Mittwoch, 3. Mai 1972
Die Agrarier, und zwar der Bauernbund, kamen mit einem Landarbeiter-
ÖVP-Vertreter, um mich wegen der EG-Verhandlungen festzulegen. Minko-
witsch erschien zwar nicht als Präsident des Bauerbundes, sondern
als stellvertretender ÖVP-Obmann und wollte, dass die Regierung jetzt
bereits Zusagen macht, wenn die EG-Verhandlungen zu keinem positiven
Abschluss auf dem Agrarsektor führen. Vom ÖAAB war auch Karasek dabei,
der als Integrationsspezialist vom aussenpolitischen Standpunkt die
Frage beleuchtete. Interessanterweise fehlte bei der Delegation
nur der Wirtschaftsbund, obwohl ich Sallinger und Mussil am Vortrag
auf diese Aussprache aufmerksam gemacht hatte. Die Delegation wollte
erreichen, dass ich mich in der Erstattungsfrage endgültig für die
Bauernlösung einsetze. Sie meinten, dass Weihs ihnen eine diesbe-
zügliche wohlwollende Unterstützung bereits zugesichert hat und hofften,
dass sie dies auch bei mir erreichen würden. Ich bin zwar auch überzeugt,
dass früher oder später die Partei in diesem Punkt nachgeben wird und
insbesondere Kreisky seine unterstützende Haltung gegenüber Androsch,
der dies ganz entschieden ablehnt, aufgeben wird. Ich werde aber, da
es weder in meine Kompetenz fällt noch weil ich mich nachher den Vor-
wurf machen lassen will, dass ich frühzeitig die Position aufgegeben
hätte, keinesfalls in irgendeiner Phase in diesem Punkt meine Zustim-
mung geben. Wohl habe ich aber bezüglich der Abschöpfungen, wo zwischen
den Interessensvertretungen eine vollkommene Einigung jetzt endlich er-
zielt werden konnte – ausgenommen sind nur noch Teigwaren – ich spreche
immer, weil es sich sehr schön anhört von Nudeln, zugesichert, dass
gleichzeitig mit dem EG-Vertrag dieses Problem im Parlament posi-
tiv von der Regierung beantragt werden wird. Bauernbunddirektor Lanner
erklärte, dass mit dieser konkreten Zusagen er sehr zufrieden sei.
Die Bauern glaube ich haben jetzt endgültig eingesehen, dass ein
Verankern ihrer Wünsche im EG-Vertrag nicht möglich sein wird und sie
möchte deshalb eine innenpolitische österreichischen Kompensation dafür
bekommen. Ihre Zielrichtung ist Abschöpfung Erstattungsregelung und
gleichzeitige, womöglich unbefristete Verlängerung der Marktordnung.
Im Integrationsausschuss, wo ich Weihs, der in Schweden weilte, vertrat,
wurde sowohl er, weil er sich auf eine Besichtigungsreise begibt und
den Integrationsausschuss missachtet, als auch Kreisky, der von dem Aus-
schuss nichts wusste und deshalb auch nicht kam, von der ÖVP hart
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attackiert, weil gerade Kreisky im Plenum erklärt hätte, über
seine Good-Will-Tour könne er im Haus nicht öffentlich sprechen,
würde aber dem Integrationsausschuss gerne noch Informationen
geben. Und hier versuchte Mitterer mich dazu zu bewegen, dass
ich die Interessen der Wirtschaft, die von der Integration betroffen,
werden, gegen den Finanzminister stärker vertreten müsse. Er denkt
dabei insbesondere wie die Bauern bei der Erstattung vor allem auf
steuerliche Erleichterungen, die ich ganz einfach zu verlangen hätte.
Ihr Plan ist, die Minister gegenseitig auszuspielen und dadurch das
Team aufzuspalten. Wehe uns, wenn ihnen dies wirklich gelingt.
Jagoda und Kinscher waren anwesend, als Mussil mit den drei von
ihm genannten Verhandlungspartnern für eine neues Berufsausbildungs-
system – Dr. Häusler, Dr. Piskaty und Dr . vom Handel – auf
der einen Seite, Dr. Neuwirth von der AK und Mrkwicka vom ÖGB sowie
Rath von den Metallarbeitern auf der anderen Seite mit mir die grund-
sätzliche Diskussion über eine Novelle des Berufsausbildungsgesetzes
führten. Mussil meinte, die Aussprache könnte höchsten Meilensteine
setzen und dies gelang dann auch. Die beiden Verhandlungspartner
werden unter Führung des Ministeriums eine Bestandsaufnahme
machen, dann sofort entsprechend Modelle ausarbeiten und insbeson-
dere auch mit dem Unterrichtsministerium über Änderung des polytechni-
schen Lehrganges und der weiteren schulischen Lehrlingsausbildung
verhandeln. Das duale System, d.h. Lehrlingsausbildung im Gewerbe-
betrieb mit Ergänzung durch die Berufsschule soll aufrechterhalten
bleiben, da dieses System sich im Grund genommen bewährt hat
wird nur versucht werden, bis spätestens 31.12.1972 – Mussil hat
diesem Termin nach längerem Zögern zugestimmt – eine entsprechenden
Entwurf auszuarbeiten. Jagoda wollte zuerst, dass die Interessen-
vertretungen ohne Ministerium die entsprechenden Verhandlungen führen
und uns dann einen Vorschlag ausarbeiten. Ich konnte ihn aber doch
davon überzeugen, dass es zielführender ist, wenn wir die Führung
in der Hand behalten. Jagoda hat nur mit Recht Angst, dass er der-
zeit zu der so ihn sehr belastenden Gewerbeordnung noch eine zusätz-
lich der Lehrlingsausbildung übernehmen müsste. Da die Lehrlingsaus-
bildungsfrage aber viel längerfristig ist, hat er dann doch eingesehen
und wird die Verhandlungen entweder selbst und dort Kinscher führen.
Mir erschien nur primär wichtig der Gewerkschaft zu beweisen, dass
ich ihre Wünsche unverzüglich in Angriff nehme.
In der Paritätischen Kommission machte Mussil den Vorschlag, für
die Mehrwertsteuerlistenererstellung einen eigenen Ausschuss des
Preisunterausschusses einzusetzen. Kreisky akzeptierte, aber es
blieb in diesem Fall offen, ob wirklich auch der Vorsitz für diesen
Ausschuss an die Handelskammer geht. Farnleitner, der Vorsitzendes
des Preisunterausschusses hat nur unverzüglich diese Forderung gegen-
über ÖGB angemeldet. Lachs meinte, ich müsste hier Kreisky festlegen,
dass dies eine Aktion der Regierung sein müsste. Ich war auch hier
mit der Entscheidung sehr vorsichtig, denn Androsch war nicht an-
wesend und es hätte leicht sein können, dass entweder er dann in seinem
Ministerium diese Listen, die ja letzten Endes wirklich die Umsatz-
steuerregelung betreffen, erstellen will, andererseits gar nicht
klar war, um nicht die Zusage Kreiskys, dass er mit der Lösung
der Interessensvertretungen einverstanden ist, beinhaltet, dass auch
natürlich jetzt nur unter Anwesenheit von Ministerialvertretern, eben
wirklich die Interessenvertretungen und in diesem Fall wäre, da es
sich um eine Preisfrage handelt, die Handelskammer zuständig, die Ver-
handlungen auch tatsächlich führen soll.Wichtig erscheint mir nur,
dass endgültig die Frage jetzt in Angriff genommen wird. Momentan wäre
ich sogar ausserstande, wirklich konkret dazu etwas beizutragen, weil
Marsch, der dieses Problem bei uns behandelt und es ist bei ihm in bes-
ten Händen, derzeit auf Urlaub ist. Wichtig ist nur, dass wir durch
diese Listenerstellung nicht nur die Artikel erfassen, an denen die
Handelskammer interessiert ist, wo es also auch durch die
Mehrwertsteuervorbelastung entsprechende Preiserhöhung geben wird,
sondern auch die Artikeln durchrechnet, wo es zu effektiven Preis-
senkungen kommen müsste. Bis jetzt gibt es ja nur von Seiten des
Finanzministeriums Andeutungen, dass dies auf dem Fleischsektor,
Schuhe und Textilsektor der Fall sein müsste.
ANMERKUNG FÜR WANKE: Bitte jetzt endgültig durchrechnen lassen, wo
insbesondere bei den Indexwaren solche Preissenkungen möglich sind.
Ich berichtete Kreisky über die Angriffe im Integrationsausschuss,
da er dort nicht erschienen ist, und er sagte mit Recht, er wäre
davon nicht verständigt worden. Sicher hätte er sich Zeit genommen,
um eine entsprechende ergänzende Erklärung über seine Reise abzu-
geben. Die Abwesenheit von Weihs und Kreisky wird sich sicherlich
auf die Integrationsdebatte im Haus ausschliesslich auf dieses
Faktum stützen. Dadurch komme ich mehr aus dem Schussfeld heraus,
was mir aber in diesem Fall gar nicht recht ist. Kreisky zieht zwar
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automatisch alle Angriffe an sich, weil er sich in allen ihm
wichtig erscheinende Fragen, und dafür hat er ein ungeheures
Gespür, politisch natürlich auch automatisch den Gegen auf sich lenkt.
Für mich war dies vollkommen klar, als er die Good-Will-Tour – ich
glaube mit einem einsamen Beschluss gestartet hat.
Im Institut für Formgebung, das Prof. Mautner-Markhof führt,
wurde eine Ausstellung über Papier von mir eröffnet. Ich erwartete,
dass dort vom Designer- oder vom Formenstandpunkt aus eine wirkliche
grosse Ausstellung wie in den vergangenen Jahren mit entsprechenden
Prämien für die besten Formen zu eröffnen sei. In Wirklichkeit ha-
ben sie einen angeblich bedeutenden Architekten dafür gewonnen,
dass er in primitiver Art und Weise auf die Verwendung von Papier
hingewiesen hat. Ein halber Marmorblock, der Rest ergänzt durch
Packpapier, auf dem das Wort Packpapier geschrieben stand, war der
einzige Gag. Links dann ein paar Bäume, rechts dann das Papier, einige
Stösse Buchpapier, viel Abfall und als Clou die höchste Verwertung
von Papier in Form von Verträgen und von einer Tausend-Schilling-Note
war alles. Dafür haben wir 100.000 S Subvention gegeben. Mautner
erwähnte bei der Eröffnung, dass es sich hier um ein Experiment han-
delte und ich erklärte ebenfalls, dass dafür aber das Unterrichts-
ministerium für künstlerische Unterstützung zuständig gewesen wäre.
ANMERKUNG AN ALLE: Bitte sich die Ausstellung unbedingt anzusehen,
damit in Hinkunft verhindert werden kann, dafür Geld auszugeben.
Der Dienststellenausschuss wollte mit mir über die Anstellung Wankes
verhandeln. Heindl selbst ist jetzt auch schon davon überzeugt, dass
wir den im Gesetz vorgesehenen Weg, wonach eine Schiedskommission bei
Nichteinigung anzurufen ist, nicht vermeiden können. Der Dienst-
stellenausschuss hat zwar noch keinen Beschluss über diese Schieds-
gerichtsanrufung gehabt, Schleifer aber als Sprecher hat so getan,
wie wenn er bereits ermächtigt wäre, dies zu beantragen. Da ich
überzeugt war, dass sie gegebenenfalls mit Mehrheit einen solchen
Beschluss fassen, habe ich ihn insoferne beim Wort genommen, als
ich erklärte, er könnte doch nicht entsprechende Erklärungen abgeben,
ohne dafür ermächtigt zu sein. Er bestätigte deshalb sofort, was
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sicherlich Böhm im Akt festhalten wird, dass er einen diesbezüg-
lichen Schiedsspruch jetzt wünscht und als Dienststellenausschuss
beantragt. Ich weiss nicht, wie dieser Schiedsspruch ausgehen
wird, auf alle Fälle aber haben wir in petto einen nicht durch
einen Beschluss der Körperschaft zustande gekommenen Antrag. Sollte
die Sache ganz schief gehen, wäre es vielleicht möglich, aus
formalrechtlichen Gründen hier einen Aufhänger zu haben, um eine
andere Entwicklung dann einzuleiten. Ich selbst erklärte dem
Dienststellenausschuss nur mit aller Entschiedenheit, dass ich
es als unverständlich betrachte, dass sich der Dienststellenausschuss
gegen die Anstellung eines künftigen Kollegen wendet. Ich hätte
eher erwartetet, dass – selbst wenn hier Begünstigungen Platz greife
die die anderen Kollegen bis jetzt nicht gehabt haben – man dann
auf Grund dieses Präjudizes solche Begünstigungen auch für die
anderen Verlangt. Schleifer erklärte zwar, dass sich niemand gegen
die Anstellung von Wanke wendet, er hat dies ja auch schriftlich
mitgeteilt, sondern nur gegen die Anrechnung seiner Verdienst-
zeiten. Die ganze Sache war ihnen vom persönlichen Standpunkt gegen-
über Wanke sicherlich sehr unangenehm, vom politischen Standpunkt
aber, um uns zu beweisen, dass sie die Stärkeren sind, werden sie
sicherlich bis zum Letzten gehen. Ich kann und werde mich natürlich
über die Entscheidung der Schiedskommission hinwegsetzen. Wir
müssen nur, wenn wir die Schiedskommission anrufen, einen ent-
sprechenden gut fundierten Antrag dort stellen, da auch ein mir
sehr gut Bekannter, nämlich Dr. Heller, dieser Schiedskommission
angehört, werde ich ihm unverzüglich jetzt bitten, zu mir zu
kommen oder ich werde vielleicht noch besser zu ihm gehen, damit
nicht jemand sagt, ich wollte ihn beeinflussen, werde ich er-
klären, ich habe nur gehört, dass er der Schiedskommission angehört
und möchte von ihm aufklären lassen, wie die Arbeitsweise und welche
Folgen und was er mir als Freund empfiehlt, dass ich machen soll.
ANMERKUNG FÜR HEINDL: Bitte alles vorbereiten.
Gesprächsnotiz betr. ÖVP-Vorsprache zu EG-Angelegenheiten, 3.5.1972
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