Flurnamen sind Benennungen von Örtlichkeiten der Siedlungsflur, die vor allem der Gliederung der Landschaft dienen. Es handelt sich um die Bezeichnungen für Wälder, Felder, Wiesen, Berge, Gewässer und alle anderen natürlichen oder durch den Menschen beeinflussten Geländegegebenheiten, an denen sich der Mensch in der Landschaft orientiert. Auffallend ist ihr eingeschränkter Kommunikationsradius. Sie werden meist nur von Einheimischen benutzt, gelegentlich auch nur von einzelnen Familien. Flurnamen reagieren stark auf gesellschaftliche Veränderungen sowie Gegebenheiten wie Besitzwechsel oder variierende Bodenbewirtschaftung und sind deshalb nicht so stabil wie andere Örtlichkeitsbezeichnungen. Ihre schriftliche Überlieferung ist mundartlich geprägt. Flurnamen spiegeln das enge Verhältnis der Namengeber zu ihrem Lebens- und Arbeitsumfeld wider. Da es zumeist die bäuerliche Landbevölkerung war, die Flurnamen vergab, wurden diese Bestandteil regionaler Identität.
Flurnamen gehören zum immateriellen Kulturerbe: Ihre Erforschung gibt Aufschluss über die Siedlungsgeschichte und ehemalige Raumstrukturen, sie liefert Erkenntnisse über die Entwicklung der deutschen Sprache und ihrer Dialekte. Viele andere Wissenschaftsbereiche wie die Volkskunde, die Wirtschafts- und Sozialgeschichte, die Rechtsgeschichte sowie die Botanik, Zoologie und Geologie profitieren ebenfalls von den Forschungsergebnissen.
In Thüringen wird seit über 110 Jahren Flurnamenforschung betrieben. Dabei wurden insgesamt etwa 200.000 Namen aus Thüringen und dem Süden Sachsen-Anhalts erhoben und in einem Zettelarchiv an der Universität Jena gesammelt. Zusätzlich wurden seit 1999 in einem von Barbara Aehnlich wissenschaftlich betreuten Ehrenamtsprojekt mehr als 500 Sammlungen mit insgesamt rund 40.000 Namen von über 360 aktiven Mitarbeitenden eingereicht. Insgesamt ist mit einem Bestand von 300.000 bis 350.000 Flurnamen für Thüringen zu rechnen.
Die Digitalisierung der umfangreichen Belegsammlung des Flurnamenarchivs wird seit 2019 von der Thüringer Staatskanzlei gefördert und zielt auf die öffentliche Sicht- und Nutzbarkeit des in Kooperation mit der Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek (ThULB) entstehenden Portals.1 In diesem Digitalisierungsprojekt werden die Belege transkribiert und in die Datenbank Collections@UrMEL2 eingetragen. Abkürzungen und bibliographische Angaben werden dabei nach Möglichkeit aufgelöst. Etwa 72.000 Namenbelege sind bereits im Portal sichtbar.3 Parallel zur Abschrift werden die gescannten Belege mit den Gemarkungen verknüpft und in einem gemeinsamen Viewer zur Verfügung gestellt. Außerdem werden die Gemarkungen mit der zugehörigen Orts-ID der Gemeinsamen Normdatei (GND) und künftig die Flurstücke mit den offenen Geodaten des Thüringer Landesamtes für Bodenmanagement und Geoinformation verknüpft. Durch die in diesen Datensätzen enthaltenen Informationen wird eine Präsentation der Gemarkungen und Flurstücke in OpenStreetMap möglich. Das Portal macht also das Datenmaterial sicht- und nutzbar und ergänzt die Gemarkungen mit Kartenmaterial. Es stellt den bisher nur in Zettelform zur Verfügung stehenden Archivbestand dar und ist ein wichtiger Schritt, die Thüringer Flurnamenforschung in die Zukunft zu führen.
Aktuell wird die Zusammenarbeit von Bürger*innen und Wissenschaft intensiviert. In engem Austausch erheben Ehrenamtliche die Flurnamen und erfassen das lokale Wissen ihrer Heimatorte, indem sie die mundartliche Lautung der Namen, Sagen und Legenden sowie Informationen zu landschaftlichen und historischen Gegebenheiten aufzeichnen und private Quellen erschließen. Die Bürger*innen werden durch verschiedene Maßnahmen geschult (Online- und Präsenzveranstaltungen, Flurnamensprechstunden, Workshops), so dass jede Altersgruppe ihren Fähigkeiten entsprechend mitwirken kann. Die Interaktion und der Austausch stehen dabei im Vordergrund. In der ThULB wird derzeit das Datenmodell des Flurnamenportals an diese Datenbestände angepasst und erweitert, damit die Belege passgenau eingegeben und dargestellt werden können. Aktuell wird die webbasierte Eingabemaske so angepasst, dass es in absehbarer Zeit möglich sein wird, dass die Bürger*innen ihre Ergebnisse selbst eintragen und diese nach einer wissenschaftlichen Überprüfung im Portal sichtbar werden. Die Arbeitsschritte im Projekt und deren Erfolge werden im Thüringischen Flurnamenportal, aber auch über Social-Media-Kanäle4 und Tagungsbeiträge der Öffentlichkeit vorgestellt.
Langfristig sollen die thüringischen Flurnamen flächendeckend erschlossen sowie sprach- und kulturwissenschaftlich ausgewertet werden. Alle Bestände sollen im Thüringischen Flurnamenportal zusammengeführt werden, um diese Informationen für die interessierte Öffentlichkeit und Forschende gleichermaßen zugänglich zu machen. Die digitale Auswertung und Darstellung des gesammelten sprachlichen Materials im Flurnamenportal verspricht im Sinne von Open Culture Auskünfte über die Geschichte der Orte, frühere Bodennutzungen und Landschaftsgestaltungen, Traditionen und Kultur, Siedlungsströme und Rechtsverhältnisse. Dies großräumig herauszuarbeiten und Verbreitungen auch kartografisch darzustellen, ist das große Ziel des thüringischen Flurnamenprojektes. Das Poster stellt die Arbeitsprozesse bei der Erstellung des Thüringischen Flurnamenportals sowie den bürgerwissenschaftlichen Ansatz vor und zeigt exemplarisch die Herausforderungen und unsere Lösungsansätze. Dabei werden auch der geplante Workflow für die Dateneingabe durch Ehrenamtliche, die Visualisierungsmöglichkeiten, die Social-Media-Aktivitäten und die Nutzung des Portals vorgestellt.
Fußnoten
Bibliographie
- Barbara Aehnlich. 2021. „Das Thüringer Flurnamenportal – Ein Werkstattbericht“ Namenkundliche Informationen (NI) 113: 35–52.
- Barbara Aehnlich. 2019. „Die thüringische Flurnamenforschung wird digital“ Heimat Thüringen , 26. Jahrgang, Heft 4: 21–24. (https://www.heimatbund-thueringen.de/publikationen/zeitschrift-heimat-thueringen/heimat-thueringen-heft-42019/)