Dienstag, 1. Oktober 1974
Die Zuckerindustrie legte Wert darauf, dass ich Dr. Viton vom FAO
empfange, der für Zucker zuständig ist. Die Diskussion mit ihm war
sehr interessant, er berichtete, dass bis 1950 der Zuckerverbrauch
ca. 30 Mill. t betragen hat, ungefähr dasselbe wie in der Zeit vor
dem zweiten Weltkrieg und dann explosionsartig auf 80 Mill. t ge-
stiegen ist. Ausgelöst wurde dieser Mehrverbrauch bei Afrika von 30 dkg
auf 10 – 12 kg und Lateinamerika von 10 kg auf 35 – 40 kg pro Kopf
gestiegen ist. Asien hat derzeit noch einen unbedeutenden Verbrauch,
doch wird dies in Zukunft auch wahrscheinlich nach seiner Auf-
fassung sehr stark zunehmen. Dies ist allerdings nur möglich, wenn
sich der Zuckerpreis wieder normalisiert. Viton glaubt, dass dies
in den nächsten Jahren der Fall sein wird. Ich glaube sogar, dass
dies noch eher eintreten wird, weil nämlich die unterentwickelten
Länder, ob in Afrika, Asien oder Lateinamerika, kaum imstande sind
durch die Ölkrise bedingt Zucker in grösserem Masse einzuführen.
Für Indien können wir sogar feststellen, dass sie jetzt Zucker
exportieren, um Devisen zu bekommen, und den eigenen Verbrauch dros-
seln. Ein einziges Produkt hat eine so grosse Produktionsstei-
gerung erfahren und das ist Milch für Babys. Wichtiger als diese
Aussprache war mit, dass ich anschliessend mit Angyan und Hiller
über ihre beabsichtigte Pressekonferenz reden konnte. Ich habe
ihnen die heftigsten Vorwürfe gemacht, dass sie eine solche Presse-
konferenz einberufen haben. Ich empfahl ihnen sogar, sie sollten
diesen Viton jetzt als den Mann bei der Pressekonferenz vorstellen,
der international als Fachmann gilt und dort seine Theorie, die er
auch mir erzählte, darlegen sollte. Angyan meinte, dass Tulln mit
Donnerstag ihre gesamte Menge ausgeliefert hat und die anderen
Zuckerfabriken am Dienstag, Mittwoch spätestens als am 8.10.
ihre Auslieferung einstellen müssen, da sie keinen Zucker mehr
haben. Da die Kampagne aber erst am 15. beginnt, liegt eine Woche
dazwischen, die nach Auffassung Angyans ohne weiteres durch den
Handel überbrückt werden kann. Sie fühlen sich verpflichtet, der
Presse dies mitzuteilen, weil angeblich Frau Palme von der Presse
in Erfahrung gebracht hat, dass irgendwo in Tirol 2 Lebensmittel-
händler keinen Zucker mehr hatten, statt dass sie hergegangen wären und
sofort diese Firmen mit Zucker versorgt hätten, wahrscheinlich hätten
einige Kilo vollkommen genügt, glauben sie sich jetzt von der
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Presse ertappt zu haben und wollen sich auf diese Art und Weise
verteidigen. Meine Befürchtung ist, dass jetzt die Öffentlichkeit
aufmerksam gemacht wird, sofort Zucker kaufen wird und dann tat-
sächlich in mehreren Geschäften kein Zucker mehr vorhanden sein wird.
Andererseits bin ich überzeugt, dass bei Zucker die Lager vom Gross-
handel, Kleinhandel, aber auch von den Haushalten gut versorgt sind,
sodass wenn die Bevölkerung Ruhe bewahrt, eigentlich nicht viel pas-
sieren dürfte. Hiller hat dann unseren Pressereferenten Puffler
der die Pressekonferenz besuchte und mir berichtete, mitgeteilt,
dass er in Paris war, als man ei der Zuckerindustrie beschloss,
diese Pressekonferenz abzuhalten. Als einzige Gegenmassnahme kann
ich nun versuchen, Zuckergrosshändler und Spediteure zu finden,
so eventuell grössere Zuckermengen lagern. Sollte es nämlich zu
einer entsprechenden Versorgungskrise kommen, dann muss sich meine
Theorie bestätigen, dass dies nur auf die ungeschickte Art der
Zuckerindustrie und deren Verteilung zurückzuführen ist. Ich hatte
Habig vor Wochen schon gesagt, er soll für die Süsswarenindustrie
und für Leute, die viel Zucker von ihm beziehen wollen, ganz einfach eine
administrative Methode einschalten, indem er die gewünschten Mengen
nicht ausliefert und sogar mit der Auslieferung entsprechend ver-
zögernd zuwartet. Sollte sich jemand dann beschweren, hätte er sich
auf mich berufen können. Ich bin nämlich überzeugt, dass die Süss-
warenindustrie ebenfalls mit Zucker so gut eingedeckt ist, dass sie
gegebenenfalls 8 Tage ohne Zuckerzulieferung leicht auskommen kann.
Hätte er daher die entsprechende Streckung vorgenommen, müsste jetzt
für den Konsumzucker noch eine gewisse eiserne Reserve auf diese
8 Tage, die er überbrücken muss, vorhanden sein. Wie weit im Kleinen
Grenzverkehr heute wirklich die Mengen Zucker hinausgehen oder wie
man sogar behautet, durch Autobus-Chauffeure, Flugzeugführer usw.
hinaustransportiert werden, kann ich schwer prüfen. Eines weiss
ich nur, dass man im Handelsministerium meinem Wunsch, die Export-
ziffern genau zu überprüfen, so nachgekommen ist, dass man die wichtigen
Zuckermischungen nicht beachtete. Die Hauptschwierigkeit liegt darin,
dass es scheinbar unmöglich ist, jemanden zu finden, der analytisch ein
Problem angeht.
Im Ministerrat berichtet Kreisky, dass es der VÖEST und der Linz-
Chemie gelungen ist, alle Abschlüsse mit den Polen unter Dach und Fach
zu bringen. Dies sei erstens das Ergebnis der wirtschaftlichen guten
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Situation, zweitens der guten Aussen- aber auch Handelspolitik mit
den Oststaaten und drittens die Gespräche, die er mit Jaroszewicz
bereits im Vorjahr begonnen hat. Polen beabsichtigt, den österr.
Handel zu bevorzugen und um dem Westen zu dokumentieren, dass es
nicht ausschliesslich nach dem COMECON ausgerichtet ist. Österreich
könnte daher mit allen Oststaaten durch günstige Abschlüsse im An-
lagenbau z.B. Prototypen entwickeln, die man dann auch woanders hin
verkaufen könne. Der Westen sei nach wie vor ein verhältnismässig
unsicherer Handelspartner, er ist überzeugt, dass die EWG, wenn es
in eine Krise kommen würde, auch auf dem Industriesektor genauso
vorgehen würde, wie jetzt bei der Landwirtschaftlichen Situation,
d.h. sich trotz Vertragsverpflichtung abzusperren. Ein kleines
Problem sei noch die Frage der Finanzierung, doch auch hier würde
man eine entsprechende Lösung finden. Auf dem Finanzsektor ist er über-
haupt der Meinung, dass Wien ein taking place werden könnte, der
neben der SU und den westlichen Banken wie auch den USA eine ara-
bische Bank aufnehmen sollte.
Kreisky wies auch darauf hin, dass beim Staatsbürgerschaftsverfahren
verlangt wird, eine Bestätigung beizubringen, dass der frühere Staat
den Betreffenden entlässt. Dies ist im Osten unmöglich. Er hätte
jetzt bei Jaroszewicz intervenieren sollen, weil ein polnischer Arzt,
der jahrelang bereits in Wien arbeitet und sehr tüchtig ist, nicht
diesen Nachweis erbringen kann. Er hält es für ausgeschlossen, dass
man Jaroszewicz mit einer solchen Kleinigkeit belastet, andererseits
es für ungeschickt, dass man überhaupt aus dem Osten solche Be-
stätigungen verlangt. Rösch klärte ihn sofort auf, dass bereits ein
Erlass existiert, wonach es genügt, dass er nachweist, einen An-
trag gestellt zu haben, wenn nach 3–6 Monaten darauf keine Antwort
kommt, was meistens der Fall ist, dann gilt der Nachweis als erbracht
und dieser Punkt der Richtlinien als erfüllt. So steht es auch im
Staatsbürgerschaftsgesetz. Ich kann überhaupt nicht verstehen,
warum wir so komplizierte Bestimmungen haben, um Menschen, die bei
uns arbeiten wollen und arbeiten können, die Einbürgerung so schwer zu
machen.
Ein Loch in meinem Zeitprogramm und ganz besonders die Notwendigkeit
über die Probleme in einem grösseren Kreis zu diskutieren, hat dann
dazu geführt, dass wir ein Büro-jour-fixe eingeschoben haben.
In Hinkunft sollten wir überhaupt viel mehr die Zeit nützen,
und uns öfters über Grundsatzprobleme auseinandersetzen.
Nichts kann mehr ins Auge gehen, als wenn wir unvorbereitet
durch Umstände begindt ein Problem lösen müssen, resp. über-
haupt erst darauf gestossen werden. In der Energiefrage resp.
in dem Sparappell von Kreisky hatten wir im vergangenen Jahr eine
ganz gute Ausgangsbasis gestartet, sowohl Koppe in der Konsumen-
teninformation als auch wir bei uns wurden einige Vorarbeiten
geleistet. Wichtig ist, dass das Energieproblem aber vom
Standpunkt des Sparens her weder gelöst werden kann, noch
befriedigend in Angriff genommen werden kann. Jede Massnahme
hat fast nur optische Bedeutung, eine Erkenntnis, die ich aller-
dings bereits im Vorjahr bei der sogenannten "Energiekrise" machte.
Schon damals erkannte ich und ich glaube wir alle, dass hier wirk-
lich Politik nach dem Motto, die Welt will betrogen sein, nur ge-
macht werden kann. Alle sogenannten Einsparungen wie Strassenbeleuch-
tung, Schaufensterabstellung, Warmwassersparen usw. bringt in Wirk-
lichkeit nur unbedeutende Promille-Erfolge. Trotzdem gibt es op-
tisch einige Punkte, die man politisch eben motivieren und ver-
langt und die die Bevölkerung und wahrscheinlich auch einige
Politiker, die sich für Details nicht kümmern, befriedigt. Das
Konzept, das wir erstellten, baut nun auf einer ganzen Reihe
von Vorschlägen auf, die man im einzelnen weiter verfolgen soll,
wie Wanke richtig und systematisch darlegte, von der Produktionsseite
für Industrie bis zu Verteiler- und Letztverbraucherseite – Haus-
halt. Der Nachteil war nur fast bei allen Vorschlägen, wie Koppe
richtig bemerkte, dass in jedem Fall ungeheure Aufwendungen
zu machen sind. Man spart Energie, gibt aber vorher viel Geld
aus, um die Voraussetzungen für diese Energiesparmassnahmen
zu schaffen.
Ein wichtiger Punkt war die Reorganisation des Hauses. Wir müssen,
auch dann, wenn es im Oktober schief gehen sollte, die pessimisti-
sche Note jetzt ist nicht auf das AK-Wahlergebnis zurückzu-
führen, sondern war seit eh und je die Konzeption von uns,
muss insbesondere in der Personalfrage und dem Personalein-
satz vorangetrieben werden. Schipper hat jetzt für das Referat
Kieslich eine Kompetenzabgrenzung vorgenommen, die wir akzep-
tieren können. Allerdings mit einer wichtigen Ergänzung: Kieslich
soll nur die Dienstpostenbeschreibung erhalten und wir möchten
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nun als kleine Ergänzung noch die Dienstpostennachbestellung.
Damit wären die Aufnahmen auch für Kieslich reserviert. Eine
Massnahme, die wir dringendst brauchen. In diesem Fall würde dann
auch Wimmer von der Böhm-Abteilung Kieslich zugeteilt. Ein Angriff,
dass es sich um eine rein politische Massnahme handelt, könnte dann
so begegnet werden, dass eigentlich sowohl der Abteilungsleiter als
selbstverständlich auch der Präsidialist, ja sogar der ihm zugeteilte
Wimmer eben nicht Sozialisten sind, dass es sich hier nicht um
eine politische Frage handelt. Was wir aber wirklich brauchen
ist, ist dass – wie Fachleute, die das Haus jetzt von innen kennen,
wie Bukowski, Wanke, Gehart und Wais aber ganz besonders auch
Heindl – hier eine Detailinformation über die Aufnahmeansuchen
usw. erhalten müssen. Alle sind sich darüber klar, dass wir
wegen diesem Fall einen Streit bekommen und wahrscheinlich sogar im
Parlament hart attackiert werden könnten.
In der ÖGB-Fraktion wurde vom Vorsitzenden Weisz, da Kreisky
und Benya noch nicht anwesend waren, Hrdlitschka aufgefordert.
über die AK-Wahlen zu berichten. Hrdlitschka hat das Wahlergebnis
furchtbar hergenommen. Montag abends erzählten mir Genossen, die
dabei waren, dass sie ihn förmlich aufrichten mussten, weil er
scheinbar nicht angenommen hat, dass wir doch einen 5,3 %-igen
Verlust der Stimmen erleiden werden. Über das Ergebnis entspann
sich dann auch eine verhältnismässig sehr kritische und nervöse
Diskussion. Zum Glück endete sie dann, wie alle Diskussionen nach
Wahlniederlagen, man sagt, man wird das Ergebnis genau analysieren,
momentan kann man das ja noch nicht, weil die Endergebnisse im
Detail noch nicht vorliegen, man wird sich also dann die ent-
sprechenden Gesamtergebnisse bis in die Sprengel oder Betriebe
ansehen und man wird insbesondere dann notwendigen Konsequenzen
aus der Wahlvorbereitung, der Wahlwerbung usw. ziehen. Sekanina
hat sicher recht, dass die AK-Wahl andere organisatorische
Voraussetzungen bedingt und auch eine andere Wahlwerbung bedingt
als dies bei allen anderen – ob Landtags-, Gemeinderats- oder
Bundeswahlen – der Fall ist. Benya wies darauf hin, dass wir im
Westen deshalb so schlecht abgeschnitten haben, weil dort überall
auch unsere Genossen in den Gewerkschaften glauben, man sollte
volksparteilicher sein als die Volkspartei. Er ärgert sich schein-
bar darüber, dass insbesondere die dortigen parteipolitischen
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Funktionäre gegen das Strafrecht und insbesondere § 144 und
ORF-Reform auftreten. Kreisky wieder führte die Verluste auf ein
Mentalitätsproblem zurück. Er kann feststellen, dass die abwan-
dernden Bauernsöhne vom ÖAAB sofort weiterbetreut werden und dass
deshalb hier dadurch die Einbruch in die Arbeiterschaft der
ÖVP gelingt. In Wirklichkeit glaube ich, und dies kam in der
Diskussion auch teilweise zur Sprache, liegt es primär an mangelnden
organisatorischen Voraussetzungen, die wir im Laufe der Jahre nicht
geschaffen haben. Die Betreuung der Arbeiterschaft durch Gewerkschaft
oder AK müsste das ganze Jahr hindurch viel enger mit den Funktio-
nären in den Betrieben erfolgen. Der einzige, der noch Direktkontakt
mit den Leuten hat, ist der Betriebsrat oder soll der Betriebs-
rat sein. Der Gewerkschaftssekretär müsste in Wirklichkeit ständig
diesen Kontakt aufrechterhalten, kommt aber vielleicht nicht dazu,
zumindestens wird dies behauptet. In Wirklichkeit aber, glaube ich,
und da hat Benya recht, ist unser Apparat erstarrt, gute Leute als
Funktionäre in den Betrieben werden, wenn sie angestellt sind, dann
sofort schreibtischfaul, versuchen alles mit dem Telefon zu lösen,
und meiden verständlicherweise, für mich zumindestens, die Konfron-
tation. Die wichtigste Erkenntnis, dich ich aber aus den Wahlen
zu Arbeiterkammer gewonnen habe, ist dass es unmöglich ist, gegen
eine Person wie Bertram Jäger, der ein geschickter Politiker ist
und sich in Vorarlberg aktiv um alles kümmert, mit einem umstrittenen
Gegenkandidaten Grassner zu besiegen. Der ehemalige Präsident der
Arbeiterkammer Vorarlberg Grassner war innerhalb seiner eigenen
Gruppe – Textilarbeiter – nach der letzten Niederlage umstritten.
Gekommen ist die Entwicklung dort überhaupt, dass man den seiner-
zeitigen Präsidenten der Arbeiterkammer Graf, ein Eisenbahner,
mehr oder minder auch wegen seiner ungeschickten Art geglaubt hat,
man muss ihn durch Grassner ersetzen. In Tirol wieder ist der Streit
zwischen Kammeramtsdirektor und Präsidenten mit der Entfernung des
Kammeramtsdirektors beendet worden, der Präsident selbst aber hat
sich innerhalb seiner Funktionäre nicht durchsetzen können. Dort,
wo sich der Kammerpräsident viel um die Belange der einzelnen Be-
triebe kümmert und wahrscheinlich auch oft in Erscheinung tritt,
wie im Burgenland und Salzburg, haben wir verhältnismässig gut
abgeschnitten. Leider ist noch immer die Mentalität, dass für
den Posten eine Kammerpräsidenten verdiente Gewerkschaftsfunk-
tionäre meistens dann sogar als Auslauf ihrer politischen Karriere
gut genug ist. Ich habe mich seit eh und je gegen diese Auffassung
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gewendet. Notwendig ist es, dass junge agile Funktionäre für diese
so wichtigen Ämter gefunden werden, deren Ziel es sein muss, eben
die Bedeutung der Arbeiterkammer natürlich unter Wahrung der Prio-
rität des Gewerkschaftsgedankens und damit auch des ÖGB in Erscheinung
tritt.
Da ich als zweiten Punkt über die wirtschaftliche Situation kurz be-
richten sollte, erwähnte ich nur unser Zuckerproblem und ganz besonders
natürlich die zu erwartenden Preissteigerungen bei Gas. Der Wunsch
der Ölindustrie, gegebenenfalls am Ölsektor etwas zu machen, habe ich
dort erklärt, wird grosse Schwierigkeiten bringen. Auf alle Fälle werde
ich die Heizöl-extraleicht-Preise versuchen unverändert zu halten.
Benya meinte in seinem Diskussionsbeitrag, dass wir erwartet hätten,
dass 1975 die Lebenshaltungskosten unter 9 % sinken, während die
Prognose des Wirtschaftsforschungsinstituts, die ich dort auch ver-
trat, mit 9,5 % nach Benyas Meinung zu hoch ist und deshalb unterschrit-
ten werden sollte. Voraussetzung dafür ist, dass man in der Lohn-
politik sehr verantwortungsbewusst vorgeht. Wahrscheinlich gibt
es einzelne Gruppen, aber auch innerhalb der Metallarbeiter eine Bewe-
gung, die meint, man sollte wesentlich höhere nominelle Lohnforderungen
stellen. Die zu erwartende Gaspreiserhöhung, meint Benya, könnte und
müsste von uns verkraftet werden.
Veselsky berichtete mir, dass es bei der VÖEST einen konkreten Ab-
schluss über die Melaminanlage gegeben hat, weil diese Kösch be-
zahlen wird. Die anderen Projekte hängen noch immer an der Finanzierung.
Zwischen der VÖEST-Direktion und der Chemie-Linz hat es den Vorständen
ganz harte Auseinandersetzung vor den Polen gegeben. Angeblich, so
behauptet Veselsky, verkehren die Vorstände nur mehr über ihn.
Chemie-Linz, Buchner, soll mit den Krupp-Werken einen Vertrag haben,
um eine Anlage bei den Polen zu errichten, was er sowohl der Verstaat-
lichten Industrie, Sektion Gatscha, als auch Veselsky, ja selbst
der ÖIAG verschwiegen haben soll. Die Polen haben dann offiziell
aber auch mir gegenüber erklärt, dass sie einen solchen Exklusiv-
vertrag mit Krupp, Deutschland, nicht haben und daher sehr wohl die
VÖEST selbst auch ins Geschäft kommen könnte. Kreisky war über diese
Mitteilung von Veselsky, der zuerst erklärt hat, er will ihm dies
gar nicht sagen, aber dann doch berichtete, sehr empört. Ich habe
nur erklärt, dass ich wegen der Düngepreisfrage Buchner treffen und
dieses Problem mit ihm besprechen werde. Innerhalb der Verstaat-
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lichten Industrie dürfte es also ganz grosse Spannungen geben, die
eigentlich von den Zuständigen nicht gemildert werden können,
sondern scheinbar noch immer stärker eskalieren. Hier kommt mir
die Gesamtkonzeption und Politik des Handelsministeriums sehr zu-
statten. Da wir in Wirklichkeit kaum Entscheidungsmöglichkeiten ha-
ben, brauche ich mich auch nicht in diese Streitfragen einzumischen,
ja ich werde ja nicht einmal gefragt oder informiert. Da anderer-
seits alle Betriebe, ob verstaatlicht oder privat, von mir
aber meistens irgendwelche Unterstützung brauchen, die allerdings
dann nicht dazu führen, dass man woanders aneckt, so komme ich
in die glückliche Situation, nicht entscheiden zu müssen, gar nicht
gefragt zu werden, andererseits aber allen Betrieben jedwede Unter-
stützung zu geben, die sie von mir wünschen, wie z.B. Einladung
von Ministern, Unterbreitung von Wünschen bei Handelsvertrags-
besprechungen usw. Wenn ich mir allerdings vorstelle, dass wir mit
unserem Apparat wirklich wirtschaftspolitische Entscheidungen treffen
müssten, dann denke ich mit Entsetzen an eine solche Situation.
Gehart hat mit Recht gesagt und dies richtig charakterisiert, dass
das Handelsministerium seit Jahrzehnten nichts anderes gemacht
hat als exzepert. Bei irgendwelchen Problemen, die aufgetaucht
sind, hat es interministerielle Besprechungen einberufen, dann
von der Handelskammer eine entsprechende schriftliche Stellung-
nahme verlangt, darauf rot eingehakt, was ihr wichtiger schien
und einen Ministerratsvortrag oder einen sonstigen Akt angelegt.
Jetzt von den Beamten analytische Arbeit zu verlangen, eine Aktivi-
tät zu entfalten, um sich entsprechende Informationen zu verschaf-
fen, selbst mehrere Alternativ-Entscheidungen vorzubereiten, das
kann und will dieser Apparat niemals machen. Dies ist glaube ich
auch wirklich unser Dilemma für die nächsten Jahre, so wie in den
vergangenen Jahren.
Tagesprogramm, 1.10.1974
22_1172_01Tagesordnung 134. Ministerratssitzung, 1.10.1974
22_1172_03Nachtrag TO 134. Ministerratssitzung, 1.10.1974