Dienstag, der 22. November 1977

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Dienstag, 22. November 1977

Frau Minister Leodolter geht es nach der Magenoperation
Billroth 2 besser, doch macht sie auf mich einen wesentlich
schlechteren Eindruck als dies vor der letzten Operation
vor paar Wochen. Sie teilt mir mit, dass sie ihren SR Vychytil
mitgeteilt hat die angelieferten Brennstäbe müssten nicht in Kompakt-
lager abgestellt werden, sondern könnten wie vorgesehen vom Trocken-
lager sofort in den Kern eingebracht werden, da dies ein voll-
kommen ungefährlicher Lagerprozess ist.

ANMERKUNG FÜR FRANK UND WAIS: Bitte wie weit ist das Genehmigungs-
verfahren, damit die Behörde nicht in Verzug kommt.

Bei der Ankunft des tschechischen Ministerpräsidenten Strougal
erzählt mir irgendwer dass seit dem Mittelalter Przemysl niemals
sonst ein tschechoslowakischer König oder Ministerpräsident in
Österreich war. Strougal ist der Erste. Auch nicht zu glauben.
Auf der Fahrt im Auto erzählt mir Barcak bereits, dass die CSSR
wirtschaftlich grosse Schwierigkeiten hat. Kreisky teilt mir dann
bei der offiziellen Besprechung mit, dass Strougal ihm sagte, manchen
COMECON-Staaten – nicht die CSSR – steht das Wasser nicht bis
zum Mund, sondern schon über den Kopf. Die Aussprache mit Barcak,
seinem SChef Gajdos und ihren Handelsrat Chrust sowie auf unserer Seite
SChef Meisl, MR Fälbl, Haffner und mir, gibt mir Gelegenheit die
Tschechen über die polnische Pipeline-Kohle-Projekt und die beab-
sichtigte 800 Megawatt Stromlieferung zu informieren. Barcak meint
sofort, er hätte dies gerne offiziell auch von der polnischen Seite
erfahren. Die Tschechen hätten viel lieber, wenn man das Transport-
problem nicht mit einer Pipeline, sondern durch Ausbau des Donau-
Oder-Kanals lösen würde. Ich frage nur, wie dies bei den grossen
Wassermangel, der jetzt auf der Oder herrscht, wo im oberschlesischen
Gebiet alles für die Industrie verbraucht wird und wo vor allem die
Polen die Oder kaum mehr als schiffbaren Fluss benützen, sondern die
Kohle mit der Bahn von dort nach Norden transportieren, das Wasser
herkommen soll. Für die Kohle-Pipeline müsste sogar von der Donau
das Wasser nach Oberschlesien gepumpt werden, also zwei Pipelines
gebaut werden müssen. Die Tschechen müssten für den Transit eine neue
Bahn bauen, haben jetzt bereits 6 Pipelines – 4 Gas- und 2 Öl- – von


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Osten nach dem Westen und sind scheinbar über die bilateralen Ge-
spräche zwischen Polen und Österreich nicht nur nicht informiert,
sondern auch verärgert. Dies kommt auch bei der offiziellen Sitzung
dann – durch den Ministerpräsidenten angedeutet – für den der die
Verhältnisse kennt, ein sehr deutlicher Hinweis. Bei der offiziellen
Sitzung gibt man mir vom Büro Kreiskys 2 Memoranden, eines die
Lizenzerzeugung einer österreichischen Zigarette von der Tabakregie,
die angeblich bereits im Dezember im tschechischen Ministerrat
entschieden werden soll, das zweite ist von der VÖEST-Alpine
wegen der Anlagenlieferung Papier- und Zellulosefabrik und die
Zusammenführung der Verkaufsorganisationen von VÖEST und Alpine
und der Edelstahlwerke in der CSSR. Barcak erzählt mir dann spät
abends, dass er sehr verärgert war, dass dies bei der offiziellen
Sitzung übergeben wurde. Er hat – und dies stimmt – die Verkaufs-
organisationssanierung damals vor 3 Jahren, als die politischen
Verhältnisse zwischen Österreich und der CSSR am Nullpunkt waren,
auf meine Intervention in Brünn die Verkaufsorganisationen aus-
nahmsweise aufrecht erhalten. Jetzt hat man ihm von der VÖEST-Alpine
vor 3 Wochen einen diesbezüglichen Brief geschrieben und ohne dass
man die Antwort abwartete, ist man in dieses höchste Forum ge-
gangen. Von der Tabaklizenz hat überhaupt niemand auf der tsche-
chischen Seite etwas gewusst und Strougal war daher mit Barcak
sehr unzufrieden. SChef Gajdos meinte sogar, sein Minister habe
nicht nur mit ihm geschimpft, sondern er würde wahrscheinlich
sogar entlassen. Das Ganze war spasshaft gemeint, doch zeigte es
mir, dass der grösste Fehler war, in so einem Rahmen neue Probleme
anzuschneiden, die der zuständige Minister nicht kannte. Ich hoffe,
er glaubt mir wenigstens, dass auch ich bis vor der Sitzung keine
Ahnung hatte über diese Probleme. Ich versicherte Barcak dass ich
ihm ansonsten selbstverständlich bei der Vorbesprechung infor-
miert hätte. Da Barcak am nächsten Tag unbedingt weiterverhandeln
wollte, ich nehme an er braucht einen gewissen Nachweis dass
während des Strougal-Besuches eben Besprechungen stattgefunden haben,
habe ich sofort mein morgiges Programm umgestellt. Am meisten ver-
ärgert ist aber Barcak, dass Kreisky und auch Pahr – wie mir dieser
versichert – bei den Besprechungen immer wieder auf Ungarn hin-
weisen. Zwischen dem Slowaken Barcak, die ja einen Teil ihres Terri-
toriums an Ungarn abtreten mussten, gibt es scheinbar nichts ärgeres
als immer auf die guten Beziehungen mit Ungarn hinzuweisen. Mit


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Recht sagt Barcak überhaupt, die Ungarn haben doch keinerlei
grössere Lieferungen von der VÖEST-Alpine zum Beispiel über-
nommen. Die Ungarn haben einen geringeren Handelsverkehr mit
Österreich und die Ungarn erklären, sie werden den Visumzwang
aufheben und haben es bisher nicht getan und er fürchtet dass
es auch in Zukunft nicht sobald der Fall sein wird. Zum offiziellen
Essen waren Koren, Minkowitsch, Maurer von der ÖVP und selbstver-
ständlich Peter von der FPÖ geladen und auch gekommen. Taus
dürfte entweder nicht in Wien sein oder vielleicht hat er es sich
anders überlegt. Kreisky hielt eine blendende Rede, wo er – so wie
bei der offiziellen Sitzung – auch auf die ideologischen Streit-
punkte einging oder sie zumindestens andeutete. Er meint entscheidend
sei die Konkretisierung aller KSZE-Beschlüsse. Strougal erwiderte
die Tschechen seien bereit über alles zu diskutieren, kümmern sich
nicht was die Zeitungen schreiben, wohl aber was die offiziellen
Stellen machen. Die Begegnung ist überaus herzlich und Kreisky und
Barcak diskutierten dann am Abend bei meinem Tisch über die Schwie-
rigkeiten der verstaatlichten Industrie. Kreisky hat grosse Sorgen
wegen Chemie-Linz, Lenzing und insbesondere der Faserproduktion und
Barcak bekannte freimütig, welche Fehler auf diesem Gebiet in der
CSSR erfolgen. Da die Tschechen und die Slowaken stets immer jeder
eine Fabrik haben müssen, wurde nun eine Ethylenanlage für
300.000 Tonnen in der Slowakei und für 450.000 Tonnen in Böhmen ge-
baut. Barcak hat sich immer gegen diese Überkapazität gewehrt, hat
sich nicht durchgesetzt und jetzt kann man die Produkte nirgends ver-
kaufen. Ähnlich geschieht es jetzt mit der Konsumgüterproduktion
wo sie Fernsehapparate usw. nicht mehr anbringen, in den Westen in
Kaufhäuser liefern müssen die die schlechtesten Preise bezahlen
und es daher absatzmässig grosse Schwierigkeiten überall gibt.
Die Idee, dass wenn es in den kapitalistischen Westen schlechter
wird, wenn daher die von Marx immer angekündigte kapitalistische
Krise kommt, dann die sozialistischen Staaten triumphieren können
und ihr System sich bestens bewähren wird, stimmt eben leider auch
nicht. Wenn der Westen Schwierigkeiten hat, hat der Osten noch viel
mehr Schwierigkeiten.

Der nordkoreanische Botschafter Ri Won-bom aus Prag machte mir einen
Anstandsbesuch, da er in Wien ist, und lud mich neuerdings nach
Nordkorea ein. Da er erwähnte, die Wirtschaftslage in Nordkorea


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verbessert sich zusehends, erinnerte ich ihn an die 1,6 Mia.
Schilling Schulden, die sie jetzt zurückzahlen sollten. Das
eingegangene Memorandum mit den versprochenen Zinsenzahlungen
wird nämlich von den Nordkoreanern wieder nicht eingehalten.

Im Ministerrat hat Kreisky über meinen Bericht über die Israel-Reise
nur darauf verwiesen, dass es vom Ministerpräsident Begin unge-
hörig war, mich bei den Besuch bei ihm wegen der Kfir-Lieferung
zu attackieren. In Wirklichkeit ärgert sich Kreisky mit Recht
über die Behauptung Begin, dass wenn wir den Kfir nicht kaufen,
von den Arabern erpresst werden. Kreisky hat ja überhaupt eine
andere Nahostpolitik konzipiert, sich bei seinen diversen Reisen
heftigst darum bemüht und stösst natürlich mit der Idee einen PLO-
Staat irgendwo zu errichten auf den schärfsten Widerstand Begins.
Kreisky meinte, die Kritik gilt nicht mir, sondern Pahr sollte
nur unserem Botschafter Mussi klarmachen, dass Minister in den
Staaten mit ihren Vis-a-vis verhandeln sollen und nicht mit
anderen Problemen konfrontiert werden. Da dies immer schon meine
Idee war, ich mich auch niemals gerissen habe zu irgend einem an-
deren Minister zu kommen, geschweige denn zu einem Ministerpräsidenten,
berührt mich diese neue Politik überhaupt nicht. Ich bin nur gespannt,
ob er es durchstehen wird resp., ob tatsächlich diese neue Politik
Erfolg haben wird.

Kreisky berichtet dann auch von der Aussprache mit dem ungarischen
Ministerpräsidenten Lazar und erwähnte neuerdings dass unser Energie-
konzept – Ungarn burgenländischer Kohlenabbau – ein weiterer Modell-
fall für die europäische Energie-Verbund im Korb II der EGKS sein
könnte. Ganz besonders wies er auch auf die Beschwerden der Ungarn
aber auch der Tschechen bezüglich der Zollerhöhung hin und meinte,
dies könnte nur im Rahmen des COMECON und EG und EFTA verhandelt
und gelöste werden. Da Österreich mit den angrenzenden Oststaaten,
aber auch mit Polen, Rumänien, Bulgarien, den Donaustaaten, be-
sondere Verkehrsprobleme und Energieprobleme hat, sollte man mit
diesen Staaten bilateral oder wie in der CSSR gemeinsam mit Polen
diese Probleme trilateral besprechen. Die anderen westeuropäischen
Staaten, ganz besonders die kleinen wie Niederlande und Belgien
haben kaum ein besonderes Interesse an unseren Problemen.

Der Generalkonsul Dr. Fitz aus Düsseldorf hatte mit Pahr eine Aussprache
und dieser ihn zu mir geschickt, damit er mir auch die Situation


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in der Bundesrepublik erklärt. Die Tatsache ist mir allerdings
bestens bekannt, dass die österreichischen Firmen scheinbar
nur bis zur Main-Linie irgendwelche Exportgeschäfte tätigen.
Darüber hinaus gibt es nur sehr geringes Interesse. Fitz möchte
nun am liebsten haben, dass österreichische Firmen Zweignieder-
lassungen, Repräsentanzen usw. in Norddeutschland errichten.
Ich habe ihm sofort mit SChef Wanke zusammengebracht, weil er
sich ganz besonders auch dafür interessierte was wir an Aktivi-
täten wegen Hereinnahme von Fertigteilprodukterzeugung oder Teil-
fertigung von Autobestandteilen deutscher Autofirmen, insbesondere
Ford gemacht haben. Richtig ist, dass die österreichischen Firmen
zwar den Export nach Deutschland erhöhen konnten, in der deutschen
Rezession sogar mehr als woanders hin, dass es aber wirklich kaum
gelingt im norddeutschen Raum grössere Abschlüsse zu tätigen.

Die Grinzinger haben die Idee Leute zu finden, die ihren Gag
mitmachen, den Freistaat Grinzing überall in der Welt zu ver-
treten und für sie zu werben. Deshalb haben sie mir auch ein
Präsidentenamt oder so etwas ähnliches angeboten, das ich als
Fremdenverkehrsminister selbstverständlich akzeptieren musste.
Bass erstaunt bin ich, dass Heurigensänger kommen, zwei Kellne-
rinnen, die mich also hier anstrudeln. Noch nie war in meinem
Amtszimmer während der ganzen Zeit eine solche Dulliöh-Stimmung,
obwohl wir nur Most getrunken haben.

In der ÖGB-Bundesfraktion berichtete zuerst Kreisky über die
politische Lage und Androsch dann über die wirtschaftliche
mit dem Appell die Arbeitskosten im nächsten Jahr nicht zu
sehr zu erhöhen und was ihm so wichtig erscheint die Lohnbe-
wegungen trotz der selbstverständlichen Autonomie des Gewerk-
schaftsbundes in geringen Grenzen zu halten. Ich musste weggehen,
doch hat es dann zwischen Androsch und Brauneis, Betriebsratsobmann
der VÖEST, einen richtigen Krach gegeben. Die VÖEST fühlt sich
von der Regierung vernachlässigt und ganz besonders jetzt von
Androsch der gegen die Umschulungsregelung des Sozialministers
grösste Bedenken hat. Androsch ist überzeugt, dass damit nur hunderte
Millionen in die VÖEST-Alpine reingepumpt werden, diesen Betrieb
Lohnkosten abgegolten werden und keinerlei strukturändernde
Wirkungen miterzielt werden können.



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In der Sektionsleitersitzung auf der Landstrasse wurde ich einmal
mehr wegen der Preiserhöhungen der Agrarier, Milch und Zucker
attackiert da man für diese Absatzsicherungen vorsieht, während
die Industrieproduktion insbesondere Autobus- und LKW-Erzeugung
nichts tut. Schon vor der Sitzung fragten mich einige, warum man
denn einen Austro-Porsche Personenkraftwagen erzeugen will, ohne
die vorhandenen Autoproduktionsstätten mit Investitionshilfe zu
unterstützen. Dasselbe Problem auf der ganzen Linie, wenn eine
Regierung eine Subvention oder Unterstützung einen Zweig gibt,
dann kommt sofort die andere Branche und möchte genau dieselbe
Hilfe. Dies gilt eben ganz besonders in einer Rezessionsphase,
in der wir uns jetzt anfangs befinden und die sicherlich im
nächsten Jahr noch viel schlimmer werden wird.

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Tagesprogramm, 22.11.1977

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hs. Notizen (Tagesprogramm Rückseite)

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Tagesordnung 96. Ministerratssitzung, 22.11.1977

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hs. Notizen (TO Ministerratssitzung Rückseite)

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Information MR Bachmayer f. d. BM betr. Ausfuhr v. Kernmaterial, 21.11.1977


Tätigkeit: Präs. Bauernbund
GND ID: 118894366


Einträge mit Erwähnung:
    GND ID: 1017902909


    Einträge mit Erwähnung:
      Tätigkeit: HR CSSR


      Einträge mit Erwähnung:
        Tätigkeit: Gesundheitsministerin


        Einträge mit Erwähnung:
          Tätigkeit: MR HM


          Einträge mit Erwähnung:
            Tätigkeit: Beamter HM


            Einträge mit Erwähnung:
              Tätigkeit: ung. Ministerpräsident


              Einträge mit Erwähnung:


                Einträge mit Erwähnung:
                  Tätigkeit: Sekt.R Gesundheitsministerium


                  Einträge mit Erwähnung:
                    Tätigkeit: FPÖ-Obmann


                    Einträge mit Erwähnung:
                      Tätigkeit: SChef HM
                      GND ID: 12195126X


                      Einträge mit Erwähnung:
                        Tätigkeit: Chef Energiesektion


                        Einträge mit Erwähnung:
                          Tätigkeit: Ministerialrat, Leiter Grundsatzabteilung


                          Einträge mit Erwähnung:
                            Tätigkeit: MP CSSR


                            Einträge mit Erwähnung:


                              Einträge mit Erwähnung:
                                Tätigkeit: Finanzminister, ÖVP-NR-Abg., OeNB-Präs.


                                Einträge mit Erwähnung:
                                  Tätigkeit: nö. LH (ÖVP), AR-Vors. DoKW


                                  Einträge mit Erwähnung:
                                    GND ID: 118756265


                                    Einträge mit Erwähnung:
                                      GND ID: 138375976


                                      Einträge mit Erwähnung:
                                        Tätigkeit: Bundeskanzler
                                        GND ID: 118566512


                                        Einträge mit Erwähnung:
                                          Tätigkeit: SPÖ-NR-Abg., GD-Stv. ÖIAG


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                                            Tätigkeit: CSSR-Außenhandelsminister


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                                              Tätigkeit: Finanzminister
                                              GND ID: 118503049


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