Freitag, 23. April 1971
Beim Kongress der Internationalen Handelskammer konnte ich die
Konkordanz zwischen den Bestrebungen dieser Institution und der
österr. Bundesregierung hinsichtlich der Liberalisierung und der
Zollsenkungen feststellen. Insbesondere im Hinblick darauf, dass
immer wieder Teile der österr. Handelskammer und vor allem aber die
Industriellenvereinigung grosse Schwierigkeiten machen, mit einer
weiteren Liberalisierung und Zollsenkung im Hinblick besonders
auf die Oststaaten, war es mir sehr recht, diese Feststellungen
treffen zu können. In Hinkunft werde ich, wenn es Widerstände gibt
gegen die Erstellung der Negativlisten oder einer weiteren Zollsen-
kung immer wieder darauf hinweisen, dass wir hier als österreichische
Bundesregierung und ich als Handelsminister vor allem vollkommen kon-
form mit den Intentionen der IHK vorgehen, in der auch die Vertreter
der Bundeshandelskammer sich sehr positiv für eine solche Entwicklung
ausgesprochen haben. Ich machte bei diesem internationalen Kongress
der Unternehmer genau dieselben Erfahrungen, die ich auch bei inter-
nationalen Kongressen der Gewerkschaften gemacht habe, in Wirklichkeit
werden die Themen und vor allem die ganze Kongressabwicklung von ein
paar Managern organisiert und letzten Endes auch gestaltet. Ich bin
überzeugt davon, dass viele Probleme, die dort zur Sprache kommen und Be-
schlüsse, die gefasst Werden, gar nicht die Zustimmung der einzelnen
Unternehmervertreter, die an dieser Veranstaltung der IHK teilge-
nommen haben, finden. Die wenigsten allerdings werden den Mut haben,
sich dagegen auszusprechen. Die einzige Rückzugsmöglichkeit, die in
einem solchen Fall für den Betreffenden bleibt, ist, dass er sich sagt,
es ist sowieso ein langer Weg von einem solchen Beschluss eines inter-
nationalen Gremiums bis zur Durchführung in seinem eigenen Landes.
Ich erinnere mich noch, dass ich einmal für den ÖGB bei einer Tagung
des Internationalen Bundes Freier Gewerkschaften gewesen bin. Dort
diskutierten wir, ob die Entwicklungsländer 1 % des Bruttonational-
produktes als Entwicklungshilfe kriegen sollten, Ich war der einzige
Delegierte, der dagegen sprach, weil ich auf dem Standpunkt stand,
es hat doch keinen Sinn, einen solchen Beschluss zu fassen und niemand
wird sich in seinem eigenen Land dann dafür einsetzen. Ich sprach
mich damals nicht gegen die Entwicklungshilfe aus, wohl aber dagegen,
dass man einen Prozentsatz nennt, bei dem man von vornherein weiss,
dass er gar nie erfüllt wird und der in Entwicklungsländern eine
falsche Hoffnung erweckt. Der Generalsekretärstellvertreter des IBFG
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kam nachher zu mir, um mir auseinanderzusetzen, wie wichtig ein
solcher Beschluss für die Entwicklungsländer sei und Österreich
könnte doch leicht 1 % leisten, da es doch während der Besatzungszeit
viel mehr an Leistungen den Russen gegenüber erbringen musste und
damit 1 % des BNP leicht zu Verfügung stellen könnte. Ich erklärte
ihm, wenn der Kongress einen solchen Beschluss fasst und die öster-
reichischen Delegierten dem zustimmen, so bin ich überzeugt, dann
werden sie – wenn sie nach Österreich zurückkommen – nicht imstande
sein, diesen Beschluss auch zu verwirklichen. In der Kommission hielt
ich deshalb meine Bedenken aufrecht. Im Plenum geschah dann, wie
ich vorhergesehen hatte, es kam ein Beschluss zustande, die Durch-
führung des Beschlusses, der in einigen internationalen Organisatio-
nen wie der UNO usw. dann ebenfalls wiederholt wurde, lässt bis
jetzt auf sich warten. Ich gebe mich deshalb keiner Illusion hin,
dass auch Beschlüsse der IHK nicht allzu starken Einfluss auf die
Politik der Regierungen haben. Für uns aber ergibt sich jetzt eine
günstige Ausgangsbasis in der Diskussion und insbesondere kann ich
– so wie ich das auch seinerzeit bei den internationalen Kongress
der Lebensmittelkleinhändler getan habe – in nachfolgenden Diskus-
sionen in Österreich immer auf die Beschlüsse resp. Diskussions-
erfahrungen auf diese internationalen Kongresse verweisen. Sallinger
wollte bei diesem Kongress auch mit mir noch einmal über die Ge-
werbeordnungs-Präsentation reden. Da Mussil aber scheinbar sich
noch nicht mit ihm endgültig – sei es in der ÖVP durchgesetzt hat,
sei es selbst eine klare Linie gefunden hat – wollte Sallinger das
neuerdings vertagen. Ich erklärte, dass ich bereit sei, jede Art
der Übergabe zu akzeptieren, dass ich aber unter allen Umständen
am Mittwoch eine Pressekonferenz halten müsse. Sallinger meinte,
"Da reden wir noch einmal darüber". Ich verstehe seine Taktik
nicht ganz, er muss doch bemerken, dass der Zug bereits abgefahren
ist. Mussil, den ich anrief, meinte, er hätte heute ein Fieber
und er würde bitten, dass wir uns Montag noch einmal zusammensetzen.
Kreisky hatte erfahren, dass am Vortag im Zeit im Bild, aber auch
im Radio eine gross Kampagne über die Preissteigerungen vom Rundfunk
entwickelt wurde. Er hatte deshalb mit Kreuzer vereinbart, dass ich
eine entsprechende Interview-Möglichkeit haben sollte. Er meinte,
ich sollte in diesem Interview insbesondere darauf hinweisen, dass
jetzt vor den Wahlen scheinbar eine richtige Preiskampagne los-
geht und dass solche Ankündigungen letzten Endes die Preise tat-
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sächlich in die Höhe treiben. Da ich diese Meinung nicht teile,
was ich auch nicht bereit, ein solches Statement abzugeben, sondern
hatte mit Nussbaum nur eine Diskussion über die Preis- und Wirt-
schaftsentwicklung, wobei ich ja wirklich mit ruhigem Gewissen auf
unsere Erfolge hinweisen konnte. Ich bin überzeugt davon, dass
ich mich unter allen Umständen immer nur auf die sachliche Dis-
kussionsebene begeben soll und in einem Fernsehinterview niemals
allzu polemisch gegen meine eigene Überzeugung agieren sollte und
auch sicherlich nicht werde.
Gen.Dir. Wagner von der Shell in Holland und Direktor Mieling von
der österr. Shell nützten die Anwesenheit beim IHK-Kongress, um
mit mir Kontakt wider aufzunehmen. Die Abteilung Schleifer hat an-
genommen, dass es sich hier um Preisbesprechungen handeln soll
und wollte deshalb daran teilnehmen. Mieling hat mir aber ver-
sichert, das Preisproblem nicht zu besprechen und er hat sich an
dieses Versprechen auch tatsächlich gehalten. Ich selbst hätte aller-
dings gar nichts dagegen einzuwenden gehabt, wenn er von sich aus
neuerdings die Frage angeschnitten hätte. Er hat sowieso angedeutet,
dass doch hoffentlich in der nächsten Zeit jetzt der Heizölpreis
geregelt wird. Über die Benzin- und Dieselpreiserhöhung glaubt
er selbst, dass es noch einige Woche, um nicht zu sagen, Monate
dauern kann. Shell selbst ist ja ein Riesenunternehmen und hat
nicht nur allein Öl sondern hat auch eine riesige Flotte, um dieses
Öl auch zu transportieren. Sie besitzen Frachtraum für 40 Mill. t
und wollen bis 1975 36 Milliarden Schilling in der Frachtproduktion
die Werften beauftragen. Für die Erschliessung von neuen Ölquellen
werden sie 480 Mill. S heuer ausgeben. Interessant war für mich,
dass sie mit der ENI, der italienischen verstaatlichten Ölgesell-
schaft in der Adria gemeinsame Bohrungen vornehmen, die leider noch
nicht den gewünschten Erfolge gezeitigt haben. Sie schätzen, dass
der Energieverbrauch in den nächsten Jahren so stark ansteigen wird,
dass letzten Endes jedwede Öl- und Gasreserve erschlossen wird werden.
Sie glauben sogar, dass aus dem Seetang und weiters aus gewissen
Sandmengen, die ölhaltig sind, es in absehbarer Zeit rentabel sein
wird, dieses Öl herauszupressen. Die Gasproduktion und der Gasabsatz
und Verbrauch wird in Hinkunft eine noch grössere Rolle spielen
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als bisher. Allerdings meinen sie, dass im Durchschnitt es nie-
mand höher als maximal 30 % sein wird. Die ungeheuren Mengen,
die derzeit noch im russischen Sibirien lagern, könnten ihrer
Meinung nach kaum durch Pipelines sondern höchstens durch Ver-
flüssigung nach Europa transportiert werden. Die petrochemische
Komponente am Öl- und Gassektor wird ihrer Meinung von derzeit
10–12 % in ihrer Gesellschaft auf maximal 20 % ansteigen.
Mieling meinte, auf die österreichischen Probleme übergehend, dass
Lannach tot sei. Sie werden selbstverständlich den von mir ver-
langten Plan über die Verbrauchsausweitung Öl und Ölprodukte und
über die Verarbeitungsmöglichkeiten in Österreich vorlegen, da sie
– wie er sagte – selbst sich ein genaues Bild machen müssten. Für
Shell und alle anderen ausländischen Gesellschaften ergibt sich
nämlich die Frage, ob eine zweite Raffinerie in Österreich errich-
tet werden soll oder ob es nicht zielführender ist, z.B. die Shell-
Raffinerie in Ingolstadt zu vergrössern und von dort her Westöster-
reich mit ihren Produkten zu versorgen. Mieling glaubt allerdings,
dass – selbst wenn es zur Errichtung einer zweiten Raffinerie
in Österreich käme, was er als sehr zweckmässig und zielführend
ansieht – nur der oö. Raum, d.h. ein Konsumzentrum in Frage kommt.ä
Die ÖMV hat – wie ich vertraulich, nicht von Mieling, erfahren habe
und ich habe ihm deshalb auch gar nichts mitgeteilt – die Absicht,
in Oberösterreich keine Raffinerie zu errichten, sondern hat jetzt
Untersuchungen in Auftrag gegeben, ob eine Produktenpipeline von
Schwechat nach Oberösterreich rentabel wäre. Eine Bemerkung
von Mieling erfüllt mich wirklich mit Stolz. Als wir auch auf
das Problem Lannach zu sprechen kamen und ich ihn aufmerksam machte,
dass ich ja schon seinerzeit festgestellt hatte, ich werde dieses
Projekt so schnell wie möglich genehmigen, aber mit 2,3 Mill. jato
kann es kein rentabel Projekt sein, hat die westlichen Ölgesell-
schaften mir nicht geglaubt. Heute geben sie zu, dass ich dieses
Problem wirklich raschest gelöst habe und Mieling meinte sogar,
es war eben schade, dass ich zwei Jahre zu spät Handelsminister wurde.
Er glaubt mir nicht, dass vor zwei Jahren, d.h. jetzt schon vor
3 Jahren das Projekt kostenmässig noch zu verwirklichen gewesen wäre.
Durch die Inflationsrate aber sei eine solche Verteuerung einge-
treten, dass man jetzt eben nicht mehr die Raffinerie in Lannach
errichten kann. Diese Auffassung ist meiner Meinung nach falsch,
da auch bei Verbilligten Baukosten, die vielleicht 1968 noch gewesen
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sind, der Durchsatz mit 4,2 Mill. t zu gering wäre. Wenn ich da-
mals Kreiskys Meinung so wie andere Genossen gefolgt wäre, und
das Projekt tatsächlich wieder so wie das Mitterer gemacht hat,
hinausgeschoben hätte, z.B. dass ich es nach Graz zurückdirigiert
hätte, dann wäre die ganze Verantwortung auf mich gefallen
und unser Image, dass wir eine Industriepolitik betreiben wollen,
wäre im negativen Sinne entschieden gewesen. Die Industriepolitik
kann und darf man nicht ausschliesslich nur am Papier verlangen,
sondern muss auch Massnahmen setzen, die industriepolitischen Charak-
ter haben. Wenn man nicht positive Massnahmen so leicht setzen kann,
dann darf man zumindestens nicht negative Massnahmen sanktionieren.
Ich glaube, dass uns z.B. die zwar sehr komplizierte Frage im
Kupferbergwerk Oberndorf unsere Industrieimage sehr stark ange-
schlagen hat. Sicherlich war dort als Interessensausgleich eben dem
Fremdenverkehr die Priorität zu geben.
Das industriepolitisch hochinteressante Projekt einer Errichtung
einer grossen Zellulose-Fabrik von der Fa. Landegger hat nun zu
konkreten Verhandlungen zwischen den österr. Vertretern und den
Vertretern Landeggers geführt. Ich hätte zumindestens zeitweise sehr
gerne an diesen Besprechungen teilgenommen. Leider hat das Sekre-
tariat davon scheinbar nichts gewusst und mich daher auch nicht
eingeteilt. Freitag früh, wo die Verhandlungen noch fortgeführt wurden
hätte ich reichlich Zeit dafür gehabt.
ANMERKUNG FÜR HEINDL UND WANKE: Bitte, in Hinkunft mehr beachten,
dass ich an solchen Besprechungen unter allen Umständen teilnehmen
will. Erstens kann ich mir dann ein wesentlich besseres Bild ver-
schaffen, wenn ich den Bericht vorgelegt bekomme, und zweitens glau-
be ich, hätte das Landegger und seinen Leuten gezeigt, dass wir wirk-
lich grosses Interesse an so einem moderneren Verfahren von Diskus-
sionen über Industrieprojekte haben.
Ich möchte überhaupt, wenn bedeutende industrielle Vertreter z.B. im
Ministerium irgendwelche Auskünfte oder Besprechungen über Investi-
tionen haben, ob In- oder Ausländer, gerne mit solche Leute in einem
Kontakt kommen.
Tagesprogramm, 23.4.1971
hs. Notizen (Tagesprogramm Rückseite)