Dienstag, 5. November 1974
Kirchschläger hat auch Sekt.Chef Frank in seinen Salonwagen gebeten
und wir konnten über die Empfehlungen zum Energieplan meine Grund-
sätze durchdiskutieren. Kritisch war nur die Frage der Kohlengruben-
einstellung in Pölfing-Bergla und Fohnsdorf. In Pölfing-Bergla
können können wir auf die neue Wolframhütte verweisen, die 1976
gerade wenn die wirtschaftliche Auskohlung erreicht ist, den
Bergarbeitern dort entsprechend Arbeitsplätze verschafft. Für
Fohnsdorf gibt es keine Lösung, die wir jetzt vor den Wahlen
bereits dokumentieren könnten. Aichfeld-Murboden schafft zwar
neue Arbeitsplätze, hat aber gezeigt, dass die Bergarbeiter nicht
zuletzt durch den Druck, dem sie durch ihre Kollegen ausgesetzt sind,
nicht bereit sind, die Grube zu verlassen. Hauptsächlich natür-
lich aber auch wegen der zusätzlichen Abfertigung, die sie wenn
die Grube stillgelegt wird, bekommen, nicht darauf verzichten wollen.
Bei Elektrizität, Gas und Öl war nur meine bisherige Konzeption:
Österreich Drehscheibe, alle Gesellschaften, ob verstaatlichte, in-
ternationale, Landesgesellschaften, nicht abhängige Aussenseiter
wie die weissen Tankstellen usw., darzulegen und aufrechtzuer-
halten. Darüber hinaus das Pipeline-System für Gas, Öl und die
Elektrizitätsschienen zu verstärken und ebenfalls zwischen Ost
und West auszubauen, eine Forderung, die kaum auf Widerstand
stossen wird. Kritisch in dem schon ausgesendeten Konzept ist
nur, dass für die zukünftige Finanzierung der Elektrizitäts-
wirtschaft eine Abgabe vorgeschlagen wird. Leider wurde dies zu
spät entdeckt. Wenn auch für den Ausbau in Hinkunft beträcht-
liche Mittel gebraucht werden, wäre es politisch aber auch
wirtschaftlich logischer gewesen, die Abgabe nicht zu erwähnen,
sondern eben über den Preis eine Eigenfinanzierung zu ermöglichen.
In diesem Fall hätte derselbe Erfolg erzielt werden können, ohne
dass man uns politisch vorwirft, wir hätte eine neue Steuer ein-
geführt. In weiterer Folge werden die Kohlengruben dann automatisch
kommen und ebenfalls eine Abgabe für ihre Existenz auf die
Elektrizitätswirtschaft, den sogenannten Kohlengroschen pro kWh ver-
langen.
Bei der 50-Jahr-Feier der Ill-Werke hat Kessler meine Anwesenheit
benützt, um auf den föderalistischen Aufbau der Elektrizitäts-
wirtschaft und die Wünsche des Landes Vorarlberg an die Ill-Werke,
d.h. an den Bund, mich direkt angesprochen. Mir war es nur recht,
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denn ich konnte dann in meiner Erwiderung feststellen, dass
genauso wie bei den Fremdenverkehrsproblemen ich ihnen schon
bewiesen hatte, dass ich für den föderalistischen Aufbau volles
Verständnis habe, auch für mich das zweite Verstaatlichungsgesetz
gilt und damit die Landes- und Sondergesellschaften sowie die Ver-
bund in ihrer Kompetenz abgegrenzt sind. Trotzdem meinte ich,
es wäre notwendig, von der Koordination, hier nahm ich bezug
auf das Ausbauprogramm, welches die Länder und der Verbund in den
letzten Jahren geschlossen hatten, zu einer Kooperation, d.h. zu
einer wirklichen Zusammenarbeit zu kommen. Dies ist nicht zuletzt
wegen der grossen Einheiten und ganz besonders wegen der Atom-
kraftwerke, die in Hinkunft gebaut werden müssen, dringendst
notwendig.
Erbacher, der mich wegen der Aufsichtsratsgebühren ansprach, er-
klärte ich, dass ich bereit bin, die bisherigen Aufsichtsratsgebühren
in den einzelnen Gesellschaften weiter zu akzeptieren. Die Bindung
an die Vorstandsbezüge, der Vorsitzende bekommt jetzt einen Monats-
bezug als Aufsichtsratsentschädigung, die anderen die Hälfte, durch
die Aufsichtsratsgebühren automatisch immer mitsteigen, lehne
ich nach wie vor ab. Meine Begründung geht dahin, dass die Be-
triebsräte jetzt zu einem Drittel im Aufsichtsrat sitzen werden,
die keine Aufsichtsratsgebühren bekommen und deshalb grössere Span-
nungen entstehen müssten, wenn sie bemerken, dass die Aufsichtsrats-
gebühren ständig steigen. Meistens ist eine solche Erhöhung sowieso
ungerechtfertigt. Erbacher war froh, dass ich ihm überhaupt die
Möglichkeit gegeben habe, am nächsten Tag bei der Aufsichtsrats-
sitzung der Ill-Werke die Aufsichtsratsgebührenfrage für das nächste
Jahr wenigstens mit der gleichen Höhe vorschlagen und damit lösen
zu können.
Den Handelskammerpräsidenten von Vorarlberg Gassner habe ich sofort
gefragt, wieso seine Institution dem Redakteur Hager sagen kann,
dass in Vorarlberg jetzt eine kritische Arbeitsmarktsituation
durch dutzende Betriebe auf Kurzarbeit-Umstellung und sogar Ent-
lassungen zu erwarten ist. Gassner meinte sofort, dies sei ihm
vollkommen unerklärlich und ich verlangte von ihm, dass ich mit
seinen Beamten in Bregenz im Arbeitsamt treffen sollte. Bei dieser
Aussprache, wo Dr. Ilg und ein zweiter Herr erschienen war, stellten
wir fest, dass es nur zwei Betriebe gab, wo derzeit Kurzarbeit
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eingeführt werden soll. Die Firma Kunerth hat in der letzten Zeit
ca. 200 Arbeitskräfte freigesetzt, weil sie mit Strumpfhosen,
aber auch mit anderen Textilprodukten in Schwierigkeiten gekommen
ist. Eine zweite Vorarlberger Firma, Wolf, hat dagegen den Markt
besser genützt, nicht so expandiert und hat nicht nur Arbeitskräfte
nicht freigesetzt, sondern in der letzten Zeit sogar vereinzelt aufge-
nommen. Die beiden Firmen, die auf Kurzarbeit übergehen, sind
ALPLA, eine Plastikflaschenfabrik, die in drei Schichten arbeitet
und besonders viele Türken beschäftigt. Der Chef fragte mich, ob
es nicht möglich wäre, dass man den Türken jetzt bereits den
A-Sichtvermerk von der Polizei, wonach sie wieder nach Österreich
im Jänner zurückkehren können, jetzt aber bereits auf Urlaub fahren
würden. Bis jetzt war es so, dass dieser A-Sichtvermerk frühstens
Anfang Dezember gegeben werden durfte. Ich habe mich nach meiner
Rückkehr sofort mit Rösch ins Einvernehmen gesetzt und die ent-
sprechende A-Sichtvermerk-Genehmigung wird sofort erteilt.
Die zweite Firma ist die Gummisohlen-Fabrik Allemania, ein
Tochterbetrieb der Semperit, wo die Finish-Abteilung auf Kurz-
arbeit übergehen muss, da sie die dortigen Beschäftigten nicht
entlassen wollen. Durch einen Modewandel wird jetzt für die
Gummisohle nicht mehr so viel Abschlussarbeit durchgeführt, d.h.
die Sohlen werden nicht mehr durch Lackieren usw. auf besonders
schönes Aussehen gebracht.
ANMERKUNG FÜR WIESINGER: Bitte mit Gen.Dir. Rueger, Semperit, ver-
binden.
Nicht nur die Firmen waren sehr überrascht, sondern auch natürlich
die Funktionäre in Vorarlberg, und ich glaube, als ich dann mit
Kirchschläger darüber sprach, auch er, dass ich mich so um die
Details einschalte. Ich glaube, aber dass dies notwendig ist,
um den Unternehmen das Gefühl zu geben, es kümmert sich jemand
um sie, wenn sie in schwierigere Situationen kommen. Ganz besonders
wichtig ist es aber für die dort Beschäftigten.
Am Abend hat dann Kirchschläger Gen.Konsul Demuth, einen weit entfern-
ten Verwandten von ihm, der gleichzeitig Generaldirektor von der
Autokredit AVA ist, eingeladen. Hier handelt es sich um einen
bürgerlichen österreichischen Offizier, der sicherlich als Patriot
und guter Österreicher in einem Dilemma ist, weil er auf der einen
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Dienstag, 5. November 1974
Nach der 50-Jahrfeier der Illwerke von 1/2 11 bis nach 4 Uhr
hatte ich zuerst eine Aussprache mit den Vertretern der Handels-
kammer Vorarlbergs Dr. Ilg und Dr. Walch sowie den Vertretern
des Arbeitsamtes Vorarlberg, dem Landesarbeitsamtsleiter Neururer
und seinen Mitarbeitern über die Beschäftigungslage. Es wurde ein-
vernehmlich festgestellt, dass in Wirklichkeit nur bei der Fa. Kunerth
200 in der letzten Zeit entlassen wurden, obwohl in einem anderen
Textilbetrieb, Wolf, sogar Leute systematisch aufgenommen werden.
Kunerth hat sich nur in der Vergangenheit, ohne sich um die wirt-
schaftliche Lage zu kümmern, stark expandiert, während nun die
Beschäftigungslage insbesondere auf dem Strumpfhosensektor für ihn
kritisch wurde. Momentan waren nur von der Fa. Alpla, Kunststoff-
fabrik in Hard, 230 Beschäftigte gefährdet. Ebenso ein Problem bei der
chemischen Erzeugung der Fa. Allemagna für 81 Beschäftigte, davon
64 Gastarbeiter, sollten kurzarbeiten. Ich fuhr dann sofort mit Neuru-
rer und den Handelskammerleuten zu den Firmen, die sehr überrascht wa-
ren.
Als ich Kirchschläger auf der Rückfahrt davon berichtete, hat er
so wie auch die anderen, mit denen ich gesprochen habe, gemeint,
dies sei die richtige Methode, um Gerüchten oder Panikmache
sofort entgegenzutreten, wobei sicherlich meine Amtsvorgänger sich
niemals so weit in Details eingearbeitet resp. bereit waren, Firmen,
denen es schlecht geht wirklich zu besuchen.
Mit Kirchschläger habe ich dann das Problem seines Gewerkschafts-
beitrittes besprochen, wobei ich ihm vorschlug, wir sollten es der
Gewerkschaft öffentlicher Dienst insbesondere deren Obmann
NR Gasperschitz überlassen, von welchem Zeitpunkt sein Beitritt
gelten soll. Kirchschläger meinte, er hätte mit seiner Unterschrift
bereits 1970 dokumentiert, dass er dem ÖGB, allerdings keiner Fraktion
beitreten will. Ich habe Gasperschitz dann im Nationalrat unter vier
Augen noch einmal auseinandergesetzt, wie es zu dem missglückten
Beitritt von Kirchschläger gekommen ist. Er hat mir sofort bestätigt,
dass ich ihm seinerzeit während des Wahlkampfes schon in einer
Bundesvorstandssitzung diese Erklärung gegeben habe, die er gar
nicht bezweifelt. Er selbst schlug vor, die beste Lösung ist,
nachdem ja darauf kein Politikum gemacht werden soll und er selbst
auch am liebsten die Angelegenheit bereinigen würde, wenn man
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Kirchschläger mit Beitrittsdatum 1970 die Jahre nachzahlen lässt.
Dies kann eine Gewerkschaft umso leichter tun, obwohl es eigent-
lich einen grundsätzlichen Beschluss gibt, dass nicht rückwirkend
jemand aufgenommen wird, weil Kirchschläger ja keine wie immer gear-
teten Vorteile aus dieser Mitgliedschaft, sei es Pensionszuschuss oder
sonst irgendetwas erwartet.
Bei der Rückfahrt hat Kirchschläger ausser Sektionschef Frank auch
noch einen weit bekannten oder verwandten Generalkonsul Demuth
von der AVA zu sich in den Salonwagen gebeten. Für uns war es eine
Anerkennung und es war ein typischer Abend, wo sich ein prononcierter
Schwarzer, er ist mit Sallinger gut befreundet, immer wieder lobend
nicht nur über mich als Handelsminister, sondern vielmehr noch über
die wirkliche Zusammenarbeit und unser aller Österreichertum lobend
aussprach. Die Frage, die ich mir nur immer wieder stelle, ist, ob
diese Leute, die sicherlich nicht bei uns Eindruck schinden wollen,
oder es auch gar nicht notwendig haben, sich an uns anzubiedern,
wenn sie solche lebenden Bemerkungen machen, dann bereit sind, bei Wah-
len auch tatsächlich uns zu wählen. Vielleicht haben sie es 1970
und 1971 getan. Ob sie es 1975 tun werden, ist fraglich.
Kirchschläger bemerkte zur Fristenlösung, dass z.B. die Attacken der
Arbeiterzeitung jetzt gegen das Volksbegehren, wo gleichzeitig jetzt
gesagt wird, dies sie eine reine ÖVP-Aktion, damit die Christen, welche
gezwungen oder freiwillig das Volksbegehren unter-
schreiben, wenn man sie dazu zwingt, dass man sagt, das sind
ÖVP-Massnahmen, dann tatsächlich bei der nächsten Wahl sagen werden,
dann wähle ich halt wirklich die ÖVP und wenn von 100 nur
einer so denkt, der bis jetzt nicht ÖVP gewählt hat, so sind eben
1 % unserer Stimmen allein wegen dieses Volksbegehrens weg. Leider
fürchte ich, werden es viel mehr sein.
Tagesprogramm, 5.11.1974
Tagesordnung 139. Ministerratssitzung, 5.11.1974
23_1332_04hs. Notizen (TO Ministerratssitzung Rückseite)