Anfang bis 5. Jänner 1975
Sowohl auf dem Reisseck als auch im Kautsky-Kreis am Semmering
wurde das Finanzierungsproblem diskutiert. Der Vizegouverneur
Walter Fremuth hat eine budgetmässig, rechtlich und den Statuten
der Postsparkassa und der Nationalbank entsprechende Lösung
gefunden. Durch die Mindereinnahmen aus der Mehrwertsteuer hat
Androsch besonders in den letzten Monaten des Vorjahres eine
budgetäre Lücke gehabt. Niemand hätte diesen Ausfall der Mehrwert-
steuereingänge voraussehen können. Die Erklärung liegt nicht allein
darin, dass es jetzt schon wieder Gewerbebetriebe und ganz besonders
Dienstleistungsbetriebe gibt, die erklären, entsprechend geringere
Preise festzusetzen, wenn man auf eine Rechnungslegung ver-
zichtet. Wie sie dies mit dem Vorsteuerabzug dann machen, ist nicht
ganz klar. Tatsache ist, dass man jetzt bereits wieder ohne Rech-
nung wesentlich geringere Preise bezahlt als eben mit der 16 %-igen
Mehrwertsteuerrechnung.
ANMERKUNG FÜR WANKE: Lejolle soll vielleicht auch nach Rücksprache
mit seinem Finanzkollegen in der Ullmannstrasse diese Vorgangsweise
klären und berichten.
Ausser dieser Steuerhinterziehung soll das System der Mehrwert-
steuer den grösseren Bauunternehmen und auch sonstigen Investitions-
insbesondere Anlagengüterproduzenten die Möglichkeit geben, den Vor-
steuerabzug längst beim Finanzamt geltend gemacht zu haben und die
endgültige Steuerabrechnung erst nach Fertigstellung des Baues, der
Anlage usw. durchführen zu müssen. Dies und vielleicht noch andere
Lücken, die ich vielleicht gar nicht im einzelnen kenne, dürften die
hauptsächliche Ursache des Umsatzsteuerausfalles gewesen sein.
Dadurch ergab sich eine 5–7 Mia. S betragende Finanzierungslücke
im Jahre 1974, die in der Jahre 1975 weitergeschleppt wurde. Zuzüg-
lich zu der zu erwartenden Finanzierungslücke 1975 ergibt es nun
die Theorie, dass es unmöglich sein wird, ohne Steuererhöhungen
über die Runden zu kommen. Von konjunkturpolitischen Standpunkt er-
scheint mir das Defizit gerade richtig. Ich habe auch bei der
Aussprache am Semmering, allerdings nicht in der öffentlichen
Sitzung sondern in kleineren Gruppengesprächen wieder erklärt,
dass mir die finanzielle Situation konjunkturpolitisch richtig
angelegt erscheint. Ich war immer ein Inflationist, d.h. ich habe
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die güterseitige Wirtschaftslösung immer einer geldseitigen Wirt-
schaftslösung vorgezogen. Natürlich bin ich über die Preissteigerun-
gen nicht erfreut, betrachte sie aber als ein kleineres Übel. Wenn
wir daher im heurigen Jahr einen gewissen Wirtschaftsrückschlag aus
der Weltwirtschaftlichen Situation erwarten müssen, dann erscheint
mir eine staatliche Defizitwirtschaft als ein kleineres Übel um
die güterwirtschaftliche Seite wenn irgendwie möglich aufrecht zu
erhalten. Interessanterweise teilen jetzt auch die meisten Genossen
und Kollegen, sei es vom ÖGB, der AK aber auch von unseren Kredit-
instituten, ja sogar von der Nationalbank meine Meinung. Dies gilt
insbesondere für die konjunkturpolitisch kritische Phase des Jahres
1975. Grünwald hat nur grosse Bedenken, dass es nicht möglich sein
wird, der deutschen Wirtschaft die italienische so weit zu stützen,
dass diese nicht zusammenbricht. Sollte es zum Zusammenbruch der
italienischen Wirtschaft wirklich kommen, dann allerdings nützt
unsere innenkonjunkturpolitische Stützte der österreichischen
Wirtschaft gar nichts. Wenn dies aber nicht zutrifft und ich zweifel
nicht daran dass die Deutschen letzten Endes im Rahmen der europäi-
schen Gemeinschaft helfen müssen und werden, dann kann durch unsere
Konjunkturpolitik insbesondere der verstärkten Staatsausgaben die
zu erwartenden Rezessionsphase des beginnenden Jahres 1975 besser
überwunden werden als wenn wir ein ausgeglichenes Budget hätten und
dieses Deficit spending nicht betrieben könnten. Fremuth hat nun
für die äusserst kritische Phase des Jahreswechsels Androsch empfoh-
len, dass er von der Postsparkasse bereit ist, Staatsrechnungen zu
übernehmen, wenn die Nationalbank bereit ist, einen Teil ihrer Wert-
papiere der Postsparkasse in Eskont zu nehmen. Die Vereinbarung
konnte getroffen werden und 2 Mia. S waren zur Bezahlung von Rechnun-
gen des Staates durch dieses System möglich, Androsch hat sich
mir gegenüber sehr verbittert gezeigt, dass er deswegen von Graber
aus der Presse angegriffen wurde. Er hat mit Recht gesagt, hier hat
die Unternehmerzeitung dazu beigetragen, dass die Unternehmer jetzt
ihr Geld vom Finanzminister bekommen, dafür aber den Finanzminister
attackiert. Graber hat sogar von einem Verfassungsbruch geschrieben,
wobei Fremuth auf dem Standpunkt steht, dass dies eine ungeheure
Verleumdung ist. Der Eskontrahmen bei der ÖNB beträgt nach seinen
Überlegungen und Philipp Rieger hat dies auch nicht bestritten bis zu
15 Mia. S, so weit geht auf Grund der Bonität der Kreditinstitute
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die Berechnungen der Nationalbank, allerdings wurde dieser Rahmen
noch niemals ausgenützt. Richtig ist aber, dass bis zu 7 Mia. S
in den vergangenen Jahren der Eskontrahmen leicht von den Kre-
ditinstituten in Anspruch genommen wurde. Als Fremuth die Operation
empfahl, betrug der Eskontrahmen – Ausnützung 5 Mia. S. Die 2 Mia.
zusätzliche Eskontmittel waren daher gar nicht aussergewöhnliches.
Darüber hinaus war es auch in der Vergangenheit so, dass wenn die
anderen Kreditinstitute insbesondere die Creditanstalt, Länderbank
und andere Banken ein Konsortium für Staatspapiere gegründet haben,
sie ebenfalls teilweise im Eskont zur Nationalbank gegangen sind.
Was Treichl recht war, müsste auch für die Postsparkasse – Fremuth
gelten. Jetzt verstehe ich umso besser, dass meine Diskussion mit
Sallinger und Mussil über dieses Problem in der ersten Phase von
Sallinger, der die Details nicht kannte, auch ich war eigentlich
nicht so genau informiert, erklärt wurde, er müsse das ganze Problem
überprüfen und Mussil dies dann übernommen hat. In der zweiten Phase
wo scheinbar Mussil dann genau informiert war, hat er sich so aus
der Verlegenheit ziehen wollen, indem er erklärte, er könne Graber
nicht zensurieren, wie ich dies von ihm verlangte. Genau dies ist
aber nicht der Fall sondern ich habe nur darauf aufmerksam gemacht,
dass Androsch eigentlich hier im Interesse der Bezahlung der Rech-
nung für die Wirtschaft einen Finanzierungsweg beschritten hat,
der Verwaltungsschulden vom Finanzministerium an die Unternehmer
im Finanzministerium an die Postsparkasse ergab. In Wirklichkeit
aber behauptet Fremuth, dass dies gar nicht der Fall ist, denn
die Rechnungen aus dem Jahre 1974 können bis 20. Jänner 1975 bezahlt
werden, die Verwaltungsschuld gegenüber Postsparkasse erscheint des-
halb erst im Jahre 1975 auf. Wie dem auch sei, auf alle Fälle ist
diese Finanzoperation eleganter und wie Fremuth eben versichert
vollkommen gesetzesgedeckt als meine ursprüngliche schon in der
Arbeiterkammer immer wieder in Erwägung gezogene Lösung ähnlich
der deutsche Mefo-Wechsel-System. Wären wir nämlich in der zweiten
Republik in irgendeiner Phase in eine Wirtschaftskrise gekommen,
dann hätte ich auf alle Fälle dafür plädiert, ähnliche wie das Schach
in Nazi-Deutschland gemacht hat, mit Mefo-Wechseln die Wirtschaft
anzukurbeln.
Das einzige Problem, das auch beim Kautsky-Kreis und bei den
Diskussionen am Reisseck immer wieder als unbefriedigend und
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ungelöst betrachtet wird, ist durch die Inflation bedingte
Einkommensverteilungsverschiebung. Die Höherverdienenden, ob
Selbstständige oder Unselbständige ist in diesem Fall ziemlich
gleich, haben die Chance eher, von der Inflation zu profitieren
als die mittleren und kleineren Bediener. Ganz besonders aber
kommen die Leute schlecht weg, die sich keine Sachgüter anschaffen
können und ihr erspartes Geld in Kreditinstituten liegen haben.
Selbst die Sparprämien oder bei Anleihen die Steuerbegünstigung
schaffen hier nicht annähernde Ausgleiche. Meiner Meinung nach
gibt es eine einzige Möglichkeit die Sachwertbezieher zu einer
grösseren Steuerleistung heranzuziehen. Dies geht wahrscheinlich
sogar ohne besonderes gesetzliche Änderungen durch Erhöhung der
Einheitswerte. Tommy Lachs hat zugegeben, dass er solange er sich
nicht seine Villa gebaut hat, Vermögenssteuer bezahlen musste, jetzt
aber durch die Tatsache, dass der Einheitswert der Villa nur die
Hälfte der tatsächlichen Aufwendungen beträgt, wird er automatisch
wieder vermögenssteuerfrei.
ANMERKUNG FÜR WANKE: Wer verfolgt in unserem Haus diese Entwicklung
und könnte uns genau informieren, ohne dass er im Finanzministerium
Rückfrage hält?
Von einigen Seite konnte ich hören, dass man über die Ausschaltung
unserer Experten sowohl aus der ökonomischen als auch auf anderen
Sparten sehr verbittert ist. Sowohl in der Unterrichtsverwaltung als
auch in der Justiz ganz besonders aber auf dem Hochschulsektor
wurden in der Oppositionszeit, aber auch in den ersten Regierungs-
monaten noch die Experten und Fachleute herangezogen, manchmal
auch zwischendurch mit ganz grossen Aufgaben betraut und niemand
hat sich dann gekümmert, was aus ihren Diskussionen und Vorschlägen
wurde. Ich betrachte dies auch als einen Vorwurf für diesen Teil
der ökonomischen Konferenz, den ich zu betreuen hatte. Wir haben
seinerzeit auf dem Sektor Energie, Fremdenverkehr, Preise und
auch Industrie eine Arbeitsgruppe gegründet. Die Arbeitsgruppe
Industrie musste ich dann und ich war darüber sehr glücklich an
das Bundeskanzleramt abtreten, weil es sich hier um eine koordi-
nierende Aufgabe mehrerer Ressorts gehandelt hat. Die Arbeitsgruppen
Fremdenverkehr, Preispolitik und Energie haben aber Vorschläge aus-
gearbeitet, die wir grösstenteils sogar verwirklicht haben. Der
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Fehler war, dass wir dann letzten Endes, obwohl wahrscheinlich wir
am meisten gegenüber Kreisky und Androsch unsere Arbeitsgruppe
beschäftigten und auch informierten, dann doch nicht mehr Kontakt
mit ihnen gehalten. Ich habe deshalb Gehart sofort draussen vorge-
schlagen, wir sollten die Arbeitsgruppe neuerlich zusammenrufen und
über die Ergebnisse dieser drei Gebiete Energie-Preise und Fremden-
verkehr informieren. Es muss für unsere Eggheads nichts frustrieren-
deres geben als wenn man sie auf der einen Seite auffordert, immer
wieder mitzuarbeiten, womöglich kurzfristige Termine setzt, so dass
sie Samstag/Sonntag arbeiten müssen, und dann von ihrer Arbeit
womöglich nicht einmal Kenntnis genommen wird. Wenn man aber
andererseits ihre Ergebnisse zur Grundlage der Politik macht, dann
soll man ihnen auch berichten, was geschehen ist und sicherlich auch
ein anerkennendes Wort aussprechen. Viele behaupten, dass ich dies
sowieso immer mache, dass aber scheinbar andere dazu nicht die
Zeit haben.
ANMERKUNG FÜR WANKE: Welche bessere Möglichkeit der Kontaktnahme
und der Anerkennung könntest Du Dir mit unseren externen Mitarbei-
tern noch vorstellen?
Kienzl hat in Anwesenheit von Benya die Gelegenheit benützt, um seine
lohnpolitische Konzeption vorzutragen. Nach wie vor glaubt er, dass
der richtige Weg ist, wenn man die höheren Einkommen entsprechend
der inflationären Entwicklung, die er erwartet, beschränken zu
müssen. Meiner Meinung nach möchte er jetzt mit den Millionen-
einkommen beginnen, dann aber so schnell als möglich bis zu den
Facharbeitern herunter eben immer wieder den höheren Einkommen
entsprechende Kürzungen auferlegen, damit er für die kleinen
Einkommen eine grössere Aufstockung ihrer Löhne und Gehälter und
Renten finanzieren könnte. Hier liegt er meiner Meinung nach voll-
kommen falsch. Wir werden weder gewerkschaftlich stark genug sein
so etwas durchzuziehen, noch könnte ich mir vorstellen, dass dies
die Bevölkerung tatsächlich erwartet und befriedigt. Was die Leute
wirklich aufregt, sind Millioneneinkommen, sind die Verträge, die sich
einzelne Manager herausreissen können und die in der Öffentlichkeit
dann diskutiert werden. wenn man hier etwas ändern will, dann
müsste man hier bei diesen optisch so ungünstigen und meistens
wie die Wiener sagen unterm Hüterl ausgemachten Verträge von viel-
leicht einigen Dutzend Leuten, die mehr oder minder im öffentlichen
Licht stehen, abrücken. Dazu wird es wahrscheinlich sogar früher
oder später kommen.
hs. Notizen Kautsky-Kreis, 5.1.1975
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