Freitag, der 26. November 1976

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Freitag, 26. November 1976

Die deutsche Textil- und Bekleidungsfirma Vossen hat in Jennersdorf
einen Zweigbetrieb vor 15 Jahren errichtet, den ich das Staatswappen
verlieh. Der Gründer, Burghard, aber ganz besonders sein Sohn, Dipl.-
Kaufmann Norbert Vossen, der jetzt Geschäftsführer im österreichischen
Betrieb ist, dort allerdings nur zeitweise auftaucht, waren durch
die Auszeichnung sehr gerührt. Der Betrieb ist für das Südburgenland
mit 740 Beschäftigte, grösstenteils Frauen, ungeheuer wichtig. Ich
hatte Gelegenheit während der stundenlangen Besichtigung, Mittag-
essen, Modeschau, mit Dipl.Kfm. Vossen mich über die Situation auf
seinem engeren Branchengebiet genau zu unterhalten. Der österreichische
Betrieb hat heute bessere Ergebnisse als das deutsche Mutterhaus.
Dies wird teilweise auf die besonderen sozialen und organisatorischen
Verhältnisse in Österreich zurückgeführt. Insbesondere hat im burgen-
ländischen Betrieb die Firma alle gemacht, um nicht einen administra-
tiven Wasserkopf entstehen zu lassen. In Gütersloh, dem Stammhaus,
ist es dagegen trotz der patriarchischen Führung durch Burghard
Vossen
zu einer Auswucherung der Verwaltung gekommen. Der Juniorchef
hat jetzt von 5 Direktoren 2 in Pension geschickt und festgestellt,
dass die drei anderen auch die Arbeit spielend bewältigen können. Für
mich war diese Unterhaltung nur neuerdings eine Bestätigung, dass
nicht nur bei der Behörde, sondern auch in der Wirtschaft die Ver-
waltung ständig überdimensioniert wird und ist und man daher auch dort
entsprechende Reorganisationsmassnahmen treffen müsste. Bei den
Führungskräften, die gar nicht notwendig sind, spielt weniger der hohe
Gehalt eine Rolle, als wie die administrativen Arbeitskräfte die
sie dann zusätzlich brauchen. Der alte Herr, wie der Seniorchef ange-
sprochen wird, hatte vor 50 Jahren aus England ein eigenes Verfahren
Frottier, nicht zu verwechseln mit Frottee, nach Deutschland gebracht
und damit Revolution gemacht. Den Jungen habe ich empfohlen, er soll
wegen der zukünftigen Spinntechnik sich mit dem neuen System Treff,
Dr. Ernst Fada, Linz, ins Einvernehmen setzen. Vielleicht täusche ich
mich, aber ich habe noch immer das Gefühl durch die revolutionäre
Spinnmethode andere Staaten vielleicht die Umstellung machen, während
die österreichischen Firmen nicht. Niemand soll mir dann einen Vorwurf
gemacht haben, ich habe davon gewusst und nicht alle darauf aufmerksam
gemacht.

Mir unerklärlicherweise hat der Prokurist Mussil einen kleineren
Kreis nach Kellerdorf eingeladen und jedermann erwartete, dass es dort


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irgendwelche besondere Sehenswürdigkeiten gibt. Tatsächlich ist
dies ein im äussersten Eck gelegenes, unbedeutendes kleines
Weindorf mit paar Häusern, strohgedeckt, auf einem Hügel gelegen
und nur über Burgenlandbeton, wie die Leute dort sagen, zu erreichen:
knöchelhoher Gatsch. Dass man in dieser Gegen auch einmal
gewesen sein soll, kein Grund für diesen Besuch. Wenn man bedenkt,
dass früher der grösste Teil Burgenlands so ausgesehen hat, dann
kann man erst feststellen, welche ungeheure Wandlung dieses Bundes-
land in den letzten Jahrzehnten erlebt hat.