Ethisch - transparent - offen Die CARE-Prinzipien und ihre Implikationen für geisteswissenschaftliche FDM-Services

Moeller, Katrin; Söring, Sibylle; Imeri, Sabine; Lemaire, Marina; Reichert, Nils
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Einführung

Format: Workshop, 4 h (halbtags)

Zielgruppe: FDM-Beratungspersonal und -Infrastrukturentwickler:innen; Fachwissenschaftler:innen

Gruppengröße: max. 30 Teilnehmende

Techn. Ausstattung: Beamer, Whiteboards/Pinnwände, Medienkoffer

Bei den Einreichenden handelt es sich vor allem um Vertreter:innen von Datenzentren und Infrastruktureinrichtungen (AG Datenzentren des DHd-Verbandes), deren Aufgabe es u.a. ist, Forschende bei der Entwicklung und Umsetzung des Forschungsdatenmanagements (FDM) in den Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften zu unterstützen und Forschungsinfrastrukturen sowie Daten für diese Disziplinen bereitzustellen. Dabei fallen häufig schon Beratungs- und Kompetenzvermittlungsaufgaben an, die weit in rechtliche und ethische Thematiken ausgreifen, für die Mitarbeiter:innen von Datenzentren und institutioneller Infrastruktureinrichtungen häufig aber nicht umfassend ausgebildet oder geschult sind, und für die aus geisteswissenschaftlicher Perspektive auch noch kaum Handreichungen existieren.

Während die Einreichenden im Rahmen des Workshops ihre disziplinäre und infrastrukturelle Expertise und Erfahrung in der FDM-Beratung und dem Aufbau von FDM-Services einbringen, werden fachliche Beiträge zu Anwendungskontexten, zur Relevanz und disziplinären Ausweitung der CARE-Prinzipien durch die Ethnologin Sabine Imeri, den Juristen Thomas Henne, das Netzwerk “Koloniale Kontexte” und den Historiker Cord Pagenstecher eingebracht. Die Verschränkung von FDM-Expertise und Problemszenarien der interdisziplinären Forschungspraxis soll beide Handlungsebenen des FDMs besser miteinander in Bezug setzen und die gegenseitige Wahrnehmung von Bedarfen, Herausforderungen und Lösungskonzepten fördern.

Workshopidee und Zielgruppe

Während die FAIR-Prinzipien (Wilkinson 2016; Kraft 2017) die Aufmerksamkeit vor allem auf Eigenschaften von Forschungsdaten als Voraussetzung für gelingenden und nachhaltigen Datenaustausch richten, werden ethische Fragestellungen, Machtdynamiken und historische Kontexte des Umgangs mit Forschungsdaten bisher nicht systematisch im FDM berücksichtigt. Ein wichtiger Impuls hierzu wurde mit den CARE-Prinzipien (GIDA 2019) für die Handhabung von Forschungsdaten geschaffen, die sich auf Indigene Gruppen und Gemeinschaften beziehen: Die Initiative fordert dazu auf, komplementär zu FAIR mit den vier Dimensionen Collective Benefit, Authority to Control, Responsibility und Ethics auch die Zwecke von Datentransparenz und -austausch sowie deren Auswirkungen auf Indigene Gruppen und Gemeinschaften regelmäßig zu reflektieren. Die CARE-Prinzipien ergänzen die FAIR-Prinzipien in der Absicht, in der Open Science- und Open Data-Bewegung “Indigene Datensouveränität” (Carroll et.al 2020) und damit die Selbstbestimmungsrechte Indigener Gruppen (UNDRIP 2007, insb. Art. 31) mit Blick auf deren Wissen und kulturelles Erbe zu stärken (vgl. z.B. das digitale Archiv der Passamaquoddy People). In einer breiteren Perspektive scheinen diese Überlegungen geeignet, genereller unterschiedliche Aspekte von Verantwortung in Prozessen der Erzeugung und Öffnung von Forschungsdaten zu thematisieren. Darunter fallen etwa die zeitlichen Dimensionen der Archivierung von Forschungsdaten oder die Historizität von Standards und Regelwerken sowie von Forschungs- und Erhebungsmethoden. Gleichfalls sind ethische Belange stärker zu berücksichtigen, etwa mit Blick auf Material aus kolonialen Kontexten, der Darstellung bestimmter jeweils stigmatisierter Menschen (z.B. uneheliche oder behinderte Menschen in bestimmten Gesellschaften) oder Quellen, die Übergriffe im Kontext von Diktaturen thematisieren. Fragestellungen reichen dabei vom Umgang mit Beutegut und kolonialen Darstellungen in Museen/Forschungsdaten/Vokabularen bis hin zur Verwendung von Ortsnamen der Vergangenheit oder den Umgang mit Methoden der verstehenden Deutung. 

In vielen geistes- und kulturwissenschaftlichen Forschungsprojekten sind solche Fragen virulent, da diese Sachverhalte nicht nur personengebundene Daten betreffen, die aufgrund gesetzlicher Regelungen noch einen besonderen Schutz genießen. Auch Datenzentren, die historische Daten anbieten, müssen ihre gesellschaftliche Verantwortung reflektieren und die vertretenen ethischen Prinzipien transparent machen. So wie momentan um Ausstellungskonzeptionen mit kolonialem Erbe oder die Benennung von Straßen und Einrichtungen gerungen wird, sind ähnliche Debatten auch hinsichtlich von öffentlichen Datenbeständen zu erwarten. Es bleibt fraglich, ob solche Probleme allein durch eine kritische Positionierung (Quellenkritik) bearbeitbar sind. Gleichzeitig müssen forschungsspezifische Prinzipien (Erhalt der Kontextualisierbarkeit) beachtet werden, welche die Einbettung von Wissen und ihre Rezeption rekonstruieren können und müssen, um sie zeitspezifisch zu analysieren (Schwerhoff 1992). Die geisteswissenschaftlichen Forschungsdatenzentren, die sowohl Forschungsprojekte bei der Entwicklung ihrer FDM-Strategien beraten als auch Infrastrukturen für die Datenerhebung, -aufbereitung, -analyse, -publikation und -archivierung bereitstellen, verfügen in dieser Hinsicht bisher kaum über professionelle Strukturen. Dies betrifft sowohl Handlungskonzepte in der Beratungspraxis, der Infrastrukturentwicklung und -bereitstellung im Hinblick auf CARE, als auch die Frage, wie ggf. widersprechende Anforderungen der FAIR-Prinzipien oder fachspezifischen Methoden hier in Einklang zu bringen sind. Eine Umfrage im Kreis der Vertreter:innen der DHd AG Datenzentren zeigte, dass hier weder umfangreiche Kompetenzen verfügbar, noch solche Fragestellungen bisher überhaupt Teil einer größeren Debatte sind. Weder können Forschungsprojekte hinsichtlich ethischer oder rechtlicher Belange adäquat beraten werden, noch lässt sich bisher einschätzen, welche Maßnahmen in der Entwicklung und für den Betrieb von Forschungsinfrastrukturen ergriffen werden müssen, um unter Berücksichtigung der CARE-Prinzipien Daten zu verarbeiten, bereitzustellen und zu kontextualisieren. Ebenso bestehen meist keine Ressourcen im weiteren Feld der Einrichtungen, um reguläre Services und Dienste hierfür anbieten oder vermitteln zu können. 

Vor diesem Hintergrund soll der Workshop die Möglichkeit geben, die vielfältigen interdisziplinären Herausforderungen und Lösungsansätze in Theorie und Praxis kennenzulernen. So existieren bereits verbindliche Regularien und Prinzipien im Bereich der ethischen Herausforderungen für medizinische Versuche oder Beratungen (Frewer/Bruns/May 2012) bzw. längere Debatten in der qualitativen Sozialforschung und der Ethnologie (von Unger/Dilger/Schönhuth 2016), die hier Impulse zur Diskussion bieten. Ebenso gibt es in einem größeren Kontext Überlegungen zur Treuhänderschaft von Daten, die als neue Grundlage die Berechtigung von Institutionen zur Datenhaltung und -weitergabe thematisieren (RfII 2021). Denn nicht nur die Kompetenzen der einzelnen Mitarbeiter:innen müssen sich hinsichtlich dieser Rahmenbedingungen weiterentwickeln, auch die gesetzlichen Grundlagen der Institutionen bleiben bisher auf einzelne Einrichtungstypen orientiert. So gelten bspw. besondere gesetzliche Grundlagen im Umgang mit personenbezogenen Daten spezifisch für Archive, nicht aber für Datenzentren. 

Programm des Workshops

Die Diskussion und Erarbeitung von Richtlinien für einen ethisch angemessenen Umgang mit Forschungsdaten in geisteswissenschaftlichen Disziplinen ist daher insgesamt noch wenig konsequent verfolgt worden. So bleibt bisher unklar, was CARE im hier skizzierten breiteren Verständnis für den Datenaustausch, den Aufbau infrastruktureller Lösungen bzw. für die Nutzung bereits bestehender Infrastrukturen bedeuten kann, welche Themen adressiert und welche Richtlinienkompetenz die Datenzentren hier entwickeln wollen oder müssen.

Daher soll der Workshop zunächst einen vertiefenden Einblick und Verständnis für die CARE-Prinzipien schaffen und eine offene Diskussionsplattform bieten, um Ideen zu entwickeln, wie die CARE-Prinzipien in das Forschungsdatenmanagement, die FDM-Beratung und die Forschungsinfrastrukturentwicklung integriert und wie eine Rückwirkung auf die forschende Community ausgestaltet werden können. Anhand von spezifischen Praxisbeispielen werden konkrete Anwendungsszenarien vorgestellt, die für die systematisierende Diskussion als Impulse dienen.

Der Workshop sieht ein dreistufiges Format vor: 

1. Der erste Teil macht die Vermittlung von Wissen zu den CARE-Prinzipien und der Systematisierung / Strukturierung damit verbundener Themen und Fragestellungen zum Gegenstand, die sich aus rechtlichen, ethischen und gesellschaftlichen Prinzipien ableiten lassen.

Einführend wird die Ethnologin Dr. Sabine Imeri die CARE-Prinzipien erläutern und grundlegende damit verbundene Wissenskonzepte und Anwendungskontexte illustrieren.

2. Daran anschließend stellen sich Projekte und Initiativen vor, die mit den von CARE adressierten Problematiken umgehen müssen, die aber in der tatsächlichen Umsetzung von CARE derzeit nur punktuell auf gesicherten Prinzipien jenseits gesetzlicher Regularien aufbauen können.

Diese Praxisbeispiele speisen sich nach den momentanen Planungen aus folgenden drei Use Cases:

2.1. Dr. Cord Pagenstecher vom Center für Digitale Systeme (CeDiS) der Freien Universität Berlin) berichtet aus dem Bereich der Oral History über ethische und datenschutzrechtliche Herausforderungen im Kontext des Aufbaus übergreifender audiovisueller Zeitzeugenarchive aus der NS-Zeit und im adäquaten Umgang mit historischen Unrechtssystemen. Der Projektverbund baut eine digitale Informationsinfrastruktur für wissenschaftliche Sammlungen von audiovisuell aufgezeichneten narrativen Interviews, v. a. für die zeitgeschichtliche Forschung, auf. 

2.2. Prof. Dr. jur. Thomas Henne, LL.M. (Berkeley) eröffnet eine archivrechtliche Perspektive, die im Kontext der CARE-Prinzipien aufkommende Herausforderungen für Datenzentren und Produzent*innen von Forschungsdaten Orientierung und Verlässlichkeit bieten kann. Der im Archivrecht festgeschriebene öffentliche Auftrag von Archiven geht mit Pflichten und Möglichkeiten einher, Daten zu schützen, zu veröffentlichen und – von ihrer Entstehung an – zu erhalten.

2.3. Prof. Dr. Henning Schreiber und Dr. Katrin Pfeiffer vom Asien-Afrika-Institut der Universität Hamburg thematisieren insb. den Aspekt ' Collective Benefit' anhand aktueller Überlegungen zu Fragen von Digital Data Literacy aus afrikanistischer Perspektive. Grundlage ist ein Kooperationsprojekt, in dem die Sammlungen des National Centre Of Arts And Culture (NCAC) in Gambia digitalisiert und katalogisiert wurden.

3. Die anschließende Diskussion der Teilnehmenden mit den Expert:innen kann auf dieser Basis die Relevanz der CARE-Prinzipien in Theorie und Praxis für geisteswissenschaftliche Forschungsdaten und deren Verarbeitung in Datenzentren zum Gegenstand machen. Im Zentrum steht dabei die Identifizierung wesentlicher fachübergreifender Themen einer auf CARE-Prinzipien beruhenden, generalisierbaren Beratung zu ethischen Fragen im FDM. Darüber hinaus soll die Berücksichtigung wesentlich geisteswissenschaftlicher Ansätze und Problemlagen, etwa der Herausforderung zum Erhalt historischer Narrative und ihrer analytischen Kontextualisierbarkeit im Rahmen von historischen Studien sowie darauf aufbauender Methoden, in den Blick genommen werden.

Diese Systematisierung wird hinsichtlich bestehender Lösungsansätze anderer Fachdisziplinen, adaptierbarer Lösungspotentiale und perspektivischer Anknüpfungspunkte diskutiert. Damit können als Ergebnis des Workshops Ideen und Lösungsschritte dokumentiert werden, die Empfehlungen zum Umgang mit den CARE-Prinzipien in der Alltagspraxis der geisteswissenschaftlichen FDM-Beratung und der Datenzentren entwickeln. Für die langfristige Bearbeitung dieser Themenkomplexe werden Herausforderungen und Problemszenarien sowie noch offene Lösungsstrategien gebündelt. Die Art der Ergebnissicherung wird Bestandteil des Workshops sein. 


Bibliographie