Dienstag, 30. September 1975
Der Betriebsrat Hötzeneder von Alemannia verständigt Reim, dass
jetzt doch 10–15 Arbeiter und 6 Angestellte mit 31.12.1975 ge-
kündigt werden. Seinerzeit hat mir Gen.Dir. Rueger gesagt, es be-
steht heuer keine Absicht, Leute freizustellen. Ich habe Rueger an-
gerufen und er hat mir sehr verlegen und nervös gesagt, die paar
Angestellten, die jetzt gekündigt werden müssen, sollen sich nicht
aufregen, es besteht keine Möglichkeit mehr, alle zu halten. Die
Unternehmungsleitungen werden scheinbar jetzt auch schon sehr
nervös, bedingt durch die schlechte Konjunkturlage. Was ich nur
bei grösseren Entlassungen befürchte ist, dass die Arbeiterschaft
sich an alle möglichen Stellen, darunter auch natürlich an das
Handelsministerium wendet, dass ihr nicht geholfen wird. Dies muss
dazu führen, dass nicht nur das Vertrauen darunter leidet, sondern
dass dann auch eine Resignation Platz greift. Schon bei den ersten
Anzeichen einer Rezession oder vielleicht sogar besser gesagt
einer Krise, spüre ich mit ganzer Härte, oder glaube zumindestens
zu spüren, die politischen und vor allem wirtschaftspolitischen
soziologischen Folgen dieser Situation. Einmal mehr fühle ich, wie
recht ich bis jetzt seit 30 Jahren mit meiner Theorie gehabt habe,
dass alle anderen Wirtschaftsprobleme ein Kinderspiel dagegen sind,
mit Ausnahme der Arbeitslosigkeit oder wenn man auch so sagen will
der Verelendung gewisser Gruppen der Bevölkerung. Früher oder
später führt es nämlich wie die Krise in den Dreissigerjahren ge-
zeigt hat, dazu.
Gen.Dir. Seidl von Lenzing ruft an und meint, ich sollte bei den
Polen wegen der 1.6 Mia. S ausnahmenden Lackdrahtfabrik intervenieren.
Er ist auch bei Austro-Plan engagiert und diese möchte dieses Pro-
jekt gerne haben und wissen, ob es und wann es endlich zugeschlagen
wird. Seidl ist damit einverstanden, dass ich derzeit nichts unter-
nehme, weil bei den letzten Polen-Besuch man mir ausdrücklich ge-
sagt hat, dass dieses Projekt derzeit nicht verwirklicht wird.
Es wurde ausdrücklich zurückgestellt. Seidl wird sich bei dem
Handelsdelegierten in Warschau erkundigen.
ANMERKUNG FÜR GEHART: Bitte mich auf dem laufenden zu halten, was
wir über dieses Projekt erfahren können.
Vor dem Ministerrat spreche ich mit Androsch über die Pfändung
von 15 Mill. S bei den Gemüseimporteuren aus Bulgarien wegen einer
Umsatzsteuerschuld bis zum Jahre 1972. Androsch sieht sofort ein,
dass unabhängig, was das Verfahren ergibt, keinesfalls die weiteren
Importe aus Bulgarien dadurch verhindert werden, dass der bulgari-
sche Exporteur nicht mehr bereit ist zu liefern, weil er befürchtet,
dass die Erlöse für seine Ware nicht mehr transferiert werden können,
sondern eben vom Finanzamt gepfändet werden. Androsch ersucht seinen
Sekretär sofort das Problem im Finanzministerium dahingehend zu klären,
dass die bulgarischen Exporte gesichert werden können.
ANMERKUNG FÜR GEHART: Bitte Bulgaren und österr. Firmen sofort ver-
ständigen lassen.
Kreisky berichtet in der Vorbesprechung, dass SJ, Freiheitskämpfer
und andere Organisationen bei ihm waren, um zu verlangen, dass der
Botschafter einberufen wird, wir in der UNO gegen Spanien auftreten
und insbesondere wirtschaftliche Repressalien verlangt werden. Die
Genossen meinten, dass die schwedische Regierung bereits entsprechende
Taten gesetzt hat, wobei Kreisky allerdings richtigstellt, hier handelt
es sich um die schwedische Partei, in der Palme Vorschläge gemacht
hat. Als wichtigsten Punkt meinten auch die Genossen, man sollte
den Urlaubsreisenden empfehlen, dass sie Spanien nicht mehr als
Urlaubsort wählen. Dagegen hat Kreisky mit Recht grösste Bedenken,
weil es dann hiesse, dass wir bei allen anderen Staaten mit dem
dortigen System einverstanden sind, weil wir ja keine negative Empfeh-
lung geben. Wir beschlossen, den Botschafter zurückzurufen, uns an
den Aktionen zu beteiligen, die von demokratischen Staaten gestartet
werden. Den kommunistischen Staaten spricht Kreisky mit Recht die
Legitimation ab, sich womöglich zum Wortführer der freien Welt
gegen Spanien zu machen. Auf alle Fälle werden wir an solchen
Aktionen nicht teilnehmen. Kreisky glaubt, dass die Armee in Spanien
die Macht ergreifen wird, da die Opposition gespalten ist, ein Flügel
der Opposition, der Kommunisten, Sozialisten und auch bürgerliche
Gruppen angehören, möchte eine neue Zessur in der spanischen Ent-
wicklung. Die andere Gruppe aber, ebenfalls manchmal Sozialisten und
Bürgerliche dabei, möchte, dass das ganze sich einschleift und demo-
kratisiert, ohne dass ein neue Abschnitt der spanischen Geschichte
beginnen sollte. Ich erwähne nur die Tatsache, dass jetzt in Madrid,
Barcelona und Bilbao grosse Österreich-Ausstellungen mit Verkäufen
gestartet werden sollen und die Firma bereits bei mir mit einem
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Telegramm interveniert hat. Selbstverständlich können wir auf die
wirtschaftlichen Beziehungen in so einem Fall nicht Rücksicht nehmen.
Die Handelskammer ist leider in den letzten Monaten und Jahren sehr
weit vorgeprellt. Sie hat allen Ernstes geglaubt, es wäre eine gute
Exportsituation für die österreichische Wirtschaft, wenn man unabhängig
von der politischen Entwicklung jetzt alles daransetzt, ins Ge-
schäft zu kommen. Die Warnungen, die sowohl Bielka als auch ich immer
wieder ausgesprochen haben, man sollte sich Zurückhaltung auferlegen,
wurden in den Wind gesprochen. In der Handelskammer dürften Gruppen,
die auch politisch dem System näher stellen oder wohlwollend gegenüber
stehen, sich bis jetzt stärker bemerkbar gemacht haben als es für die
österreichische Wirtschaft gut ist. Ich bin schon sehr gespannt, was
Gleissner und Mussil jetzt sagen werden. Bei einer AEZ-Diskussion am
Abend wurde ich wegen Spanien auch angesprochen und habe von allen dort
Applaus bekommen, als ich die Regierungsmassnahmen erläuterte und
dort waren ungeheuer viele ÖVP-ler oder zumindestens Sympathisanten.
Im Ministerrat hat Androsch das Budget eingebracht, es in der Mini-
sterratsvorbesprechung jedem 10 Minuten geborgt und dann – ich weiss
nicht aus welchen Gründen – wieder eingesammelt. Einige Minister haben,
allerdings ohne dass es Kreisky oder Androsch gehört haben, sich darüber
mokiert. Androsch dürfte ein ganz ungutes Gefühl haben, dass dieses
Budget noch im Wahlkampf eine Rolle spielen könnte, weshalb er schein-
bar die Exemplare hütet wie die Henne ihr Küken. Genützt hat es ihm
allerdings wenig, wie einige bemerkten, denn die wichtigsten Ziffern
konnte man schon in den Zeitungen lesen. Wenn aber in den nächsten
Tagen Detailinformationen hinauskommen sollten, dann kann Androsch
wenigstens nicht erklären, dass die undichte Stelle bei den Mini-
sterien liegt. In diesem Fall kann es sich nur um seine eigenen Leute
eventuell noch um die Staatsdruckerei handeln. Mussil war sehr verwundert,
als er überhaupt hörte, dass wir ein Budget jetzt noch beschliessen,
meiner Meinung nach ist das selbstverständlich, denn – wie immer die
Diskussion im Parlament dann ausgeht und die wirtschaftliche Entwicklung
sich darstellen wird – das Budget kann ja jederzeit geändert werden.
Androsch dankte auch in der Sitzung für das Verständnis aller Mini-
ster, die es ihm ermöglicht haben, in so kurzer Zeit in dieser
schwierigen Phase das Budget zu erstellen.
Beim Dienstpostenplan 1976, der ebenfalls beschlossen wurde, machte
Lütgendorf die Bemerkung, dass er für die zeitverpflichteten Soldaten
Dienstposten braucht. 1972 hat er auf 300 verzichtet, die er jetzt
mehr oder minder anmeldet. Androsch verwies sofort darauf, dass irgend-
welche Umstellungen zu Lasten des Sachaufwandes gehen müssten.
Grössere Mittel kann er nicht bereitstellen und das Verhältnis zwi-
schen Personalaufwand und Sachaufwand sei jetzt schon äusserst kri-
tisch. Kreisky gab Androsch vollkommen recht und meinte, es könne
kein Minister jetzt bei irgendwelchen Beschlüssen Mentalreservation
betreiben oder gar vielleicht durch Bemerkungen rechtlich einen ge-
wissen Anspruch geltend machen. Über die Probleme könne man später
reden, jetzt sei aber ein einheitlicher Beschluss gefasst worden und
es gäbe keine Vorbehalte.
Das Gespräch mit dem Verkehrs- und Energieminister OKERO von Kenia
ergab, dass die VÖEST hofft, einen Abschlussauftrag für ein hydrau-
lisches Kraftwerk zu bekommen und dass vor allem SGP damit rechnet,
entsprechende Waggons liefern zu können. VÖEST-ALPINE hat an Schienen
kein Interesse, weil sie derzeit ausgelastet ist. Ich bin sehr neu-
gierig, ob sich diese Besuchspolitik – wie ich sie eingeleitet habe –
tatsächlich rentiert. Meisl erwähnt mit Recht, dass wir hunderte von
Ministern im Laufe dieser 5 1/2 Jahre eingeladen oder besucht haben
und dass früher nicht annähernd eine solche Aktivität im Handelsmini-
sterium herrschte. Fest steht allerdings, dass sicherlich, wenn auch
keine Geschäfts zustande komme, unser Prestige als neutrales Land in
diesen unterentwickelten Ländern gehoben wird, weil wir eben uns jeder-
zeit bereit erklären, jeden Minister, der es wünscht, einzuladen, resp.
Firmenwünsche österreichischerseits erfüllen, wenn sie hoffen, bei
Ministerbesuchen eher zu Geschäften zu kommen. Dieses Service für die
Wirtschaft ist sehr zweckmässig, wenn auch sehr anstrengend und zeit-
raubend.
Der Besuch bei Muliars Aktion für Kreisky in der Argentinierstrasse
überraschte mich durch das moderne Büro, das man dort in einer Gassen-
front aufgenommen hat. Die Frau von Prof. Matzner hatte sich dort
ebenfalls zur Verfügung gestellt, so wie drei andere Genossinnen.
Natürlich herrscht dort viel Papierkrieg, es geht ja gar nicht anders
und tausende Erklärungen bleiben sicherlich liegen. Muliar hat dafür
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grosses Verständnis und meinte gleich, wir sollten jeder ein Paket
mitnehmen, das man verteilen könne. Wichtig aber war, dass ich Muliar,
der in den nächsten Tagen eine Premiere hat, beruhigte. Skeptiker und
Pessimist, wie er in dieser Beziehung ist, fürchtete er sogar, dass
wir vielleicht nicht einmal die relative Mehrheit bekommen. Seine Ver-
sammlungen, die er in den Ländern machte, waren allerdings so gut be-
sucht, dass er selbst davon auch überrascht war. Als er von mir hörte,
dass die absolute Mehrheit drinnen ist, ja nach allen Umfrageergebnissen
wir wirklich damit rechnen können, war er mehr als beruhigt.
Die Passagen-Diskussion stand nicht gerade unter einem idealen Stern.
Vorher hatte Wiesinger mit der ÖVP dort eine Diskussion, es waren daher
noch sehr viele ÖVP-ler-Aktivisten anwesend. Dies hätte mich weniger ge-
stört. Bei der Diskussion mit Wiesinger muss es aber zu ganz harten
Auseinandersetzungen zwischen ihm und dem Publikum gekommen sein.
Einige Diskutanten kamen nach unserer Diskussion zu mir und meinten,
es wäre eine Frechheit gewesen, wie sich Wiesinger benommen hat.
Angeblich hatte er Anfragenden mit Anzeigen gedroht, sich fast beschimpft
usw. Natürlich ist dann meine verhältnismässig ruhige sachliche Art,
die doch immer wieder mit einem Schmäh ein bisschen aufgelockert wird,
sehr gut angekommen. Muliar selbst hat sich auch in die Schlacht ge-
stürzt, wurde diesmal aber von gar niemandem härter attackiert. Ein
ÖVP-Funktionär meinte nur, alle Hochachtung, Herr Minister, vor Ihnen,
aber warum der Burgschauspieler Muliar mit 43.000 S Gage, der überhaupt
dort etwas arbeitet, hier auftritt, sei gar nicht notwendig. Muliar
hat ihm natürlich eine köstliche Antwort gegeben. Da die JG in der Z
gleichzeitig eine Jungwähler-Party veranstaltete, habe ich Muliar vorge-
schlagen, dass er vor allem zu dieser Party gehen sollte. Zu meiner
grössten Verwunderung konnte ich, als ich dann später dazukam, feststellen,
dass es sich hier nur um vielleicht 70 Personen gehandelt hat, die nur
zum Teil Jungwähler waren. Ausserdem nur lauter Genossen. Muliar er-
kannte dies und hat daher nur einen flammenden Appell an sie gerichtet,
ja nicht glauben, dass die Wahl schon gelaufen ist, und dass wir uns
alle noch anstrengen müssen, damit Kreisky wieder Bundeskanzler
wird. Anschliessend daran debattierte ich mit den Genossen und beant-
wortete glaube ich so ziemlich alle Fragen mit Ausnahme der Spezialfrage
von Lehrplänen in den Schulen, zu wenig gegenwartsbezogen, Verkehrs-
situation in der Landstrasse, die so von uns gewünschte Umleitung der
Schlachthausgasse funktioniert weniger denn je, obwohl ich ihnen vor-
schlug, die dafür sachlich zuständigen das nächste Mal dazu einzuladen
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wenn ich mir die Aktivitäten, die ich in anderen Bezirken und
Ländern beobachtet habe und unsere auf der Landstrasse vergleiche,
so muss ich feststellen, dass es Bezirke gibt, die weniger machen,
zweifelsohne aber Bezirke gibt, wo wesentlich mehr geschieht. Trotzdem
bin ich noch immer nicht sicher, ob zumindestens mein System der
ständigen Kontakte mit Funktionären und vor allem auch mit kriti-
schen Wählern wie Intellektuellen, Passagendiskussionen, die ich
nicht nur vor den Wahlen sondern das ganze Jahr hindurch führe, ziel-
führender und erfolgreicher ist als wenn knapp vor den Wahlen
grosse Aktivitäten entfaltet werden. Für die Funktionäre aber, die
bei den grossen Aktivitäten ein gewisses Erfolgserlebnis auf alle Fälle
haben, ist sicherlich unsere Sparflammen-Theorie und Arbeit
nicht gerade ideal.
Tagesprogramm, 30.9.1975
"Zwei mal zwei ist fünf !", Transkript ÖVP-Wahlwerbung 1976?
27_1077_03Tagesordnung 180. Ministerratssitzung, 30.9.1975
27_1077_06hs. Notizen (TO Ministerratssitzung Rückseite)
Nachtrag TO 180. Ministerratssitzung, 30.9.1975