DONNERSTAG, 1. Mai 1975
Die Wiener Maikundgebung war, obwohl der dritte Bezirk sehr aus-
liess, sehr beeindruckend. Noch mehr aber hat mich überrascht, als
ich nachmittags in Wolkersdorf, einer so schwarzen Gegend, einen
verhältnismässig schönen Zug und dann einen vollen Saal zur Mai-
feier vorfand. Im Saal war es um so leichter ein wirklich politi-
sches Referat zu halten, auch dann wenn ich es so wie immer, mit
dem Wiener Schmäh auflockerte. Ich hätte diese Tagesnotiz aber gar
nicht notiert, wenn am Abend ich nicht Gelegenheit gehabt hätte
nach langer Zeit wieder einmal Fernsehen zu können. Die Deutschen
machen jetzt eine Serie von 10 Filmen über die Arbeitswelt. Der
erste war gut gemacht in meinen Augen. Behandelte die Schwierigkeiten
die Arbeiter haben ihre Löhne durchzusetzen und war natürlich geeig-
net im FS 2 dann darüber eine riesige Diskussion loszulassen. Um
22.30 Uhr begann sie unter Leitung von Nenning, als Unternehmer-
vertreter Hanreich von der FPÖ, als Arbeiterkammermann Jäger aus
Vorarlberg, der junge neue Löwe im Schleinzer-Team, von der KPÖ
der Kulturreferent der Volksstimme und von den Sozialisten Zen-
tralsekretär Wille von den Metallarbeitern. Mir war unerklärlich
wie es zu einer solchen Zusammensetzung kommen konnte.
ANMERKUNG für KOPPE: Vielleicht kannst Du erfahren, wie diese Zu-
sammensetzung zustande kam, ohne dass auffällt dass ich mich dafür
interessiere.
Die Diskussion ergab für mich keine neuen Gesichtspunkte ausser,
dass natürlich der kommunistische Redakteur ununterbrochen die
Sozialpartnerschaft und die laxe österreichische Gewerkschafts-
politik attackierte und niemand der drei anderen Teilnehmer, die
sich zu einer solchen Politik bekannten, ihm wirklich entgegen-
trat. Wille war dazu sich zu fein, wollte wahrscheinlich nicht auf
das Niveau des Angreifenden herabsteigen, sondern verlangt immer nur
Fakten, die dieser natürlich nicht lieferte, sondern immer wieder
neue Andeutungen machte, die aber sicherlich bei den Sehern grossen
Eindruck machen. In meinen Augen und nach meinen Urteil beherrschte
deshalb die revolutionäre Seite, wenn ich dass so bezeichnen darf,
was allerdings falsch ist, aber Wendl sich sicher als solcher fühlt,
die über eine Stunde dauernde Diskussion. Als Ergänzung zu diesem
Film und für vernünftige Gewerkschafter und Wirtschaftspolitiker
eine harte Bandage. Wenn die Filme, die noch kommen, ähnlich sind
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und sich daraus dann solche Diskussionen entwickeln, kann
ich mir ungefähr schon ausmalen, was für ein Erfolg dieser neuen
Linie, mehr von der Arbeitswelt im Fernsehen zu zeigen, zu erwarten
ist. Ich bin der Letzte, der unser jetziges System als ideal hinstellt,
dass nicht reformiert werden soll. Ich fürchte aber, dass wenn wir
auf diesem Weg fortschreiten, es zwar zu einer entsprechenden Dis-
kussion und letzten Endes auch Reaktion kommen wird, dass aber damit
wahrscheinlich mehr zerstört als tatsächlich verbessert werden kann.
Tagesprogramm, 1.5.1975