt
dieser Idee nicht zu. Ebenso wehrt sich Weihs ganz entschieden, als
Androsch der Meinung ist, man sollte im nächsten Getreidewirtschafts-
jahr einfach die Getreidepreisstützung auslaufen lassen.
Kreisky weist zum Schluss noch darauf hin, dass in Österreich eine
Gesellschaft gegründet werden soll, die Kassettenrekorderproduktion in
Angriff nehmen wird.