Die perfekte digitale Open-Access-Publikation
Thematische Einordnung
Offene und frei zugängliche digitale Publikationen sind die Grundbedingung für einen globalen und fairen wissenschaftlichen Austausch und Erkenntniszuwachs. Diesen Grundsätzen von Open Science (vgl. Bartling und Friesike (Hg.) 2014) steht das an maximal ökonomischer Ausschöpfung orientierte Geschäftsmodell global agierender Verlagskonzerne in der Regel entgegen. So wird durch restriktive Zugangsmöglichkeiten zu aktuellen wissenschaftlichen Publikationen oder kommerziell orientierte Geschäftsmodelle eine wachsende Ungleichheit zwischen den wissenschaftlichen Playern Forschende, Bibliotheken und Verlage geschaffen (vgl. z.B. Lauer 2022). Open Access (OA) kann eine wichtige Antwort auf diese ökonomisch bedingte Schieflage im Wissenschaftssystem sein. Die verschiedenen Ausformungen, Bedingungen und Möglichkeiten des offenen digitalen Publizierens sollen im Rahmen des Workshops der AG ›Digitales Publizieren‹ (vgl. DHd 2022) auf der DHd-Konferenz 2023 thematisiert werden. Eine solche klärende Auseinandersetzung erscheint auch angesichts der teils verwirrenden Vielfalt der Open-Access-Modelle sinnvoll. Folgende Fragen dienen als Leitfaden durch den Workshop: Was ist heute bei einer digitalen OA-Publikation zu beachten? Welche rechtlichen und technischen Mindestanforderungen sollten erfüllt werden und welche Spezifika und Standards gelten für digitale Publikationen? Welche Fallstricke sind bei Open Access-Publikationen zu beachten? Was sind Hürden für (Nachwuchs-)Wissenschaftler*innen OA zu publizieren?
Besonderer Fokus wird auf die Frage gelegt, wie eine ›perfekte digitale Publikation‹ aussehen könnte und welche Strategien zu einer erfolgreichen digitalen Publikation in unterschiedlichen Szenarien führen. Im heterogenen Feld der digitalen Publikationen gibt es selbstverständlich nicht die eine Mustervorlage, an der sich alle messen müssen. Stattdessen sollte auf die Einhaltung bestimmter Qualitätsstandards – bezogen auf eine bestimmte OA-Publikation und deren Einsatzzweck – hingearbeitet werden. Die Gemeinsamkeiten aller digitalen OA-Publikationen herauszuarbeiten und zu diskutieren soll demnach ein wesentlicher Bestandteil des offenen Workshops sein. Die sachorientierte Diskussion wird durch eine kurze Einführung in das Thema durch Mitglieder der DHd-AG ›Digitales Publizieren‹ begleitet, sodass für Forschende aus allen Disziplinen der (Digital) Humanities, insbesondere auch Nachwuchswissenschaftler*innen, eine gemeinsame Diskussionsgrundlage geschaffen wird. Die Ergebnisse des 2021 überarbeiteten und neu veröffentlichten Arbeitspapiers der AG sollen dabei als Rahmen der Diskussion dienen sowie community-intern kritisch hinterfragt werden (vgl. AG Digitales Publizieren 2021).
Im Arbeitspapier der AG werden im Unterkapitel 3.2 Qualitätskriterien für eine Veröffentlichung vorgestellt, die auch Grundlage der thematischen Arbeit im Workshop sein werden:
- Die Leitlinien guter wissenschaftlicher Praxis werden beachtet.
- Nutzungsbedingungen der Publikation sind geklärt (z. B. durch Creative-Commons-Lizenzen; vgl. Creative Commons 2022).
- Open-Access-Empfehlungen wissenschaftlicher Institutionen oder des Open-Access-Netzwerks (vgl. Open Access Network 2022a) werden beachtet. Hier wird besonders auf die Berliner Erklärung (vgl. Max Planck Gesellschaft 2003) und die Vor- und Nachteile des Grünen vs. Goldenen Weges eingegangen (vgl. Open Access Network 2022b).
- Peer Review als Notwendigkeit der Qualitätssicherung: Blind or non-blind peer review? (vgl. AG Digitales Publizieren 2021, Abschnitt 4).
Ziel der Diskussion ist, diese Kriterien stärker ins Bewusstsein der Teilnehmenden zu bringen und gleichzeitig deren Notwendigkeit und Sinnhaftigkeit für digitale OA-Publikationen kritisch zu diskutieren. Technische Spezifikationen digitaler OA-Publikationen sind Geisteswissenschaftler*innen häufig weniger bewusst als die technischen Eigenschaften traditioneller Publikationen, insbesondere außerhalb der digitalen Geisteswissenschaften. Dazu werden im Workshop erstens die Dateiformate diskutiert, die sich besonders für eine Online-Veröffentlichung sowie die langfristige Archivierung eignen [PDF/A-Format (ISO 19005-1:2005)]. Zweitens thematisieren wir, warum digitale OA-Publikationen wie andere digitale Objekte mit einem Persistent Identifier (DOI, URN) versehen werden sollten. Idealerweise sollten auch die Autor*innen über einen Persistent Identifier wie eine ORCID in den Werken aufgeführt werden und damit referenzierbar in Erscheinung treten. Drittens eröffnen wir die Möglichkeit, über die Notwendigkeit der Verwendung internationaler Standards wie z. B. METS/MODS, EDM oder Dublin Core für die Erschließung, Speicherung und Archivierung der digitalen Objekte zu sprechen. Viertens sollte in diesem Zusammenhang unbedingt das DINI-Zertifikat für Open-Access-Publikationsdienste, insbesondere der entwickelte Kriterienkatalog, beachtet werden (Müller et al. 2019).
Schließlich ist zu diskutieren, welche finanziellen Unterstützungsmöglichkeiten es für Verlage gibt. Was sind Beispiele, Erfahrungen oder Herausforderungen, mit einem Verlag (und einem institutionellen Repositorium) Open Access (CC BY und CC BY-SA) zu publizieren? Gehört die Wahl des Verlages und die Finanzierung mit zu den Kriterien einer ›guten‹ OA-Publikation? Neben diesen übergreifenden Fragen soll der Workshop auch Raum für das Weiterdenken des digitalen Publizierens bieten. Ein Angebot innerhalb des Workshops besteht daher in der Diskussion von Kriterien für hybride Publikationsformen am Beispiel von Monographien und Sammelbänden, die sowohl in digitaler als auch in gedruckter Form erscheinen. Der in Kürze erscheinende Leistungskatalog des Projekts AuROA vereint sowohl Aufgaben im Bereich digital enhancement als auch verschiedene Formen der inhaltlichen und prozessualen Qualitätskontrolle, z.B. durch Angaben zur Offenheit/Geschlossenheit der Begutachtung, zum Status der Reviewenden und zur Erfüllung bestehender Kriterien (u. a. DFG-Kodex, COPE, FAIR-Prinzipien, PRISM etc.). Durch die Einhaltung solcher Kriterien kann u.a. der Gefahr von Predatory Publishing durch Transparenz begegnet werden.
Beitragende (und Forschungsinteressen)
Constanze Baum ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für deutsche Literatur an der Humboldt-Universität zu Berlin. Sie baute von 2014–2017 die Zeitschrift für digitale Geisteswissenschaften (ZfdG) als vollwertiges Open Access Journal auf. Ihre Forschungsinteressen richten sich u.a. auf Fragen des digitalen Publizierens für die Literaturwissenschaft und die Rolle der Digital Humanities für ihre Fachdisziplin.
Michael Dahnke hat 2017/2018 als Dozent für Digitalisierungskompetenz an der Universität Würzburg gearbeitet und war 2018/2019 für das Forschungsdatenmanagement im SFB 1187 der Universität Siegen verantwortlich. Als digitaler Editionsphilologe hat er sich seit 2017 in mehreren Editionsprojekten für die technische Koordination verantwortlich gezeichnet.
Patrick Dinger arbeitet seit 2020 an der Universitäts- und Landesbibliothek Münster/Universität Münster und ist als Referent für das digitale Service- und Sammlungsmanagement zuständig. Der studierte Historiker interessiert sich u.a. für die Digitalisierung und die digitale Präsentation von Kulturerbe, Standards, Infrastrukturentwicklung sowie digitale Publikationsformen.
Yuliya Fadeeva ist seit 2020 im Bereich Open Access (in den Geisteswissenschaften) an der Universitätsbibliothek Duisburg-Essen tätig. Zurzeit ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt AuROA. Ihre Open-Access-bezogenen Forschungsinteressen liegen im Bereich des Qualitätsbegriffs (wissenschaftlicher Arbeiten/wissenschaftlichen Arbeitens) im wissenschaftssoziologischen und -theoretischen Kontext und der Implikationen des digitalen Publizierens für die Wissenschaftspraxis.
Jan Horstmann leitet das Service Center for Digital Humanities an der ULB der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Seine Forschungsinteressen und -schwerpunkte liegen im Bereich der digitalen Methodologie mit besonderem Fokus auf die Textannotation, -analyse und Visualisierung im Bereich der computationellen Literaturwissenschaft. Infrastrukturell setzt er sich ein für die Einhaltung der FAIR- und CARE-Prinzipien einer nachhaltigen und offenen Wissenschaft.
Melanie Seltmann arbeitet seit 2021 im Zentrum für digitale Editionen der ULB Darmstadt und ist dort für das Citizen-Science-Projekt Gruß & Kuss sowie für das NFDI-Konsortium Text+, Task Area Editions zuständig. Die studierte Linguistin interessiert sich u.a. für die Bereiche Citizen Science, Wissenschaftskommunikation, Open Science, Standards sowie insbesondere für Annotationen.
Timo Steyer leitet das Referat Informationskompetenz an der Universitätsbibliothek Braunschweig und ist Fachreferent für die Fächer Anglistik, Germanistik und Geschichte. Zu seinen Forschungsinteresse zählen neben dem digitalen Publizieren vor allem die Bereiche Datenmodellierung und Metadaten sowie aktuelle Entwicklungen in der Wissenschaftskommunikation.
Format und Zeitplan
Der Workshop soll als interaktives Diskussionsformat mit Gruppenarbeitseinheiten insgesamt 4 Stunden dauern, die folgendermaßen strukturiert sein werden:
0–0:15: Vorstellung der AG ›Digitales Publizieren‹ und der Workshopteilnehmenden
0:15–0:30: Vorstellung des AG Working Papers
0:30–0:45: Eingrenzung des Themas; Kurzvorstellung der Tische
0:45–1:30: Bearbeitung von Einzelthemen/Teilthemen in Worldcafe-Tables
1:30–2:00: Pause
2:00–3:00: Bearbeitung von Einzelthemen/Teilthemen in Worldcafe-Tables
3:00–3:45: Übertragung der Gruppenergebnisse in die Gesamtdiskussion; Rückbinden/Überprüfung der Working Paper-Überlegungen
3:45–4:00: Ausblick
Zielpublikum
Der Workshop richtet sich an Forschende aus allen Disziplinen der (Digital) Humanities, insbesondere auch Nachwuchswissenschaftler*innen, die sich aufgrund des systembedingt notwendigen Renommee-Erwerbs häufig gezwungen sehen, in teuren und nicht offen zugänglichen Publikationsorganen zu publizieren, und die alternative Publikationsmöglichkeiten wie in Bibliotheksverlagen oder scholar-led Publikationsorganen häufig nicht in Betracht ziehen. Grundvoraussetzung für die Teilnahme ist lediglich das Interesse an zeitgemäßen und zukunftsweisenden Formen des digitalen Publizierens im Sinne der Open Science. Es werden keine besonderen Kenntnisse vorausgesetzt. Möchte man sich vorab näher in die Materie einarbeiten, böte es sich an, das Workingpaper der AG ›Digitales Publizieren‹ (2021) zu konsultieren. Es können bis zu 25 Personen am Workshop teilnehmen.
Lernziele
Nach diesem Workshop sind die Teilnehmenden sensibilisiert für Möglichkeiten des Open-Access-Publizieres und Möglichkeiten, selbst das richtige Publikationsorgan für ihre zukünftigen Veröffentlichungen zu finden. Sie haben einen Überblick über verschiedene Publikationsorgane und deren Umgang mit Open-Access. Zudem werden sie darin unterstützt, selbstbewusst Verlagen gegenüberzutreten und ihre Bedingungen, Open Access zu publizieren, zu vertreten.
Benötigte technische Ausstattung
Benötigt werden ein Beamer, Moderationskoffer, offene Bestuhlung und Tische.
Bibliographie
- AuROA - Autor:innen und Rechtssicherheit für Open Access. Im Erscheinen. Leistungskatalog für wissenschaftliche Open-Access-Publikationen. https://projekt-auroa.de/veroeffentlichungen-veranstaltungen/#veroeffentlichungen (zugegriffen: 1. August 2022).
- AG Digitales Publizieren. 2021. Digitales Publizieren in den Geisteswissenschaften: Begriffe, Standards, Empfehlungen 10.17175/WP_2021_001.
- Bartling, Sönke und Sascha Friesike, Hrsg. 2014. Opening Science: The Evolving Guide on How the Internet Is Changing Research, Collaboration and Scholarly Publishing. Springer Cham 10.1007/978-3-319-00026-8.
- Max Planck Gesellschaft. 2003. Berliner Erklärung. https://openaccess.mpg.de/Berliner-Erklaerung (zugegriffen: 26. Juli 2022).
- COPE - Committee on Publication Ethics. https://publicationethics.org/ (zugegriffen: 1. August 2022).
- Creative Commons. 2022. https://creativecommons.org/ (zugegriffen: 26. Juli 2022).
- DHd. 2022. “AG Digitales Publizieren”. digital humanities im deutschsprachigen raum. https://dig-hum.de/ag-digitales-publizieren (zugegriffen: 26. Juli 2022).
- Lauer, Gerhard. 2022. “Datentracking in den Wissenschaften: Wissenschaftsorganisationen und die bizarre Asymmetrie im wissenschaftlichen Publikationssystem.” o-bib. Das offene Bibliotheksjournal / Herausgeber VDB 9, Nr. 1 (31. März): 1–13 10.5282/o-bib/5796.
- Müller, Uwe, Frank Scholze, Paul Vierkant, Ursula Arning, Daniel Beucke, Ute Blumtritt, Karolin Bove, u. a. 2019. DINI-Zertifikat für Open-Access-Publikationsdienste 2019 (Oktober) 10.18452/20545.
- Open Access Network. 2022a. https://open-access.network/startseite (zugegriffen: 26. Juli 2022).
- Open Access Network. 2022b. “Grün und Gold.” https://open-access.network/informieren/open-access-grundlagen/open-access-gruen-und-gold (zugegriffen: 26. Juli 2022).
- PRISM - Peer Review Information Service for Monographs. https://www.doabooks.org/en/librarians/prism (zugegriffen: 1. August 2022).