Mittwoch, 20. September 1972
Im Bundesrat informierte ich Kirchschläger, daß Marquet nicht
bereit ist, den Kommentar zu unseren Brüsseler Verhandlungen zu
machen. Kirchschläger meinte, daß er dafür Verständnis hat. Er
selbst hat seinerzeit sich auch bereit erklärt, ein Kommentar
zu den Staatsvertragsverhandlungen, an denen er maßgeblich be-
teiligt war, mitzuverfassen. Nach 3 Wochen ist er draufgekommen,
daß er unmöglich die Zeit aufbringen kann, um Quellenstudien,
um historische Betrachtungen, um wirklich detaillierte Untersuchun-
gen anstellen zu können, hat er doch nicht genügend Zeit. Heute
sagt er, daß er außerdem froh ist, dieses Kommentar nicht gemacht
zu haben, denn wenn er seine damaligen Auffassungen schriftlich fest
gelegt hätte, hätte er jetzt als Außenminister die größten Schwie-
tigkeiten im Lichte der Entwicklung noch seine damaligen Auffassungen
einigermaßen zu vertreten. Kirchschläger vergißt nur dabei, wie
ich ihm ausführte, daß er immerhin jetzt Außenminister ist, was
von Marquet kaum anzunehmen ist, daß er jemals in eine so verant-
wortliche Position kommt, wo ihm Kommentarstellungnahmen unangenehm
sein könnten. Ich muß aber zugeben, daß Marquet als viel zu ge-
wissenhafter Beamter wahrscheinlich wirklich eine solche Funktion
nur dann nach seinen Bedürfnissen erfüllen könnte, wenn er in Pen-
sion wäre, wo er kaum noch andere Arbeiten nebenbei zu verrichten
hätte. Unter diesen Umständen bleibt uns gar nichts anderes übrig,
als eine Arbeitsgruppe von jungen Leuten gegebenenfalls mit dieser
Arbeit zu betrauen. Niemand kann sich eigentlich darüber auffegen,
weil wir alle in Betracht kommenden Hauptverantwortlichen für die
Vertragsunterzeichnung in der Beamtenschaft diese Arbeit, die
eigentlich sehr ehrend ist, angeboten haben. Wanke und ich denken
daran Michitsch und Segalla, der jetzt bereits den Integrations-
bericht verfassen soll, und von Brüssel Hausberger für diese Arbeit
zu gewinnen.
MR. Manhart vom Finanzministerium und Dr. Kretschmer erzählten mir,
daß die anderen EWG-Staaten nicht die Vorbereitungen so weit ge-
troffen haben, daß die Gewähr gegeben ist, mit 1. Oktober das
Interimsabkommen tatsächlich in Kraft setzen zu können. Selbst
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die so gewissenhaften Deutschen sind außerstande, bis zu
diesem Zeitpunkt die Ursprungszeugnisse, d.h. die Warenbe-
gleitpapiere fertig ausgedruckt zu haben. Ebenso liegen bis
jetzt noch immer keine Dienstanweisungen für die Zöllner vor.
Es ist mit Sicherheit anzunehmen, daß daher in den ersten Tagen
und Wochen zu chaotischen Zuständen, die allerdings nicht von
Österreich verschuldet sind, kommen wird. Österreichischerseits
wurde von den Beamten im Finanzministerium nicht nur alle Vor-
kehrungen durch Erlässe bereits betroffen, sondern es wurde
auch im Grenz-Verlag eine umfassende Darstellung der ab 1.1.
anzuwendenden Zölle und Zollverfahren durch eine eigene Broschüre
festgelegt. Ausgedruckt und bereits an alle interessierten ver-
teilt. Androsch hat veranlaßt, daß diese Unterlagen allen Mit-
gliedern des Bundesrates und des Finanz- und Zollausschusses so-
wie des Integrationsausschusses zugesendet wurden. Damit hat
er nicht nur die Beamten ausgezeichnet, sondern auch den Mit-
gliedern des hohen Hauses bewiesen, wie tüchtig seine Bürokratie
ist. Ich muß sagen, daß dies nicht nur eine schöne Geste, sondern
zweifelsohne auch ein sehr praktisches und optisch gute Maßnahme
gewesen ist.
Mit den Handelsdelegierten aus den EWG-Staaten und den jetzt EWG-
beitretenden Staaten, die sich in Österreich derzeit aufhalten,
hatte ich eine Aussprache und die Berichtsidee, die MR. Meisl
vorgeschlagen hatte, zu besprechen. Meisl hatte den blendenden
Einfall man sollte die Anwesenheit der Handelsdelegierten benützen,
die jetzt Besprechungen mit den einzelnen Unternehmungen führen,
daß sie am Ende einen schriftlichen kurzen Bericht über ihre Ein-
drücke dem Handelsministerium zur Verfügung stellen. Um eine
einigermaßen einheitliche Berichterstattung zu erreichen, wurde
vereinbart, daß Dr. Gleissner und Meisl eine Frageschema ausar-
beiten. Auf Grund dieser Mitteilungen können wir dann entsprechende
Veranlassungen treffen, um den Wünschen der Wirtschaft entgegen-
zukommen. Bei dieser Aussprache wollten einige Handelsdelegierte
durch Mitteilung wie bedeutend ihre Besprechungen derzeit mit
den Unternehmungen sind, die Notwendigkeit von Handelsdelegierten
mir gegenüber begründen. Ich erwiderte, ohne daß ich natürlich die
Einzelheiten verriet, daß sie mich über die Notwendigkeit der
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Handelsdelegierten nicht überzeugen müssen.
Bei einem anschließenden Gespräch mit Walkolbinger, Gleissner
und Dr. Koch wies ich darauf hin, daß von Seiten der Beamten-
schaft vereinzelt Überlegungen angestellt werden, doch Handels-
attachés zu errichten. Ich stellte ausdrücklich fest, daß ich
diese Meinung nicht für gut halte. Bei dieser von Gen.Sekr.-Stv.
Walkolbinger gewünschten Aussprache ging es darum, die beab-
sichtigte Attacke von Dr. Haselbach, Institut für Entwicklungs-
forschung, abzuwehren. Haselbach hat bei einer Enquete, die
Kreisky mit den Jugendorganisationen abhält vorgeschlagen, man
sollte wesentlich mehr für die Entwicklungshilfe dadurch leisten,
daß man AHF-Beiträge heranzieht. Derzeit sind die Außenhandels-
förderungsbeiträge 3 Promille und ihm schwebt vor, man könnte
diese ohne weiteres erhöhen und der Entwicklungshilfe, d.h.
der Caritas und sonstigen Organisationen zur Verfügung zu stellen.
Die Bundeskammerdelegation erklärte mir nun, was ich allerdings
sowieso schon wußte, daß solch ein Vorgehen gegen das Gesetz
verstoßen würde. Stimmte in diesem Punkt der Delegation zu,
verwies aber darauf, daß wir doch für eine stärkere Entwicklungs-
hilfe auch AHF-Beiträge heranziehen sollten. Die Vertreter der
Handelskammer haben dann unter dem Druck der Ereignisse und vor
allem der Gefahr die sie heraufkommen sehen, zugestimmt, daß
ich sehr wohl bei einer Diskussion über die Entwicklungshilfe
in der Regierungsklausur erklären könnte, daß die Handelskammer
bereit ist, weitere Mitteln für Projekte im Entwicklungsländern
zur Verfügung zu stellen. Der Handelskammer schwebt vor, daß
sie so wie bis jetzt vereinzelt in stärkerem Ausmaß konkrete Pro-
jekte, die noch einigermaßen als Exportförderung dargestellt
werden können, finanzieren wird. Zu diesem Zweck hat das Präsidium
vor längerer Zeit bereits einen Fonds in der Handelskammer ge-
gründet, der ca. 10 Mio. S umfassen soll, wo nach Genehmigung durch
das Präsidium solche Einzelprojekte ausgeführt werden können.
Ich ließ der Delegation keinen Zweifel, daß mir das bisherige
Vorgehen als unzulänglich erscheint. Gen.Sekr. Walkolbinger be-
fürchtet, daß das Finanzministerium den derzeitigen Aufteilungs-
schlüssel der AHF-Beiträge ändern will. Diesbezügliche Berechnungen
und Überlegen sollen in der Himmelpfortgasse angestellt werden.
Ich erklärte, daß ich detailliert nicht informiert bin, wohl
aber volles Verständnis dafür habe, wenn es von Seiten des
Finanzministeriums zu einer Änderung des Aufteilungsschlüssels
kommt. Derzeit bekommt der Staat außer die 4 %igen Erhebungs-
kostenanteil noch 11,5 % im Gesetz könnte aber bis zu 25 % der
AHF-Beiträge vom Staate eingezogen werden.
Dr. Habig, der Präsident der Zuckerindustrie, hatte in Erfahrung
gebracht, daß das Wirtschaftsforschungsinstitut aufgrund der
Input-Output-Rechnung eine 4,33 %ige Entlastung vorsieht. Er
selbst meint nun, daß maximal 3,5 berechtigt wären. Diese 3,5
würden sich aus 1,7 % derzeitige Umsatzsteuer und 1,8 % Vorrats-
entlastung zusammensetzen. Die Vorratsentlastung errechnet
er so, daß er die in Mehrwertsteuergesetz vorgesehenen 2 % auf
80 % seiner Vorräte wirken läßt. Seiner Aussage nach kann er näm-
lich in der Bilanz nicht die 100 %igen Ansatz durchführen, da von
dem preisgenehmigten Zuckerpreis ca. 20 % zur Bilanzerstellung
vom Finanzministerium, d.h. dem Finanzamt, nicht anerkannt werden.
Da er in der Steuerbilanz den Gewinn und andere Posten nicht be-
rücksichtigen darf, sagt er, muß er dies auch bei den Vorrats-
entlastungssätzen absetzen dürfen. Da er den Zucker, der im Jahre
1973 bis zur nächsten Kampagne und darüber hinaus bereits erzeugt
hat, sieht er nicht ein, daß er eine höhere Entlastung als 3,5 %
absetzen müßte. Ein Hinweis, daß in diesem Fall andere Umsatz-
steueranteile in Rohmaterialen außer Zucker im Hilfsstoffen und
ganz besonders in Investitionen stecken, die doch auch zu be-
rücksichtigen sind, wie dies auch für andere Industrieunterneh-
mungen gilt, hat er nicht akzeptiert. Er meint, daß die Zucker-
industrie, die nur 1x im Jahr produziert und dann das ganze Jahr
den Zucker verkauft, eine Ausnahmeregelung auf alle Fälle gerecht.
fertigt erscheinen läßt. Hier wird es im Rahmen der Preisfest-
setzung noch schwere Auseinandersetzungen geben.
Anmerkung für WANKE
Bitte Marsch von der Vorsprache verständigen.
Dr. Bachmann von der Tiroler Gasgesellschaft wollte von mir
die Zustimmung, daß ich ihm gegenüber der ÖMV stärker vertrete
als ich dies bis jetzt gemacht habe. Er hat zugegeben, daß
durch meine Intervention die ÖMV überhaupt erst jetzt bereit
ist, mit der Tiroler Gasgesellschaft zu verhandeln. Gen.Dir.
Bauer hat in der letzten Zeit gegenüber Tirol einigemale sich
geäußert, daß sehr wohl eine Gasversorgung in weiterer Zukunft
möglich sein wird. Bauer erklärte, daß wenn die UdSSR entsprechend
Gasmengen nach dem Osten liefern, daß dann, ohne daß eine dies-
bezügliche Verbindung mit Tirol bereits existiert, über einen
Austausch mit bayrischen Gas sehr wohl eine Versorgung der Tiroler
Hauptstadt und Industriegebiete vorgenommen werden könnten. In
diesem Falle möchte Dr. Bachmann bereits jetzt eine fixe Verein-
barung, damit er ein diesbezügliches Gasnetz von Kufstein beginnend
aufbauen kann. Da wir derzeit nicht wissen, welche Gasmengen die
UdSSR bereit ist, vertraglich zusätzlich zu liefern, kann man
konkrete Zusagen natürlich überhaupt nicht machen. Genauso wenig
habe ich Dr. Bachmann zugesichert, daß ich von vornherein seine
Stellungnahme unterstützen werde. Ich erklärte, daß ich als unab-
hängiger Schiedsrichter zwischen der ÖMV und der Austria-Ferngas
und den Landesgesellschaften fungieren müßte und deshalb von vorn-
herein keine Absichtserklärung abgeben könnte. Insbesondere habe
ich abgelehnt, entsprechende preispolitische Unterstützung zu
gewähren. Ich erklärte Dr. Bachmann, daß die Auseinandersetzungen
zwischen den Landesgesellschaften, der Austria-Ferngas und dem
ÖMV-Vorstand ausschließlich auf kommerzieller Basis geführt
werden müssen. Wenn es zu keiner Einigung kommt, dann bin ich
sowieso verpflichtet, als Schiedsrichter zu fungieren. In diesem
Falle bin ich daher nicht bereit, im vornhinein eine Stellungnahme
für eine gewisse Gesellschaft oder Gruppe abzugeben.
Da ich Vizekanzler Häuser, auf ausdrücklichen Wunsch der Ärzte
von Kreisky, der ihn besuchte, übermittelt, nicht besuchen soll,
hatte ich längere Zeit im AEZ eine Passagendiskussion, die für
1 1/2 Stunden vorgesehen war, wesentlich zu überschreiten. Die
Diskussion, die um 16.00 beginnen sollte, ist zuerst nur sehr
karg angelaufen. Es sind zwar große Menschenmengen
sofort stehen geblieben, aber es haben sich sehr wenige Diskutanten
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gemeldet. Erst in weiterer Folge entwickelte sich dann eine
sehr lebhafte Diskussion. Natürlich war die Preisfrage die
Schulbuchaktion, Steuersenkung, die Politikerbesteuerung
Diskussionsgebiet. Die skeptischen Zuhörer haben mir durch
Zwischenrufe eine große Freude bereitet als sie erklärten,
an guaden Schmäh hat er. Angefragt wurde natürlich, ob auch
andere Minister solche Passagendiskussion jetzt oder nur vor
den Wahlen durchführen. Ich konnte darauf verweisen, daß ich
als Abgeordneter des 3. Bezirkses selbstverständlich eben im
3. Bezirk diese Diskussionen durchführe und die anderen Abge-
ordneten sicherlich in ihren Wahlkreisen dieselbe Arbeit leisten.
Anmerkung für HEINDL
Ich habe seinerzeit Bezirksvorsteher Seitler ersucht, er möge
eine Diskussion im Magistratischen Bezirksamt mit der Abg. der
ÖVP, d.h. der Oppositionspartei, anregen. Als wir in der Oppo-
sition waren, habe ich ebenfalls versucht, die ÖVP zu einer
solchen Diskussion zu bringen. Dies ist damals mißglückt. Auch
bis jetzt haben solche Versuche zu keinem positiven Ergebnis ge-
führt. Trotzdem wäre es zielführend, wenn Bezirksvorsteher Seitler
nochmals bei der ÖVP ganz offiziell anfragen würde. Wir werden
dies als Alibi für den Wahlkampf dringend benötigen.
Tagesprogramm, 20.9.1972