Webservice correspSearch Version 2
Briefe sind wichtige Quellen für eine Vielzahl geisteswissenschaftlicher Fragestellungen.1 Sie versprechen und ermöglichen Einblicke in die Lebens- und Gedankenwelt der Korrespondent:innen, in ihnen wird eine Vielzahl von Themen, Ereignissen, Personen usw. angesprochen oder kommentiert (Schmid 2001, 38). Darüber hinaus bilden historische Korrespondenzen ein – eigentlich unbegrenztes – Briefnetzwerk (Bunzel 2013). Schon lange werden Briefe deshalb in wissenschaftlichen Editionen erschlossen. Die Anzahl edierter Briefe wächst mittlerweile allerdings so stark, dass ihre Menge kaum noch zu überschauen ist (Bunzel 2013). Darüber hinaus sind Briefeditionen in der Regel an einer oder zwei Korrespondent:innen orientiert. Die Erschließungsform einer Briefedition wird also (gerade in gedruckter Form) einem zentralen Charakteristikum der Textsorte „Brief“ nur schlecht gerecht: Briefe Dritter, denen keine eigene Ausgabe gewidmet ist, lassen sich nur mit Mühe auffinden, erweiterte Korrespondenznetzwerke, Arbeits- oder Freundeskreise werden durch eine solche Editionspraxis aufgespalten oder gar unsichtbar. Für systematische, nicht personenzentrierte Fragestellungen werden so Hürden aufgebaut.
Um diese methodischen Probleme im Umgang mit Briefen zu lösen, wurde bereits 2014 der Webservice correspSearch (https://correspSearch.net) entwickelt, der Briefmetadaten aus gedruckten und digitalen Editionen aggregiert und zur Recherche bereitstellt (Dumont 2016). Stand correspSearch bisher nur als Prototyp mit eingeschränkten Suchfunktionalitäten zur Verfügung, wurde im Juni 2021 die neu entwickelte Version 2.0 mit vielen neuen Recherchemöglichkeiten relauncht.2 Das Poster wird die maßgeblichen Neuerungen dieser Version sowie einige zugrundeliegende theoretische und technische Entscheidungen vorstellen und beispielhaft Nutzungsszenarien aufzeigen.
Mit dem Relaunch wird bei der Suche eine umfangreiche Auswahl an Facetten angeboten, die eine explorative Erkundung und die Filterung der Suchergebnisse erlauben. So gibt ein Histogramm einen schnellen Überblick über die nachgewiesene Korrespondenz pro Jahr; Korrespondent:innen und Orte lassen sich anhand der Trefferanzahl oder alphabetisch sortieren, usw. Die Normdaten-basierte Architektur von correspSearch ermöglicht die Anreicherung der aus den Briefverzeichnissen übernommenen Daten mit Informationen aus Normdateien. Ein erstes Ergebnis dieser Anreicherung ist die Suche anhand des Geschlechts der Korrespondent:innen, die natürlich mit weiteren Merkmalen kombiniert werden kann. In Zukunft werden auch Suchen nach Briefen von bestimmten Berufsgruppen (Musiker:innen, Philolog:innen etc.) ermöglicht. Darüber sollen auch die Inhalte von Briefen schlagwortartig recherchierbar gemacht werden (Dumont u. a. 2019).
Eine völlig neue Rechercheoption der jetzt veröffentlichten Version 2 des Webservices bietet die Karten-basierte Suche: hier kann auf einer Karte eine Region frei eingezeichnet werden, in der alle Orte als Schreib- oder Empfangsort enthalten sind – natürlich in Kombination mit Datumsangaben. Dadurch werden ereignisbasierte Suchen möglich.3 Wichtige Grundlage für eine solche Suche ist die oben bereits erwähnte Nutzung von Normdaten. Die in den indizierten Briefverzeichnissen angegeben Ortsangaben werden bei der Verarbeitung und Aufbereitung für die Indizierung in Elasticsearch mit Koordinaten aus dem Datenbestand von geonames.org angereichert. Darüber hinaus können in der Karten-basierten Suche neben frei gezeichneten Regionen auch vordefinierte historische Staatsgebiete verwendet werden. Deren geographische Angaben werden von HistoGIS (Andorfer u. a. 2019), einem Webservice der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, als Shapefiles bezogen. CorrespSearch folgt hier wie auch bei Personen und Orten dem Ansatz einer „lightweight infrastructure“, bei dem auf briefspezifische Charakteristika fokussiert wird und für andere Aspekte (Lebensdaten zu Personen, Geokoordinaten, etc.) die Daten anderer einschlägiger Informationsinfrastrukturen und Normdatengeber nachgenutzt werden.
CorrespSearch weist derzeit rund 140.000 Briefe nach – von der Reformation bis weit ins 20. Jahrhundert. Die Daten werden dabei von Editionsvorhaben und Institutionen aus den verschiedenen Fachcommunities in einem standardisierten Austauschformat – dem Correspondence Metadata Interchange Format (TEI Correspondence SIG 2015; Dumont u. a. 2019) – bereitgestellt. Um Datenbereitstellungen so einfach wie möglich zu machen, erlaubt die browserbasierte Eingabeoberfläche des CMIF Creators4 die einfache Erfassung von Briefmetadaten inkl. Normdaten-IDs.
Als Webservice bietet correspSearch die aggregierten, frei-lizenzierten Daten nicht nur in einer Rechercheoberfläche an, sondern auch zum automatisierten Abruf über eine API. Dadurch können die Briefmetadaten umfassend nachgenutzt werden, etwa zur Analyse mit Methoden der Historischen Netzwerkforschung oder zur Integration in digitale Editionen – vgl. zum Beispiel die Alexander von Humboldt-Chronologie in der edition humboldt digital (Schwarz 2017). Zur automatischen Vernetzung von Briefeditionen bietet der Webservice mit Version 2 das Javascript-Widget csLink an.5 csLink ermöglicht digitalen Briefedition den automatisierten Verweis von einem edierten Brief auf Briefe und Korrespondenzpartner:innen in anderen Editionen.
Fußnoten
Bibliographie
- Andorfer, Peter, Matthias Schlögel, Antonia Dückelmann, Peter Paul Marckhgott-Sanabria, und Anna Piechl (2019): HistoGIS. A Geographical Information System, Workbench and Repository to Retrieve, Collect, Create, Enrich and Preserve Historical Temporalized Spatial Data Sets [Webservice]. Wien: Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage / Österreichische Akademie der Wissenschaften. https://histogis.acdh.oeaw.ac.at/.
- Bunzel, Wolfgang (2013): „Briefnetzwerke der Romantik. Theorie - Praxis - Edition.“ In: Brief-Edition im digitalen Zeitalter, herausgegeben von Anne Bohnenkamp und Elke Richter, 109–32. Beihefte zu editio 34. Berlin/Boston: De Gruyter.
- Dumont, Stefan (2016): „CorrespSearch – Connecting Scholarly Editions of Letters“. Journal of the Text Encoding Initiative 10 (Dezember). https://doi.org/10.4000/jtei.1742.
- Dumont, Stefan, Ingo Börner, Dominik Leipold, Jonas Müller-Laackman, und Gerlinde Schneider (2019): „Correspondence Metadata Interchange Format“. In: Encoding Correspondence. A Manual for TEI-XML-Based Encoding of Letters and Postcards in TEI-XML and DTABf, herausgegeben von Stefan Dumont, Susanne Haaf, und Sabine Seifert, 1. Aufl. Berlin: Berlin-Brandenburg Academy of Sciences and Humanities. https://encoding-correspondence.bbaw.de/v1/CMIF.html.
- Handbuch Brief. Von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart., herausgegeben von Marie Isabel Matthews-Schlinzig, Jörg Schuster, Gesa Steinbrink, und Jochen Strobel (2020). Berlin/Boston: De Gruyter.
- Schmid, Irmtraud (2001): „Anforderungen an die Kommentierung von Briefen und amtlichen Schriftstücken“. In: „Ich an Dich“. Edition, Rezeption und Kommentierung von Briefen, 35–45. Innsbrucker Beiträge zur Kulturwissenschaft. Germanistische Reihe 62. Innsbruck: Universität Innsbruck.
- TEI Correspondence SIG, Hrsg. (2015): „Correspondence Metadata Interchange Format (CMIF)“. https://github.com/TEI-Correspondence-SIG/CMIF.