Donnerstag, der 18. März 1976

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Donnerstag, 18. März 1976

Die Vorarlberger, Landeshauptmann Kessler, Wirtschaftsreferent
Rümmele, ein halbes Dutzend Firmenvertreter, mit Herrn Kunert
an der Spitze, Präs. Jäger von der Arbeiterkammer, Bürgermeister
und Vizebürgermeister von Wolfurt und sogar der Betriebsrat und
Gewerkschaftsvertreter, alle waren gekommen wegen der Firma Roylon,
ein Kunert-Betrieb, der jetzt sperrt. Mosers Taktik war, zu ver-
suchen, er sei bereit, die Autobahn und eine Begleitstraße so zu
führen, daß der Betrieb nicht schliessen muß, sondern durch ent-
sprechende Schallschutz- und sonstige Maßnahmen aufrecht erhalten
werden könnte. Der Betriebsleiter Zoff meinte, sie hätten dort
die gesamte Strickstrumpfproduktion des Kunert-Konzernes, d.h.
auch aus Deutschland lagernd in Wolfrum konzentriert. Zu diesem
Zweck hätten sie 80 - 100 Mio. Schilling investiert. In das Abgas-
loch aber seien sie aber nicht bereit, deshalb hätten sie einen
Gutachter, Swoboda, beauftragt, die Teilablöse mit 234 Mio. und die
Gesamtablöse mit 280 Mio. festgestellt, die jetzt verhandelt werden
sollen. Moser dagegen wollte ihnen einen neuen Gutachter einreden,
der aber nicht die Ablöse, sondern feststellen sollte, ob nicht
doch durch Schutzmaßnahmen der Betrieb aufrecht erhalten werden
könnte. S.Chef Raschauer verwies darauf, daß die Bundesstraßen-
novelle 75 vorsieht, daß bauliche Maßnahmen zum Schutz der Anrainer
und Betriebe durchgeführt werden können, dies soll sogar auch für
die Zukunft möglich sein, wenn sich herausstellt, daß die Straße
eben stärker befahren wird und die Immissionen kräftiger sind als
man eigentlich angenommen hat. Was die Firma aber wollte, war, vor
längerer Zeit eine Zusage zu bekommen, daß jedwede Immissionen
in Hinkunft durch Maßnahmen der Straßenverwaltung hintangehalten
wird. Man sprach von einer Art Persil-Schein. Jäger, Präsident der
Arbeiterkammer und der einzige ÖVP-ler den ich seit längerer Zeit
kenne, setzte sich sehr geschickt ein, daß doch die Firma jetzt
alle Möglichkeiten hätte, diesen Betrieb weiter aufrecht zu erhalten.
Ich hörte mir die Diskussion eine Weile an und habe dann folgende
Erklärung angegeben: Die Firma weiß, daß sie die Strickstrumpf-
produktion konzentrieren muß, vielleicht war ursprünglich geplant,
dies tatsächlich in Österreich zu machen. Jetzt hat sie sich aber
dazu entschlossen, nach Deutschland diese Konzentration zu verlegen,
dafür benötigt sie Geld und möchte dafür die 280 Mio. Gesamtablöse
für den österreichischen Betrieb, sie weiß, daß sie im EG-Raum


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heute eine Konzentration braucht, seinerzeit hat sie vielleicht
wirklich österreichische Betriebe im EFTA-Raum auch aus handels-
und zollpolitischen Gründen aufgebaut. Jetzt wird die Zollschranken
mit 1.7.77 fallen, deshalb sie eben in Deutschland in ihrem Mutter-
betrieb in Immenstadt die Konzentration durchführt. Die Nahtlos-
strumpfproduktion haben sie ja schon aufgegeben obwohl wir die
Mindestpreise-Verordnung, die von Kunert auch besonders verlangt
wurde, einführten. Die österreichische Regierung und ganz besonders
ich bin nicht bereit, jetzt hier mitzuwirken, damit die 400 Arbeits-
plätze in Österreich verlorengehen um den Betrieb in Deutschland
aufzubauen. Die deutschen Vertreter die extra nach Wien gekommen
waren, junge Vorstandsdirektoren, die in der österreichischen
Kunert AG gleich als Aufsichtsräte mitwirken, haben meine Behauptung
nicht widerlegt, sondern ganz im Gegenteil auf diese sehr offene
Aussprache auch scheinbar Wert gelegt. Unter anderem erklärte der
deutsche Michel, daß für sie die Sockenfertigung in Immenstadt
große Probleme darstellt. Die Geschäftsführung aber hätte sich
dazu entschlossen. Es wird jetzt ein Gebäude errichtet, und an-
stelle daß die Lager und Versandabteilung vergrößert wird, wird
jetzt ein Fertigungsbau errichtet. Mit dem zuständigen Landes-
arbeitsamt hätten sie vereinbart, daß die Jugoslawen, die in
Österreich jetzt freigestellt werden, nach Immenstadt transferiert
werden können. Gleichzeitig haben sie den österreichischen Arbeitern
von Kunert in Wolfurt angeboten, ebenfalls nach Immenstadt zu
kommen, sie haben dort größere Schwierigkeiten Arbeitskräfte zu
finden und müssen die, die sie bekommen, erst umschulen. Aus
diesen Ausführungen entnehme ich, daß das Projekt eigentlich schon
endgültig entschieden ist, nämlich eben die Sockenproduktion nach
Immenstadt zu legen. Kessler versuchte sehr geschickt, dem Arbeits-
inspektorat in Bregenz die Schuld in die Schuhe zu schieben. Ein
Brief des Arbeitsinspektorats hat der Firma vor längerer Zeit mit-
geteilt, daß, wenn die Autobahn kommt, sie entsprechende Schutz-
maßnahmen, die jetzt noch nicht sind, errichten müßten, sie sollte
sich deshalb mit der Autobahn-Verwaltung ins Einvernehmen setzen.
Kessler wollte unbedingt dem Brief die Schuld geben, daß die Firma
die Entscheidung getroffen hat, nach Deutschland zu übersiedeln.
Ich verteidigte das Arbeitsinspektorat, weil ich nämlich Kessler
nicht in Vorarlberg die Möglichkeit geben möchte, zu erklären,
daß diese Institution an den Verlust der Arbeitsplätze schuld ist.
Der Betriebsrat, der Gewerkschaftsvertreter aber auch Jäger ver-
suchten von der Firma die Erklärung zu bekommen, daß sie doch noch


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die Arbeitsplätze erhalten könnte, wenn sie jetzt von der
Straßenverwaltung entsprechende Zusagen bekommt, daß die Abgase
nicht so arg sind und vor allem ein zweiter Betrieb auf diesem
Grundstück errichtet werden kann, daß die Autobahnverwaltung
allerdings auch wieder knapp bei der Autobahn zur Verfügung
stehen könnte. Moser hat immer wieder einen weiteren Gutachter
angeboten, Gott sei Dank hat die Firma dies abgelehnt, ansonsten
wären nämlich weitere Kosten entstanden, die Firma hat aber ihr
Produktionsprojekt Immenstadt ja bereits in Arbeit und das ganze
war nurmehr eine Alibi-Verhandlung, für den ÖVP-lern und Kessler
um womöglich der Sozialistischen Regierung die Schuld zu geben,
für Kunert und deren Vertretern, daß sie eben zu jeder Verhandlung
bereit sind. Ich erklärte deshalb, nach stundenlanger Debatte,
man sollte, nachdem für mich feststeht, daß Kunert von dort weg-
geht, versuchen, ob man nicht schnell genug ein Ersatzgrundstück
in Vorarlberg auftreibt. Der Bürgermeister von Wolfurt protestierte
dagegen und meinte, daß käme dann vielleicht nach Innerösterreich.
Die Firma Kunert meinte dagegen, sie könne sich nicht vorstellen,
daß sie so schnell ein Grundstück bekommt, aber das müßten eben
die Vorarlberger jetzt mit der Straßenverwaltung gemeinsam anbieten.
Für mich stand fest, daß auch dies eine vollkommen sinnlose Aktion
ist.

Anmerkung für TIEBER: Grumbeck, der anwesend war, soll einen Brief
für Kreisky entwerfen.

Bei der Betriebseröffnung Firma Hartmann im Industriegelände Liesing
konnte ich die deutschen Vertreter des Stammhauses kennenlernen.
Beide erklärten mir, daß die Konjunktur in Deutschland jetzt bereits
voll eingesetzt hat und sie dies auch deutlich spüren. Ich hatte
zwar nicht während meiner Ansprache so deutlich aber nachher der
Firma auseinandergesetzt, daß die Rollen-Offset-Farben, die Um-
welt so verschmutzen, daß ich daran denken muß, den einzigen Betrieb
der eine Rollen-Offset jetzt in der Stadt betreibt, nämlich Wald-
heim-Eberle, gegebenenfalls zusperren zu müssen. Hartmann von Deutsch-
land erklärte mir, daß sie jetzt experimentieren, die Trocknung
durch ultraviolette Strahlen zu erreichen. Diese Produktionsmöglich-
keit kommt nur sehr teuer. Die neue Fabrik Elbemühl an der Altmanns-
dorfer Straße, die früher im Freien gestanden ist, jetzt aber mit
dem Neu-Erlaa-Verbauten-Gebiet ein Wohngebiet wird, hat nicht zu-
letzt auch aus Umweltschutzgründen die Rollen-Offset-Maschine
bereits wieder verkauft. Einmal mehr ist mir dies eine Lehre


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wie sehr es notwendig wäre, ein reines Industrie-Gebiet
festzulegen und aus den Wohngebieten die Industrie tatsächlich
herauszunehmen. In der Praxis aber gehen immer wieder Betriebe
zuerst in Gegenden wo sie glauben ungestört produzieren zu können
nach einigen Jahren siedeln sich dann dort leider auch wieder
Wohnungen an und das Ergebnis ist der neue Streit, der dann früher
oder später ausbricht.

Anmerkung für TIEBER und WANKE: Vielleicht sollten wir wirklich
mit dem Umweltschutzministerium gemeinsam Richtlinien festlegen,
wie die Abgrenzung zwischen Betriebsgebiet und Wohngebiet erfol-
gen sollte.

In Neuwaldegg traf ich während der Mittagspause einen Kurs der
Metallarbeiter, die mich um einige Worte ersuchten. Selbstverständ-
lich habe ich dann nicht nur eine kurze Ansprache gehalten, sondern
eine 3/4 Stunde mit ihnen diskutiert. Da lauter Genossen waren,
konnte ich auch ein politisches Referat halten. Interessant war aber,
daß dort nur diskutiert wurde über den Zuckerpreis, Benzin- u. Ofen-
heizölpreis, mit einem Wort, verständlicherweise über die kleinen
Sorgen der Arbeiter.

Auch bei der Sozialistischen Fraktion des Gesamtvorstandes der
Lebensmittelarbeiter hielt ich ein umfassendes politisches Referat
und ging auf die Wirtschaftsprobleme nur von der politischen Sicht
ein, die Wirtschaftsprobleme selbst handhabe ich immer so bespreche
ich dann am nächsten Tag in der Gesamtvorstandsitzung. Ich analysierte
deshalb, daß Verhalten der ÖVP unter der neuen Führung aber nicht
von Taus und Busek, sondern von dem Propagandisten und guten
Public-Relations-Mann Geschäftsführer Bergmann, dieser prägt nach
meinem Eindruck jetzt das Verhalten der ÖVP. Taus wird immer mehr
von seinem Image als seriöser Bankmann weggedrängt und was mich
am meisten wundert, er ist dazu bereit. Bergmann baut ihn als
den harten Oppositionspolitiker, der heute mehr denn je oft
vielleicht auch demagogisch jede Gelegenheit des Angriffes nützt.
Bergmann vergattert auch seine Bezirkssekretäre, was ein Novum
in der ÖVP war, da sie noch niemals alle zusammen gerufen wurden.
In der Diskussion waren einige erstaunt, daß einen solchen nichtigen
Anlaß so große Öffentlichkeitsbedeutung zugemessen wurde, genau
dies ist aber die Taktik Bergmanns. Weiters ist in meinen Augen
vollkommen neu, daß immer mehr die einzelnen Bünde in der Öffent-
lichkeit zurückgedrängt werden sollen und nur die ÖVP als Ganzes
in Erscheinung tritt. Damit jetzt Streitfragen der ÖVP, wie z.B.



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Urlaub nicht immer wieder ausbrechen und innerhalb der Bünde
zu Streitereien führt, wird vereinbart, eine Diskussion nicht
in der Öffentlichkeit zu führen. Typisches Beispiel dafür war
die eine Urlaubswoche, die der ÖAAB für alle Arbeiter zusätzlich
verlangte, während die Sozialisten nur die 4 Wochen Mindesturlaub
jetzt einmal verlangen. Für mich steht die Taktik der ÖVP in der
nächsten Zeit vollkommen fest, eine harte Oppositionspolitik mit
ständiger Konfrontation aller Maßnahmen, die die Regierung setzt.
Selbst jede positive Maßnahme muß durch eine andere erhöhte
Forderung sofort als zu wenig dargestellt werden. Jede, auch nur
den geringsten Anschein erweckende, negative Maßnahme, wie z.B.
rückwirkende Steuererhöhung, die, wenn sie auch im Preis bereits
abgegolten ist, soll als Gesetzesbruch dargestellt werden. Jede
größere, aber auch kleinere Belastung, muß sofort angegriffen
werden und erklärt, da könnte die Regierung andere Quellen für die
Bedeckung erschließen als den Konsumenten belasten. Das ganze
System ist eben darauf aufgebaut, an den Konsumenten oder an die
Arbeiter oder an die Angestellten oder an die Öffentlich Bediensteten
oder an den Bauern oder an den Gewerbetreibenden oder an den Frei-
berufler in seinem konkreten Fall, der ihn betrifft, zu appellieren:
"Laß dir das nicht gefallen - resp. verlange mehr", ob diese
Lizitationspolitik auf die lange Zeit bis zu den nächsten Wahlen
Erfolg haben wird, kann ich jetzt noch nicht beurteilen, wenn eine
Wirtschaftskonjunktur, wie wir sie in den 70er-Jahren gehabt
haben, wieder einsetzt, glaube ich kommt diese Methode nicht sehr
gut an. Wenn allerdings die Einkommensverhältnisse der einzelnen
Gruppen sich nicht wesentlich verbessern, fürchte ich, daß sehr
wohl dann früher oder später eine solche Politik erfolgreich
gegen die Regierung geführt werden kann. Ich glaube nicht, obwohl
ich das sehr wünsche würde, daß die ÖVP durch diese Lizitation
denselben Weg geht, wie die KPÖ. Die Kommunisten haben auch nach
45 immer wieder erklärt, daß die Arbeiterschaft verraten ist und es
ihr ständig schlechter geht. An Hand der effektiven Ziffern aber
vor allem der persönlichen Erfahrung der Arbeiterschafts und
im Vergleich mit den Nachbarländern CSSR und Ungarn konnte diese
Demagogische Politik leicht abgewehrt werden. Zu glauben, daß man
nach einiger Zeit dann noch sagen kann, die ÖVP hätte in ihrer
Alleinregierungszeit alles dies erledigen können, wird nicht sehr
zielführend sein. Die ÖVP-Regierungszeit wird viel zu lange dann
schon zurück liegen, damit sich die Bevölkerung überhaupt noch


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daran erinnert. Ein Dutzend Genossen haben sich dann in der
Diskussion gemeldet und teils Auskünfte von mir, z.B. was ich
unter der Offenen Partei verstehe, teils berechtigte Kritik,
wie wird jetzt die Ämterkumulierung wirklich gehandhabt werden,
usw., verlangt. Bei allen Diskussionen denke ich immer, wie weit
besteht zwischen dem immerhin sehr aufwendigen und starken Apparat
der Gewerkschaften und der Partei, der ja auch sehr kostspielig ist,
und der großen Masse der Mitglieder noch der Kontakt, der eigentlich
notwendig wäre um die Angriffe des Gegners wirklich entsprechend
abwehren zu können. Ich fürchte nämlich, daß in Hinkunft auch die
Oppositionsparteien und ganz besonders die ÖVP jetzt unser bewährtes
Vertrauensmänner-System kopieren wird, damit geht unser großer
Vorsprung mehr oder minder verloren. Wenn dann noch eine gewiße
Trägheit, ja vielleicht sogar ein Saturierungsmoment dazu kommt,
dann glaube ich, kann man nicht rechnen, daß Kreisky oder Kreisky
und sein Team oder vielleicht ein paar Spitzenfunktionäre allein
die Bewegung oder wenn man so will auch den Wahlkampf tragen können.

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Tagesprogramm, 18.3.1976

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hs. Notizen (Tagesprogramm Rückseite)


Tätigkeit: AK Präs. Vbg.


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