Mein liebster Schatz! Das Citizen Science-Projekt Gruß & Kuss stellt sich vor

Rapp, Andrea; Büdenbender, Stefan; Dietz, Nadine; Dunkelmann, Lena; Gnau-Franké, Birte; Liesenfeld, Nina; Schmunk, Stefan; Seltmann, Melanie E.-H.; Stäcker, Thomas; Werner, Stephanie; Wyss, Eva L.
https://zenodo.org/records/6328189
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Gruß & Kuss – Briefe digital. Bürger*innen erhalten Liebesbriefe ist ein innovatives Verbund- sowie Citizen-Science-Projekt, das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung für den Zeitraum von drei Jahren mit Start April 2021 gefördert wird. Es bindet aktiv Bürger*innen in die Digitalisierung und Erforschung von aktuell über 22.000 Liebesbriefen ein. Das Projekt wird durchgeführt von einem Team aus Wissenschaftler*innen unter der gemeinsamen Leitung von Prof. Dr. Andrea Rapp vom Institut für Sprach- und Literaturwissenschaft der Technischen Universität Darmstadt (TUDa), Prof. Dr. Eva L. Wyss vom Institut für Germanistik der Universität Koblenz-Landau (UKL), Prof. Dr. Stefan Schmunk vom Fachgebiet Bibliotheks- und Informationswissenschaft der Hochschule Darmstadt (h_da) sowie Prof. Dr. Thomas Stäcker, Bibliotheksdirektor der Universitäts- und Landesbibliothek Darmstadt (ULB) (vgl. Liebesbriefarchiv 2021a).

Grundlage des Projekts sind die seit 1997 im Liebesbriefarchiv (Wyss 2000) in Zürich und seit 2013 in Koblenz zusammengetragenen Spenden authentischer privater Liebesbriefe von Bürger*innen aus insgesamt drei Jahrhunderten (vom ältesten Brief aus dem Jahr 1768 bis zum jüngsten von 2021), aus 52 Ländern und sich wandelnder medialer Formate (vom klassischen Medium Brief über E-Mails bis hin zu WhatsApp-Nachrichten) (vgl. Liebesbriefarchiv 2021b). Hierbei handelt es sich um eine „unzugängliche Quelle der Alltagskultur […] für die bislang kein staatlicher Sammlungsauftrag existiert“ (Liebesbriefarchiv 2021a), wodurch das Archiv und das hieraus entstandene Projekt weltweit einzigartig ist.

In enger Zusammenarbeit von Wissenschaftler*innen und Bürger*innen möchte Gruß & Kuss diese Liebesbriefe gemeinsam erschließen, digitalisieren und erforschen. Dabei stellt sich die Frage, wie Emotionen wie Liebe, Glück und Leid, Sehnsucht sowie Intimität in ausgewählten Konstellationen wie Krisen, Trennung oder in geheimen Beziehungen erlebt und beschrieben werden. Um das zu untersuchen, sollen Liebesbriefe in diesem Forschungsprojekt mit zivilgesellschaftlicher Teilhabe erschlossen werden. Zudem wird erstmals die dauerhafte Erforschung und Bewahrung der Liebesbriefe in (digitalen) Gedächtniseinrichtungen sichergestellt (vgl. Liebesbriefarchiv 2021a; Hastik o. J).

Während des Projekts werden Bürgerforscher*innen von Wissenschaftler*innen methodisch begleitet, unterschiedliche text- und sprachbasierte Untersuchungs- sowie Analysepraktiken durchzuführen. Dabei sollen digitale Werkzeugkästen erarbeitet und zur Nachnutzung auch für andere (Transkriptions-)Projekte zur Verfügung gestellt werden (vgl. Liebesbriefarchiv 2021a). Die Partizipationsmöglichkeiten sind angelehnt an das vierstufige Citizen-Science-Modell von Muki Haklay (2013: 116f.). 

Tab. 1: Partizipationsstufen im Projekt Gruß & Kuss Level Name Teilnahmemöglichkeiten 1 Crowdsourcing Sichtung, Transkription und Edition von Liebesbriefen 2 Distributed Intelligence Annotation von Briefen und Textelementen 3 Participatory Science Identifizierung von thematischen Clustern und Formen des schriftlichen Ausdrucks durch digitale Analyse der Briefe 4 Extreme Citizen Science Bearbeitung eigener Forschungsfragen
Level Name Teilnahmemöglichkeiten
1 Crowdsourcing Sichtung, Transkription und Edition von Liebesbriefen
2 Distributed Intelligence Annotation von Briefen und Textelementen
3 Participatory Science Identifizierung von thematischen Clustern und Formen des schriftlichen Ausdrucks durch digitale Analyse der Briefe
4 Extreme Citizen Science Bearbeitung eigener Forschungsfragen

Dabei werden folgende Meilensteine anvisiert (vgl. Liebesbriefarchiv 2021a): 

  • Das „ExplorationLab“ wird Bürgerwissenschaftler*innen als Liebesbrief-Freunde in drei gemeinsamen Labs an digitale Methoden der Texterschließung heranführen (z.B. transkribieren). Hieraus werden besonders beispielhafte Liebesbriefe, wissenschaftliche Beiträge und (Transkriptions-)Tutorials erarbeitet und veröffentlicht. 
  • Aus den Liebesbrief-Freunden werden Liebesbrief-Forscher-Teams gebildet, die in Formaten wie einem „Blind Date Café/Stelldichein“ gemeinsam eigene Themencluster (z.B. heimliche/verbotene Liebe, Liebe im Krieg) identifizieren und Forschungsideen entwickeln. Auch hier münden die Ergebnisse der (bürger-)wissenschaftlichen Forschung in Tutorials und Blog-Beiträgen. Zudem soll eine „Love Coding App“ für die weitere Projektarbeit (und darüber hinaus) entwickelt werden. 
  • Das „Love-Coding-Lab“ veranstaltet standortübergreifend Workshops. Die beteiligten Bibliotheken dienen als Begegnungsort zwischen Zivilgesellschaft und Wissenschaft.

Das Projekt verfolgt mehrere Ziele: Zum einen die Zusammenführung von Wissenschaft und Zivilgesellschaft durch das gemeinsame Erforschen dieses einzigartigen Kulturgutes sowie die Bewusstseinsschärfung für die eigene Kulturträgerschaft; zum anderen aber auch die Ermöglichung und Sicherstellung einer digitalen, datenschutzkonformen Langzeitarchivierung der Liebesbriefe. Durch die dauerhafte Verankerung dieser Alltagsquelle als Teil eines digitalen und kulturellen Gedächtnisses wird eine wissenschaftliche, zivilgesellschaftliche und technologische Nachhaltigkeit für die weitere Nachnutzung geschaffen. 

Das vorgestellte Poster fokussiert hierbei insbesondere die Partizipationsmöglichkeiten am Projekt Gruß & Kuss und zeigt auf, inwiefern Bürgerforscher*innen aktiv in das Projekt und den Forschungsprozess eingebunden werden können. Das Poster soll als Anstoß für einen wissenschaftlichen Austausch mit der DH-Community dienen.


Bibliographie

  • Haklay, Muki (2013): “Citizen Science and Volunteered Geographic Information: Overview and Typology of Participation”, in: Sui, Daniel / Elwood, Sarah / Goodchild, Michael (eds.),  Crowdsourcing Geographic Knowledge: Volunteered Geographic Information (VGI) in Theory and Practice. Dordrecht: Springer Netherlands 105–122.
  • Hastik, Canan (o. J.): "Integration and access to heterogeneous resources of the Koblenz love letter archive." User Story 328. In: Text+. https://www.text-plus.org/en/research-data/user-story-328/.
  • Liebesbriefarchiv (2021a): Gruß & Kuss – Briefe digital. Bürger*innen erhalten Liebesbriefe. https://liebesbriefarchiv.wordpress.com/grus-kuss-briefe-digital-burgerinnen-erhalten-liebesbriefe/.  
  • Liebesbriefarchiv (2021b): LBAKatalog.  https://liebesbriefarchiv.de/.
  • Wyss, Eva (2000): “Intimität und Geschlecht. Zur Syntax und Pragmatik der Anrede im Liebesbrief des 20. Jahrhunderts”, in: Elmiger, Daniel / Wyss, Eva Lia (eds.): Sprachliche Gleichstellung von Frau und Mann in der Schweiz. La féminisation de la langue en Suisse. La femminilizzazione della lingua in Svizzera. L’egualitad linguistica da dunna ed um en Svizra. (= Bulletin VALS/ASLA 72) 187-210.