Donnerstag, 4. Juni 1981
Der Gewerkschaftstag wurde mit meinem Referat fortgesetzt. Zentral-
sekretär Blümel hatte die Angst, da wir bereits die Anträge alle am
Vortag erledigt hatten, daß der Gewerkschaftstag weit vor Mittag fertig
werden würde, weshalb das Essen, das bereits bestellt war, von nur
einem Teil mehr konsumiert werden würde. Zuerst wollte er sogar, daß
wir den Gewerkschaftstag erst um 1/2 10 beginnen. Wir blieben aber
bei der ursprünglichen Einteilung, und ich konnte deshalb ein ausführli-
ches Referat unsere Gewerkschaft in den 80er-Jahren halten. Wie es
meiner Gewohnheit entspricht, baute ich dieses Referat auf jenes von
Präs. Benya, der über die derzeitige Situation und ganz besonders über
die 70er-Jahre referiert hatte, auf. Außerdem ging ich auf Anregungen,
die bei anderen Punkten von Diskussionsteilnehmern gefragt oder gestellt
wurden, in meinem Referat jetzt ein. Die Delegierten, diszipliniert
wie immer, waren vollzählig erschienen, hörten nicht nur andächtig zu,
sondern es gab auch etlichen Zwischenapplaus. Dies freute mich schon,
war ich doch der einzige, der während des ganzen Gewerkschaftstages, bei
den Berichten oder beim Referat Benya kam dies ja leider nicht vor, die
Kollegen auch optisch zur Zustimmung meiner Theorien und Forderungen
veranlassen konnte.
Meine optimistische Grundeinstellung für die 80er-Jahre kam auch in
Einzelheiten meines Referates für die 80er-Jahre zum Durchbruch. So wie
stets bei allen anderen Verbandstagen in der Vergangenheit, lieferten mir
auch zum Einstieg Zeitungen gute Gags. Die AZ schrieb in der Über-
schrift: Wunder hält, und meinte die günstige Arbeitsmarktsituation, die
Presse auf den selben Zahlen aufbauend: katastrophale Arbeitsmarktsitua-
tion im Mai gegenüber Vorjahr. Anhand der Ziffern konnte ich dem Kon-
greß beide headlines erklären und damit demonstrieren, wie notwendig
es ist, daß man immer so weit wie möglich eben sich die Zahlen ansieht,
damit man sich selbst ein richtiges Urteil bilden kann. Die AZ geht da-
von aus, daß wir jetzt Ende Mai 1,7 % Arbeitslosenrate haben, und damit
nach der Schweiz die günstigste Ziffer in Europa, von denen alle ande-
ren Länder nur träumen können. Die Presse geht davon aus, daß wir im
Vorjahr im Mai nur 1,4 % Arbeitslosenrate gehabt haben, wodurch 1,7 %
derzeit natürlich schlechter ist.
Ich analysierte die vom Lebensmittelreferenten im Handelsministerium von
mir gewünschten zusammengestellten Zahlen der Nahrungs- und Genußmittel-
60-0712
industrie und der einzelnen Branchen. Der Bezugszeitraum war äußerst
günstig, auf der einen Seite zwischen dem Jahr 1970 und 1980 und ande-
rerseits gegenüber dem letzten Verbandstag 1977 1980 . Beschäftigung,
Produktion, Löhne, Preise immer mit aktuellen Überlegungen und Ansich-
ten mit Konsequenzen für die 80er-Jahre ergänzt. Insbesondere setzte
ich mich dann mit der immer stärkeren Beteiligung der ausländischen
großen Nahrungsmittelkonzerne, wenn man will Multis, Internationale,
Transnationale, wie immer man sie bezeichnen will, und deren Bedeutung
für die österreichische Wirtschaft und ganz besonders für die Nahrungs-
mittelindustrie für die 80er-Jahre auseinander. Ich stellte einmal
mehr fest, daß wir diese Unternehmungen allein aus dem technischen
Transfer und dem know-how, von den riesigen Investitionen, die sie
letzten Endes bei uns tätigen, ganz zu schweigen, dringendst brauchen. Ge-
gen 1970, wo wir 14,4 % der Beschäftigten in solchen Betrieben unterge-
bracht haben, sind es jetzt 20 %. Meine Unterscheidung, wir dürften nicht
brave österreichische Kapitalisten und schlimme ausländische Multis
als Gewerkschaft treffen, sondern ausschließlich danach gehen, wie sich
diese Unternehmen in die österreichische Rechtsordnung einfügen, und wie
sie sich sozial geben, fand allgemeine Zustimmung.
Außer diesen wirtschafts- und sozialpolitischen Ausblicken und insbe-
sondere unserer sehr konkreten Lohn- und Kollektivvertragspolitik für
die 80er-Jahre ging ich zum Schluß natürlich auch auf die organisa-
torischen Schwächen unserer Gewerkschaft ein. Ich ersuchte die Männer
und Funktionäre, insbesondere in den Bundesländern, die Frauen als Minder-
heit mehr zu unterstützen. Es ist eine Schande, daß wir nur in Wien
und Oberösterreich einen Frauenausschuß zustande bringen. Bei mehr als
1/3 von weiblichen Gewerkschaftsmitgliedern. In manchen Branchen, wie
in der Süßwarengruppe, sind es 75 % Frauen, die dort beschäftigt sind.
Genauso ging ich auf die Minderheit der Jugendlichen ein, die durch Unter-
stützung und Schaffung von Jugendvertrauensleuten auch von der Mehrheit
mehr geholfen werden muß. Zuletzt erwähnte ich noch die dritte Minder-
heit, nämlich die christlichen Gewerkschafter, die ebenfalls unsere
Toleranz benötigen. Minderheiten muß man, erklärte ich abschließend,
ununterbrochen fördern, unterstützen und beschützen, sonst fühlen sie
sich also in einer Organisation nicht nur nicht wohl, sondern werden
sich dann auch gegen eine solche Organisation wehren. In der Vergangen-
heit haben gerade diese Minderheiten insbesondere von mir persönlich
den größten Schutz gehabt, was sie auch immer anerkennen.
Wie locker und gut meine Beziehungen zu all diesen Gruppen und Minder-
60-0713
heiten sind, erinnert mich an einen kleinen Gag. Ich konnte an der Aus-
sprache Kardinal Königs mit dem Bundesvorstand nicht teilnehmen, weil
wir Gewerkschaftstag haben. Am Abend im Radio, als ich nach Hause fuhr
war ich erstaunt, im Nachtjournal König persönlich zu hören, wie er
über die Vollbeschäftigungspolitik denkt. Dort erklärte er wörtlich,
diese müsse man gegebenenfalls auf Kosten der Geldwertstabilität weiter-
führen. Dies muß für die Konservativen ein furchtbarer Schlag sein.
Ich erwähnte es deshalb auch christlichen Gewerkschaftern gegenüber und
unterstrich, wie sehr mich diese Denkungsart der Amtskirche freut, unser
christlicher Lebensmittelarbeitersekretär Hacker meinte, seine Frau
hätte dies auch gehört und ihm gesagt, Kardinal König sei ein halber
Sozialdemokrat. Beim Kongreß, wo ich selbstverständlich auch zur Be-
gründung unserer Vollbeschäftigungspolitik diese bedeutende Stellung-
nahme zitierte, erwähnte ich natürlich auch diese Story, ohne den Namen
zu sagen. Meine Schlußfolgerung war, ob er ein Sozialist ist, getraue
ich mir nicht zu behaupten, aber sicher ist seine Kardinalsfarbe rot.
Die Diskussion, von einem 1/2 Dutzend Delegierten bestritten, brachte
keine neuen Gesichtspunkte. Der christliche Sprecher meinte mit Recht,
wir in den Städten können uns ja gar nicht vorstellen, wie er persönlich,
aber überhaupt die Lebensmittelarbeitergewerkschaft, ja jede Gewerk-
schaftsbewegung, auf dem Land als rotes Tuch gilt und sich dort sehr
schwer nur durchsetzen kann. Ein Kollege von Anker meinte wieder, wir
müßten erreichen können, daß nur unsere vollorganisierten Betriebe Waren
von Betrieben wieder beziehen, die ebenfalls organisiert sind. Geklagt
wurde, daß man bei den Mitgliedern als Funktionär oder Sekretär sehr
darunter leidet, wenn höhere Bezieher der Partei oder der Gewerkschafts-
bewegung den kleineren Einkommen, also Höherverdiener den Durchschnitts-
verdienern, Rückhaltungen in den Forderungen empfehlen.
Die Diskussion dauerte so lange, daß wir dann nicht nur bis Mittags
brauchten, sondern sogar wegen des fertigen Mittagessens die Sitzung
unterbrechen mußten. Die Wahlen fanden am Nachmittag statt, so wie immer
wurden in den Fraktionen die entsprechenden Vorschläge sehr gut vorbe-
reitet, so daß es nur zu einstimmigen Wahlergebnissen gekommen ist.
Mit der Verabschiedung des jahrzehntelang als Obmannstellvertreter und
vor allem noch viel länger in der LUGA tätigen Bez.Vst. Deutsch und das
Versprechen, daß der neue Vorstand, das neue Präsidium sich bemühen wird,
die 80er-Jahre so gut zu bewältigen wie die 70er-Jahre, endete der
Gewerkschaftstag in voller Harmonie.
Kollege Steffek berichtete mir über die Verordnung des Landwirtschafts-
ministeriums zur Festsetzung von Immissionsgrenzwerten aufgrund des
Forstgesetzes. In diesem Gesetz wurde vom Parlament erstmals beschlossen,
daß erstmals nicht die Emission für den Umweltschutz entscheidend sein
soll, sondern die Immission. Grenzwerte oder Grundbelastungswerte gibt
es aber nur für 22 Städte über 20.000 Bevölkerung. Die Verordnung sieht
trotzdem vor, daß SO² und NOX gewisse Grundbelastungen in ganz Öster-
reich nicht überschreiten dürfen. Vorher müßte aber die jetzige Grund-
belastung festgestellt sein. Hier sieht die Verordnung nur vor, daß
man entsprechende Werte aus Betriebsgenehmigungen heranziehen sollte,
ohne konkrete Zahlen zu kennen, sollte man also jetzt einer Verordnung
eine Zustimmung geben, die die weitere Betriebsgenehmigung, Ansiedlung
usw. schwerstens beeinträchtigen können. Dazu war und bin ich eingent-
lich nicht bereit. Die Sozialpartner haben sich auch mit diesem Pro-
blem beschäftigt und Steffek einen entsprechenden Entwurf gegeben.
Wir einigten uns darauf, daß Steffek diesen bei der interministeriellen
Besprechung im Landwirtschaftsministerium zur Debatte stellen wird.
Sollte es zu keiner für uns erträglichen Lösung kommen können, würde
ich gegebenenfalls den gemeinsamen Verordnungsentwurf nicht unterschrei-
ben.
ANMERKUNG FÜR SATZINGER: Ergebnis auf Jour fixe AK und HK setzen.
Satzinger berichtet mir, daß in der Verbundgesellschaft wegen der we-
sentlichen Verteuerung von Zillergründl eine äußerst gespannte Situa-
tion herrscht. Vst.Dir. Zach möchte am liebsten den Bau einstellen, GD
Fremuth meint, es sei unverantwortlich, daß man diese Mehrkosten auf-
grund des Vertrages mit den Deutschen jetzt selbst zahlen müßte, die
Verbund gebährt sich jetzt so, als ob sie nie zu all diesen Problemen
Stellung nimmt. In Wirklichkeit beschweren sich die Sondergesellschaf-
ten, daß sie von der Verbund im wahrsten Sinne bemuttert werden, wenn
dann irgendetwas schief geht, aber tun sie empört. Tatsache ist, daß
dieser Vertrag mit den Deutschen nicht nur der Verbund bekannt war
sondern sicherlich auch dort entsprechend geprüft wurde. Daß die Fach-
leute diese Entwicklung nicht voraussahen und unzulängliche Vertrags-
bestimmungen genehmigten, ist eine Frage, die sowohl die Sondergesell-
schaft TKW als auch die Verbund trifft. Sich jetzt da gegenseitig die
Schuld zuzuschieben, hilft gar nichts. Viel wichtiger ist es, alles da-
ran zu setzten, um aus diesem Dilemma herauszukommen. Ich persönlich
werde also mit aller Vehemenz dafür eintreten, daß der Bau auf alle
60-0715
Fälle zügig weitergeführt wird. Die finanziellen Belastungen sind sehr
erheblich. Jedwede Bauverzögerung oder Durchführung aber bringt
nur noch mehr Umweltschützer auf den Plan, kann dann womöglich aufgrund
von Verfahren, die von anderen Ministerien gewünscht werden, siehe jetzt
Hainburg, dazu führen, daß es zu Bauverzögerungen und noch größeren
finanziellen Auflagen kommt, als derzeit jetzt schon von der E-Wirt-
schaft akzeptiert werden müssen. Dies soll nicht als Entschuldigung
gelten, daß man schlechte Verträge in der Vergangenheit abgeschlossen
hat und daß man bestrebt sein muß, diese Verträge so schnell als möglich
im Interesse und zum Vorteil der Verbund, resp. der Sondergesellschafter
zu ändern. Niemals aber darf eine solche Situation auch nur gedanken-
weise dazu führen, daß man Projekte zurückstellt oder gar vielleicht
abbricht.
ANMERKUNG FÜR SATZINGER: Bitte Jour fixe Fremuth setzen.
Tagesprogramm, 4.6.1981
hs. Notizen (Tagesprogramm Rückseite)