Samstag, 7. Dezember 1974
Bei der Ankunft des DDR-Außenhandelsministers Sölle war
eine riesige deutsche Kolonie anwesend. Von der Botschaft waren
drei Pioniere, unter anderem auch der 8-jährige Sohn des Bot-
schafters, in Tracht erschienen und überreichten Sölle Blumen.
Sölle kam auch mit einer Sondermaschine, sein Empfangskomitee
war jämmerlich. Bei dem von mir gegebenen Mittagessen war die
Situation dann umgekehrt. Förster, den ich ersuchte, bei den
Unterzeichnungsformalitäten um 16.00 anwesend zu sein, erklärte
sofort, er hätte keine Zeit. Der einzige, der dafür sofort Ver-
ständnis hatte, war Igler, der dann tatsächlich auch um 16 Uhr
zur Unterzeichnung des Vertrages erschien. Die Verhandlungen, die
wir führten, waren formlos, wir hatten nicht einmal eine Tages-
ordnung. Die differenten Ziffern, unserer Statistik nach exportie-
ren wir ein bisschen mehr als 1 Milliarde Schilling, nach deutscher
Statistik importieren die wesentlich mehr als 2 Milliarden Schil-
ling, erklärt sich daraus, daß sie nicht nur die Transitgeschäfte,
die sie letzten Endes natürlich uns bezahlen müssen, aufnehmen,
sondern auch von den österreichischen Exporten nach unserer
Statistik dazugekaufte Teile, soweit sie sich trennen lassen, als
nicht-österreichische Lieferungen aufscheinen.
Anmerkung für WANKE: Ich möchte einmal eine Aufklärung, wie in
verschiedensten Ländern mit dem Osten, aber auch, glaube ich, mit
den westeuropäischen Daten die verschiedenen Bewertungen der Au-
ßenhandelsstatistik durchgeführt werden
Wirklich problematisch war nur, daß Sölle nach wie vor glaubt,
daß durch die Vidierung mit 1. Jänner 75 die Liberalisierung
weitestgehend wieder ausgeschaltet wird. Er gebrauchte sogar den
Ausdruck, daß dadurch der deutsche Export stranguliert werden
könnte. Ich versicherte ihm neuerdings, daß wenn die DDR nicht
unseren Markt durch entsprechende Niedrigpreise deroutiert oder
Firmen damit endgültig ruiniert, eine wie beabsichtigte Ausnahme
mit der Vidierung verbunden ist als eben eine Registrierung der
Menge und der Preise. Ich bin davon fest überzeugt, daß wir in
einem Jahr über dieses Problem nicht einmal mehr reden werden.
Eine wirkliche Benachteiligung ergibt sich für die DDR aus der
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Zolldiskriminierung, obwohl er diesen Ausdruck gar nicht ver-
wendete. Ich selbst habe ihm aber sofort gesagt, weil ich ihm
erklärte, es ist nicht üblich, wenn man offen diskutiert, etwas
zu umschreiben oder gar zu verheimlichen. Durch die 60 %-ige
Zollsenkung der EG-Staaten auf Grund unseres Freihandelszonen-
vertrages kommt die DDR jetzt in ein schlechteres Verhältnis.
Die DDR hat keinen Zoll und muß, um auf dem österreichischen Markt
konkurrieren zu können, jetzt diese 60 % Zollsenkung aus ihren
Profiten oder Preisen tragen. Sölle erklärte, er beabsichtige
nicht, einen Zoll einzuführen, doch gibt es in der DDR Stimmen,
die dies verlangen, um Retorsionsmaßnahmen zu haben. Ich glaube,
dies trifft uns deshalb weniger hart, als jetzt auch in der DDR
die Preise entsprechend manipuliert werden. Wenn man aus Österreich
beziehen will, dann überspringt man alle Schwierigkeiten, das-
selbe gilt auch für die Exporte. Trotzdem haben ihm seine Ex-
port- u. Importorganisationen Berechnungen angestellt, daß bis
zu 25 % Preisdiskriminierung entstehen könnte, der Durchschnitt
bewegt sich aber zwischen 4,8 max. 12 %. Natürlich rechnen sich
die Unternehmungen aus, daß sie diese bis 12 % leicht lukrieren
könnten, wenn eben keine Zölle bei uns eingehoben würden. Ich
erklärte Sölle, hier kann ich ihm keine wie immer geartete Zusage
machen, weil ich außerstande bin, eine solche dann auch zu er-
füllen. Sein Hinweis, daß er jetzt mit Finnland verhandelt und
ähnlich wie bei anderen Staatshandelsländern eine solche Regelung
anstrebt, habe ich sofort derart erwidert, daß wir zwar über die
finnischen Maßnahmen informiert sind, doch daß diese für Österreich
nicht in Frage kommen. Österreich hat alle diese Freihandelszonen-
regelungen, sei es im Rahmen der EFTA oder mit EG mit den beiden
neutralen Staaten, Schweiz und Schweden, gemeinsam beschlossen und
beabsichtigt unter gar keinen Umständen von diesem Weg oder von
dieser Gruppierung abzuweichen. Sölle hat dies derzeit als unüber-
brückbare Meinungsverschiedenheit zur Kenntnis genommen.
Sölle ist, glaube ich, sehr beeindruckt über die persönliche
Betreuung, die ich ihm anbiete. Er hatte, als ich in Berlin war,
sich wegen der Leipziger Messe kaum um mich kümmern können. Dies
machte ich ihm auch gar nicht zum Vorwurf. Andererseits weiß ich
aber, daß gerade die Oststaaten größten Wert darauf legen, mehr
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als protokollmäßig behandelt zu werden, deshalb habe ich mich
auch sehr geärgert, als ich erfuhr, daß bei seiner Ankunft im
Handelsministerium überhaupt niemand beim Portier war und er
deshalb schon allein aus diesem formellen Fehler mit Recht
hätte beleidigt sein können. Botschafter Fleck aber hat mir
erklärt, da hätte sich wieder einmal bewiesen, wie gut es ist,
wenn der Botschafter sich in einem Ministerium gut auskennt.
Ottahal, den ich diesbezüglich zur Rede stellte, meinte, es sei
sowieso jemand dort gewesen. Ob Ottahal dies beabsichtigte, be-
zweifle ich gar nicht, durchsetzen hat er sich auf alle Fälle
wieder einmal nicht gekonnt. Ottahal hat mir ganz im Gegenteil
sogar dann noch gesagt, es hätte große Schwierigkeiten gegeben,
den Deutschen die Kraftwagen zur Verfügung zu stellen, weil ein
Chauffeur, wie er erfuhr daß er am Samstag fahren muß, sich krank-
gemeldet hat, obwohl er nach Auffassung von Ottahal sicher gar
nicht krank ist, und auch andere erklärt haben, sie fahren nicht,
denn dies sei nicht ihre Pflicht. Mir ist ein solches Verhalten
vollkommen unverständlich und vor allem, daß Ottahal dies durch-
läßt. Ich werde diesbezüglich mit Schipper eine ernst Aussprache
führen.
Anmerkung für BUKOWSKI: Kläre den Sachverhalt und insbesondere,
ob der Kranke Montag wieder kommt und welche ärztliche Beschei-
nigung er vorlegt und mit Schipper und mir reden.
Tagesprogramm, 7.12.1974