Entwicklung einer digitalen Infrastruktur als Werkzeug zur Analyse und designhistorischen Betrachtung von Trinkgläsern.
Ein Glas Milch wird im Psychothriller „Suspicion“1 (Jacobi 2014) von Alfred Hitchcock zum spannungsgeladenen Deutungsträger und Schlüssel der weiteren Handlung. Tatsächlich sind wir umgeben von den verschiedensten Arten von Trinkgläsern, die immer auch Träger von Informationen über Nutzer, Konsumverhalten und die gesellschaftlichen Normen sind. Allerdings sind sie so alltäglich, dass wir uns darüber kaum Gedanken machen, genauso wenig wie über die Form oder die Herstellungsweise. Ob Preis, Funktion, Design – es spielen unterschiedliche Kriterien eine Rolle, warum Konsumenten sich für ein ganz bestimmtes Trinkglas entscheiden. Gibt es aber auch Kriterien, die das gute Glas von einem minderwertigen unterscheiden? Um diese zu beurteilen, müssen sowohl die Hintergründe der formalen Gestaltung, das Wissen über Trends und Geschmack, die traditionelle Verwendung sowie insbesondere die Möglichkeiten der Glasherstellung untersucht werden. Unter der Prämisse der ‚guten Form‘ wurden in der Nachkriegszeit Objekte ausgewählt, die als besonders hochwertig angesehen wurden. Diese wurden in Ausstellungen gezeigt oder mit Preisen ausgezeichnet, um sowohl Hersteller als auch Verbraucher für die gute Gestaltung zu sensibilisieren. Die damals aufgestellten Richtlinien werden in dieser Arbeit anhand der prämierten Trinkgläser überprüft. Auf dieser Basis werden schließlich eigene Kriterien festgelegt, die eine Aussage über die Qualität von Trinkgläsern geben.
Als Werkzeug zur Sammlung und Analyse der Daten dient ein digitales Instrumentarium, das auf Basis der bereits bestehenden Informationsplattform WissKI (Görz 2011)2 entwickelt und dem Forschungsgegenstand angepasst wurde. Bereits in der Planung des Instrumentariums stand der zu erforschende Gegenstand im Zentrum. Die Untersuchung des Trinkglases als Typus mit seinen Einzelteilen und Merkmalen diente sowohl der Konzeption der Datenbank als auch der Erstellung der CIDOC-CRM3 basierten Domänenontologie4 als Grundlage. Mit diesen Vorarbeiten wurde eine dem Forschungsthema entsprechende Datenbank modelliert, mit passenden Masken und einem hinterlegten Fachbegriffssystem.
Aus der inhaltlichen Bearbeitung und der Entwicklung der digitalen Infrastruktur ist der Grundstock zu einem disziplinären Repositorium5 zum Thema Trinkglas gelegt. Ziel ist, dass diese Datenbank nicht nur für ein Forschungsprojekt genutzt wird, sondern anschließend auch in Museen speziell für den Bereich Gebrauchsglas eingesetzt werden kann. Das Repositorium dient als zentrale Datenbank in der sowohl die Daten zu den verschiedenen Trinkgläsern gebündelt als auch sämtliche zugehörigen Informationen und Dokumente, die zur Erforschung der Gläser relevant sind, an einem Ort zusammengeführt werden. Zusätzlich zu den Abbildungen von Gläsern werden Kataloge, Werbeprospekte und technische Zeichnungen bereitgestellt. Bereichert wird die Datenbank durch ein erweiterbares Glossar mit Abbildungen und der Definition von Fachbegriffen sowie einem Warenzeichenlexikon, welches die Einordnung und Zuschreibung von Gläsern erleichtert.
Für Datensammlungen im Allgemeinen und die Datenbank ‚Das gute Glas’ im Speziellen stammen die Daten in der Regel aus unterschiedlichen Quellen und Kontexten, was eine Heterogenität der Daten zwangsläufig mit sich bringt. Das bedeutet, die sinnvolle Nutzung der Daten ist nicht immer gegeben und muss zunächst durch eine systematische Vereinheitlichung passieren. Zusätzlich zum Metadatenschema, die als Ontologie dem System hinterlegt ist, dient dafür die Orientierung an Dokumentationsstandards6 sowie die Verlinkung zu Normdaten7 .
Im Gegensatz zu konventionellen Museumsdatenbanken bleibt durch die Nutzung solch eines Trinkglas-Repositoriums bereits geleistete Forschungsarbeit nicht auf eine Institution oder Person begrenzt, sondern kann auch von anderen Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen genutzt werden. Insbesondere bei einem Forschungsgegenstand wie dem Trinkglas, bei dem das Material weit über Europa verstreut ist, ist eine Zusammenführung von Daten zum Erkenntnisgewinn wünschenswert. Das Dissertationsprojekt ‚Das gute Glas‘ stellt in der Kunstgeschichte und im Museumsalltag ein Pilotprojekt dar, welches die Methoden der Digital Humanities8 nutzt und seine Vorteile gegenüber herkömmlicher Herangehensweisen für die wissenschaftliche Bearbeitung etabliert.
Fußnoten
Bibliographie
- Görz, Günther (2011): „WissKI: Semantische Annotation, Wissensverarbeitung und Wissenschaftskommunikation in einer virtuellen Forschungsumgebung. In: Kunstgeschichte.”, in: Open Peer Reviewed Journal, 2011 http://www.kunstgeschichte-ejournal.net/167/1/Goerz.pdf [letzter Zugriff am: 26.02.2015].
- Jacobi, Hanna (2014): „Alfred Hitchcock: ‚Suspicion’ - das wichtigste Milchglas des Kinos”, Radiobeitrag am 03.05.2014 http://detektor.fm/kultur/alfred-hitchcock-suspicion [letzter Zugriff am: 13.09.2019].
- Fichtner, Mark / Hohmann, Georg (2005): „Chancen und Herausforderungen in der praktischen Anwendung von Ontologien für das Kulturerbe” in: Digitales Kulturerbe : Bewahrung und Zugänglichkeit in der wissenschaftlichen Praxis: 116.
- „Repositorien | Bewahren und Nachnutzen | Themen” https://www.forschungsdaten.info/themen/bewahren-und-nachnutzen/repositorien/ [letzter Zugriff: 18.10.2016].
- Sahle, Patrick (2011): „Was sind die digitalen Geisteswissenschaften?“: 4. in: Sahle, Patrick: Digitale Geisteswissenschaften. http://dig-hum.de/sites/dig-hum.de/files/cceh_broschuereweb.pdf" [letzter Zugriff: 06.03.2015)].
- SPECTRUM The UK Museum Documentation Standard. http://museumswesen.smwk.sachsen.de/download/spectrum-de-3-1_21-1-2013.pdf [letzter Zugriff: 05.07.2019].
- „Was sind Repositorien” https://open-access.net/informationen-zu-open-access/repositorien/ [letzter Zugriff: 18.10.2016].
- Weller, Kathrin (2013): „Ontologien”, in: Kuhlen, Rainer / Semar, Wolfgang / Strauch, Dietmar: Grundlagen der praktischen Information und Dokumentation. Handbuch zur Einführung in die Informationswissenschaft und-praxis: 207, S. 209.
- „What is the CIDOC CRM” http://www.cidoc-crm.org [letzter Zugriff: 13.09.2019].
- „What is WissKI?” http://wiss-ki.eu/what_is_wisski. [letzter Zugriff: 07.07.2017].
- „WissKI – Wissenschaftliche Kommunikations-Infrastruktur” http://www.gnm.de/forschung/archiv-forschungsprojekte/wisski/ [letzter Zugriff: 07.07.2017].
- Abbildungsnachweis: Filmstill aus dem Film „Suspicion“ von A. Hitchcock. https://3.bp.blogspot.com/-y-WDR3et970/VU6WDMemTbI/AAAAAAAAMJU/fHcl4mAGpZY/s1600/cary%2Bgrant%2Bglass%2Bmilk%2Bsuspicion%2Bhitchcock.jpg [heruntergeladen am: 13.09.2018].