Fabrikation von Erkenntnis: Experimente in den Digital Humanities
Die vDHd2021-Tagung, die als Ersatz für die coronabedingte Verschiebung der DHd-Jahrestagung 2021 stattfand, stand unter dem Motto “Experimente” und wurde von einem Publikationsexperiment begleitet, das von der Community initiiert wurde. Das Herausgeber*innengremium bildete sich in der Folge im Rahmen der vDHd-Planungen. Unter dem Titel „Fabrikation von Erkenntnis: Experimente in den Digital Humanities” wurde schließlich eine digitale Publikation herausgegeben, die das experimentelle Potenzial der Digital Humanities in unterschiedlichen Beitragstypen ergründet (Pawlicka-Deger 2020, Lane 2016, Earhart 2015, Knorr-Cetina 1991).
Zwar ist der Band losgelöst von den Beiträgen der vDHd2021, dennoch greift er den Anspruch der DHd-Jahrestagungen auf, zur Sichtbarkeit aktueller DH-Aktivitäten im deutschsprachigen Raum beizutragen, wobei er selbst einen experimentellen Ansatz als “living publication” verfolgt. Das Poster thematisiert die experimentellen Aspekte der Publikation und die damit verbundenen Erfahrungen.
Am Beginn stand ein Call for Publications (Burghardt et al. 2021), der die Erkundung des experimentellen Potenzials der DH in den Vordergrund stellte. Willkommen waren thematische und formale Experimente, die in einem rollenden Verfahren als Ko-Publikation und Sonderband der Zeitschrift für digitale Geisteswissenschaften und Melusina Press erscheinen sollten.
Drei Typen von Einreichungen waren möglich:
- Fachartikel zu experimentellen Methoden und Verfahren der DH
- Daten-Experimente / Publikation von Datensätzen
- Code-Experimente / Publikation von ausführbaren Notebooks
Die Kategorie der Fachartikel stellt die etablierteste Publikationsart innerhalb des Sonderbands dar. Das Experiment bei dieser Beitragsart bestand nicht im Bereich der eigentlichen Publikation, sondern im Reviewverfahren. Die Autor*innen konnten zwischen einem traditionellen Double-Blind und einem Open-Review-Verfahren wählen. So bot sich der Band an, Erfahrungen mit einem offenen Begutachtungsprozess zu sammeln und wertvolle Impulse für die Diskussionen innerhalb des DHd-Verbands bezüglich des zukünftigen Reviewverfahrens bei den Jahrestagungen zu liefern. Die überwiegende Mehrzahl der Autor*innen entschlossen sich für das offene Verfahren, das ein öffentliches Kommentieren eines Preprints vorsah. Auch der Community stand die Möglichkeit offen, die Artikel zu kommentieren und sich damit in den Veröffentlichungsprozess einzubringen. Zusätzlich verfassten die Gutachter*innen eine abschließende Bewertung mit Hinweisen zu Stärken und Verbesserungsmöglichkeiten. Wenn sich alle Seiten einverstanden erklärten, wurden auch diese Gutachtenformulare mit dem Artikel publiziert. Nach der Überarbeitung der eingereichten Fassung wurde der fertige Artikel publiziert, wobei Preprint und Anmerkungen auch weiterhin publiziert bleiben.
Die Kategorie der Datenexperimente stellt innerhalb des Sonderbandes eine neuere Publikationsart dar. Sie sind an das Beispiel sogenannter Data Papers (Schöpfel et al. 2019, 3) angelehnt und bestehen aus einem Artikel, der einen oder mehrere Datensätze beschreibt, vorrangig in Text und Bild, und der Publikation des zugehörigen Datensatzes. Im CfP wurde explizit nach eher unkonventionellen Datensätzen (corpora obscura) gefragt, wichtig war aber insbesondere, dass die Datensätze nach den FAIR-Prinzipien frei verfügbar sind beziehungsweise gemacht wurden.
Der Schwerpunkt der Data Papers liegt auf der Beschreibung der Datensätze bzw. der Potenziale für die Forschung, nicht so sehr auf den damit erzielten Forschungsergebnissen (Schöpfel et al. 2019, 3). Data Papers zählen zu den neueren, in den Geisteswissenschaften noch nicht weit verbreiteten Publikationsarten (Schöpfel et al. 2019, 9) und gehören ursprünglich nicht zur Bandbreite der ZfdG. Daher mussten die Herausgeber*innen eigene Richtlinien und Empfehlungen für die Autor*innen zur Umsetzung des Formats entwickeln und an diese auch die Reviewempfehlungen anpassen. Für die Entwicklung dieses Kriterienkatalogs orientierte sich das Herausgeber*innenteam an bereits bestehenden sogenannten Data Journals (wie z. B. das JOHD oder RDJ). Eine Herausforderung war das Finden geeigneter Reviewer*innen (bei den Data Papers single-blind Verfahren), da sowohl fachliches als auch technisches Verständnis für den jeweiligen Datensatz notwendig war.
Ein weiteres Experiment dieses Sammelbands ist die Veröffentlichung von Code Experimenten in Form von Executable Publications (ein ähnliches Format bietet etwa das JDH). Es handelt sich dabei um interaktive Jupyter Notebooks (Python und R-basiert), die zusammen mit den verwendeten Daten und einer technischen Dokumentation als Git-Repositorium eingereicht wurden. Alle Notebooks haben neben den Code-Abschnitten eine klar strukturierte und verständliche textuelle Komponente, durch die die häufig anzutreffende Rollenverteilung von Text als Mittel der Interpretation und Daten/Code als Ort empirischer Stringenz aufgebrochen wird. Dank der Code Experimente werden Methodik und Material zu evaluierbaren Gegenständen und die Publikation damit zum Medium sich ergänzender Mittel des Argumentierens. Bei dieser Publikationsform war, neben dem Review Prozess, vor allem der Aufbau einer entsprechenden Infrastruktur bei Melusina Press eine Herausforderung.
Das Poster wird nicht nur kurz auf alle Einreichungstypen eingehen und die Begutachtungsverfahren darstellen, sondern den Band auch statistisch evaluieren und besonders auf die gewonnenen Erfahrungen innerhalb des Herausgeber*innenteams eingehen (vgl. dazu auch Walkowsi 2022). Dabei stehen, wie bereits angedeutet, besonders Lessons Learned in Bezug auf die Koordinierung von zwei Publikationsorten, technische Herausforderungen, den allgemeinen Kommunikationsaufwand und die Annahme des offenen Begutachtungsverfahren im Mittelpunkt.
Bibliographie
- Burghardt, Manuel, Lisa Dieckmann, Timo Steyer, Peer Trilcke, Niels-Oliver Walkowski, Joëlle Weis und Ulrike Wuttke. “Call for papers Fabrikation von Erkenntnis: Experimente in den Digital Humanities.” vDHd 2021 Experimente. https://vdhd2021.hypotheses.org/uber/call-for-papers (zugegriffen: 01. August 2022).
- Burghardt, Manuel, Lisa Dieckmann, Timo Steyer, Peer Trilcke, Niels-Oliver Walkowski, Joëlle Weis und Ulrike Wuttke. 2021/2022. Fabrikation von Erkenntnis. Experimente in den Digital Humanities. Wolfenbüttel: ZfdG; Esch-sur-Alzette: Melusina Press 10.17175/sb005
- Earhart, Amy E. 2015. The digital humanities as a laboratory . MIT Press.
- Journal of Digital History (JDH).
- Journal of Open Humanities Data (JOHD).
- Knorr-Cetina, Karin. 1991. Die Fabrikation von Erkenntnis: Zur Anthropologie der Naturwissenschaft . Suhrkamp.
- Lane, Richard J. 2016. The Big Humanities: Digital Humanities/Digital Laboratories . Routledge.
- Pawlicka-Deger, Urszula. 2020. “The Laboratory Turn: Exploring Discourses, Landscapes, and Models of Humanities Labs.” Digital Humanities Quarterly , 14 (3). http://www.digitalhumanities.org/dhq/vol/14/3/000466/000466.html (zugegriffen: 01. August 2022).
- Research Data Journal for the Humanities and Social Sciences (RDJ)-
- Schöpfel, Joachim, Dominic J. Farace, Hélène Prost und Antonella Zane. 2019. “Data Papers as a New Form of Knowledge Organization in the Field of Research Data.” HAL halshs-02284548
- Walkowski, Niels-Oliver. 2022. “Fabrikation von Erkenntnis: Experimente in den Digital Humanities.” Media Centre Uni.lu. Präsentation der Publikation, 9:08. https://videos.uni.lu/media/Fabrikation+von+ErkenntnisA+Experimente+in+den+Digital+Humanities/1_bmhj3jpx (zugegriffen: 01. August 2022).