Dienstag, 25. Juli 1972
Ich bin kein absoluter Anhänger der materialistischen Geschichts-
auffassung. Aber Pittermann hatte mir schon in der Mittelschule ge-
lernt, dass Napoleon, wenn nicht die Umstände entsprechend gewesen
wären, sich als kleiner Offizier in Frankreich gedient hätte, wie
eben hunderttausend andere auch. In der SPÖ dürfte es aber keine Genos-
sen geben, die der materialistischen Geschichtsauffassung von Marx
Recht geben, denn sie kommen jetzt alle zu mir und gratulieren mir,
als ob ich wirklich den EWG-Vertrag gemacht hätte und nicht die Um-
stände. Die Leute wollen sich an irgendetwas klammern und sich furcht-
bar stolz, wenn ein Bekannter oder vielleicht gar ein Freund von
ihnen einen bedeutenden Vertrag erreicht hat, dann können sie sich mit
ihm identifizieren. Gratz wollte im Klub, ich glaube ihm sogar, als
er erklärte, er hätte dies mit Kreisky nicht abgesprochen, den Klub
auffordern, bei Beginn der Rede von Kreisky ihn mit frenetischem Applaus
zu empfangen. Kreisky, und das hat mir imponiert, hat dies ganz ent-
schieden abgelehnt. Er bat, der Bedeutung dieser Stunde, nicht durch
Zwischenrufen und Rededuelle mit der ÖVP anzulegen, sondern sich ganz
als Staatspartei zu gebärden. Dies ist dann tatsächlich auch geschehen.
Die Diskussion dauerte dann auch bald 12 Stunden. Ich selbst habe die
Gewohnheit, wenn ein Punkt von mir auf der Tagesordnung steht, dass
ich mich immer auf die Regierungsbank setze und die ganze Zeit dort
sitzenbleibe. Dies führt dazu, dass sich die Opposition interessanter-
weise sehr geehrt fühlt. Unter anderem hat mir nach Schluss der Sitzung
Dr. Mock mitgeteilt, sie hätten dieses Problem bei einigen Abgeordneten
besprochen und erklärt, dass ich ein einzig geduldiger Zuhörer bin.
Ich glaube, dass sich die Opposition nur ungeheuer bestätigt und geachtet
fühlt, wenn man ihr tatsächlich zuhört. Darüber hinaus kann man ohne
weiteres in Antworten ziemlich hart mit ihnen verfahren und sie akzeptie-
ren dies doch weitestgehend. Besonders bei meiner zweiten Wortmeldung
musste ich mich ganz kurz fassen, denn das zweite Fernsehen hat noch
live übertragen und Schieder sollte nach mir sprechen. Klubobmann
Gratz ist extra zu mir gekommen und hat mich ersucht, ob ich nicht
doch Schieder wenigstens 10 Minuten Sendezeit geben könnte. Ich ver-
sprach ihm, währenddem Zittmayr noch redete und es schon auf Viertel
ging, dass ich ihm auf alle Fälle um 19.15 Uhr das Mikrophon über-
lasse. Koppe und Heindl waren darüber sehr unglücklich, denn sie meinten,
und das mit Recht, dass gerade jetzt eine sehr günstige Übertragungs-
zeit wäre. Andererseits muss ich sagen, scheint mir die Kollegialität
12-0966
gegenüber einem Abgeordneten doch höher als selbst einige Minuten
im Fernsehen, die ich doch irgendwie anders leichter bekomme als
irgendein Abgeordneter. Zittmayr hat um 3 Minuten vor Viertel
geendet und ich konnte daher ganz hart ihm und Zeillinger, der vorher
mich attackiert hatte, antworten. Zeillinger hat einen einzigen
schwachen Punkt in meiner ersten Replik herausgefunden. Er bestätig-
te, dass ich frei spreche und auch das erste Mal in die ganze
Debatte ein bisschen Leben hineingebracht habe, meinte aber dann,
ich hätte doch den grössten Fehler gemacht, den ein Minister von der
Ministerbank machen kann. Um zu erklären, warum ich mich immer als
EFTA-Partisan bezeichnete, hatte ich gegenüber Peter argumentiert,
dass ich Anhänger der Freihandelszone war, weil eine andere Lösung
aus Neutralitäts- und Staatsvertragsgründen nicht geht. Hier meinte
Zeillinger hätte ich damit festgelegt, dass die Russen oder irgendeine
Staatsvertragsmacht dann jederzeit kommen kann und uns z.B.
erklären, dass die Regierung gegen eine Möglichkeit der Mitwirkung
in der EWG sei. Ich habe sofort Kirchschläger, der auf der Regierungs-
bank sass, gefragt und er meinte, er sei auch erschrocken, über
diese meine Äusserung. Es gibt scheinbar innerhalb des Aussenamtes
eine Linie, dass der Artikel 4 des Staatsvertrages, wonach Österreich
sich nicht an Deutschland anschliessen dürfe, keinesfalls wie ich ihn
interpretiere uns auch Schwierigkeiten bringen wird, wenn wir z.B.
zu einer Wirtschaftsunion beitreten, wo Deutschland Mitglied ist.
Ich habe mich eigentlich immer auf die Äusserungen und Informationen
verlassen, die besagten, dass Österreich aus neutralitätspolitischen
Gründen, Verlust der Treaty-making-power oder aus Staatsvertrags-
gründen, eben Artikel 4, eine Teilnahme an der EG unter gar keinen
Umständen akzeptieren kann. Da auch die Schweiz denselben
Standpunkt einnimmt, habe ich vielleicht wirklich ein bisschen zu
weit übers Ziel geschossen, stehe aber nach wie vor auf dem Standpunkt,
unter gar keinen Umständen rein persönlich einen Beitritt zur EWG
zu akzeptieren. Natürlich hat Zeillinger in einem einzigen Punkt recht,
wer weiss, wie es in zehn Jahren aussieht. In der Zeit steht ein
Beitritt ja wirklich nicht zur Diskussion.
Der albanische Vizehandelsminister kam mich im Parlament besuchen
es war wirklich nur ein kurzer Anstandsbesuch und am Abend konnte
ich dann nach Ende der Haussitzung doch noch zum Essen der BHK kommen.
Bei dieser Gelegenheit meinte Fälbl, die Alber hätten grosses Inter-
esse mit der VÖEST ins Geschäft zu kommen. Rohner nun wehrt sich
12-0967
dagegen und gibt ihnen nicht einmal die Möglichkeit, mit ihm ins
Gespräch zu kommen. So musste auch der ursprünglich geplante Besuch
bei der VÖEST unterbleiben. Die Albaner möchten angeblich Bleche von der
VÖEST kaufen.
ANMERKUNG FÜR WIESINGER: Bitte mich mit Rohner von der VÖEST ver-
binden.
Die Albaner bauen jetzt ein grosses Stahlzentrum mit 2 Mill. t glaube
ich und dies nicht einmal am Meer, sondern 60 km landeinwärts. Ich
weiss nicht welche strategischen, politischen oder sonstigen Gründen
für diese Standortlösung massgeblich waren. Vom wirtschaftlichen
Standpunkt ist es ein Wahnsinn. Jetzt gehen alle Stahlwerke an die
Küste. Hier müsste doch für die VÖEST die Möglichkeit einer Beteiligung
gegeben sein. Bezahlt glaube ich, wird dieses Werk entweder von
einem Neukredit der Chinesen, denn ich kann mir nicht vorstellen,
dass die Albaner so viel Geld aufbringen können.
Turnauer wurde von Kreisky gebeten, noch schnell vor seinem Urlaub
über die Holzhäuseraktion mit ihm zu verhandeln. Moser erklärt
sich bereit, mit der Ennstaler Genossenschaft zu sprechen, damit
diese die erste Jahresproduktion von mindestens 200 Häusern abnimmt.
Wenn dies gesichert ist, werde ich mit Turnauer unverzüglich mit der
steirischen Landesregierung Verhandlungen führen, damit die Bauordnungen
entsprechend der Holzhäuserproduktion abgeändert werden oder zumindestens
durch einen Landesregierungsbeschluss gedeckt sind. Kreisky möchte,
dass in Aichfeld-Murboden solche Häuser jetzt errichtet werden. Ich
glaube nicht, dass dies so einfach gehen wird, denn letzten Endes ist
die Amerikanische Firma Boise auf einen ganz anderen Häusertyp einge-
arbeitet. Sicherlich kann man den auf österr. Bungalows umkonstruieren,
doch wird dies einige Zeit dauern. Turnauer wieder wäre an einer
solchen Produktion, wie er jetzt sagt, doch interessiert, möchte aber
vorher die Neusiedler weghaben. Er selbst gibt zu, dass ihm das ganze
Projekt über den Kopf gewachsen ist, dass die Neusiedler nur die ganzen
Gewinne seiner aktiven Betriebe aufzehrt und er sich nicht draussieht.
Wenn er hier jemanden finden würde, der ihm die Aktionen der Neu-
siedler abkauft, wäre er glaube ich der glücklichste Mann. Ich fürchte
allerdings, dass er, selbst wenn er noch so viel jetzt abschlägt,
keinen Käufer so leicht finden wird. Kreisky sicherte ihm nur zu,
dass im Herbst über die gesamte Papierfrage geredet wird und man
Lösungen wird finden müssen, um die Papierindustrie zu sanieren.