ARS - Architecture Research Stage
Die Ansprüche an Wissenschaftskommunikation verändern sich derzeit deutlich: Das Bedürfnis Forschender, ihre Ergebnisse offen zu teilen, sich aktiv mit anderen Forschenden zu vernetzen und selbstorganisiert zusammen zu arbeiten, ist Teil einer umfassenden institutionellen Transformation, die ihre Infrastrukturen noch entwickeln oder weiterentwickeln muss. Digitale Technologien eröffnen hier neue Optionen, die einer im Wandel begriffenen Wissenskultur entgegenkommen und neuen Formen der Konnektivität und des Arbeitens entsprechen können.
Mit der Architecture Research Stage - ARS (www.architectureresearchstage.de) wird eine solche Vernetzungsplattform für die Architekturforschung entwickelt und erprobt. Die Architekturforschung steht dabei vor einer besonderen Herausforderung, da sie in vielen unterschiedlichen und unverbundenen Fachdisziplinen entwickelt wird. Zudem findet diese Forschung nicht allein im akademischen Bereich statt, sondern auch im außer-akademischen Bereich, in den Architektur- und Ingenieurbüros und in der Industrie. Das Potential der Architekturforschung liegt jedoch – wie bei der Architekturpraxis auch – gerade in der Synthese, die das Wissen aus diesen unterschiedlichen Disziplinen zusammenführt und vereint. ARS richtet sich deshalb explizit an alle Beteiligten der Architekturforschung: Ob sie im akademischen oder außer-akademischen Bereich forschen, alleine oder im Verbund, ob sie selbst Forschungsergebnisse produzieren oder diese herausgeben, ausstellen, diskutieren oder managen, als Profis, Studierende oder interessierte Laien.
Eine passende Infrastruktur für die spezifischen Bedürfnisse der Forschenden in der Architektur fehlt bisher. Die bestehenden institutionellen Repositorien der Hochschulen oder die überinstitutionellen Repositorien aggregieren und archivieren vornehmlich Forschungsergebnisse und -daten, bieten aber keine überzeugenden Funktionen für das Vernetzen an. Es sind die sogenannten akademischen Netzwerkplattformen wie Academia und ResearchGate, die auf diesen Bedarf reagieren und dort ihre Marktnische gefunden haben. Sie entsprechen jedoch weder den Open-Access-Standards, noch folgen sie den FAIR-Data Prinzipien oder garantieren eine langfristige Speicherung der Daten. Will die Forschungsgemeinschaft sich nicht von wenigen privatwirtschaftlich orientierten Plattformen oder Softwaresystemen abhängig machen, muss sie aus sich selbst heraus disziplinspezifische Vernetzungs-Plattformen entwickeln.
ARS bietet für eine kollaborative Architekturforschung ein übergreifendes Modell und eine aktiv vernetzende Infrastruktur. Erstmalig werden nicht nur Ergebnisse und Daten, sondern auch Kontexte der Architekturforschung auf einer webbasierten Plattform gemeinsam generiert, vernetzt und sichtbar gemacht. Auf Grundlage eines Akteursmodells für interdisziplinäre Zusammenarbeit können die jeweiligen Entstehungskontexte durch die Forschenden eigenständig beschrieben, bewertet und mit Alternativen, Wünschen und Bedarfen ergänzt werden. Mit Bezug auf die Akteurs-Netzwerktheorie von Bruno Latour (Latour und Woolgar 1979) und die Netzwerktheorie von Harrison White (White 2008) werden dabei menschliche und nicht-menschliche Einflussfaktoren auf den Forschungsprozess unter dem Akteurs-Begriff versammelt. Aus vorhergehenden Forschungen zu interdisziplinären Forschungskontexten (Dürfeld et al. 2021) konnten dabei elf unterschiedliche Akteursklassen als relevant identifiziert werden: Personen, Organisationen, Themen, Methoden, Quellen, Ereignisse, Aufgaben, Werkzeuge, Orte, Zeiten und Gelder. Diese Akteur:innen sind miteinander durch spezifische, semantisch ausformulierte Bindungen verbunden, wodurch sich komplexe Forschungszusammenhänge einheitlich und vergleichbar modellieren, analysieren und planen lassen.
Zentrales Element von ARS sind die plusPublikationen, die Forschungsergebnisse mit deren konkretem Entstehungskontext verbinden. Die von den Forschenden erstellten plusPublikationen berichten so immer auch etwas über ihre eigene Entstehung: Welche Werkzeuge und Methoden wurden verwendet, mit welchen Personen wurde diskutiert, welche Organisationen unterstützten die Forschung, welche Quellen wurden verwendet, welche Ereignisse haben den Forschungsprozess beeinflusst, an welchen Orten wurde gearbeitet, welche Aufgaben mussten erledigt werden, wieviel Zeit und Geld stand zur Verfügung? Mittels Graphentechnologie auf der Basis der Open-Source-Graphdatenbank Neo4j werden die Forschungsergebnisse und Forschungskontexte automatisch vernetzt. Über ein bildbasiertes, variables Interface wird das Akteursnetzwerk der Architekturforschung dargestellt und durchsuchbar gemacht.
Der Mehrwert von ARS liegt in fünf Bereichen: (1) Vergrößerung der Sichtbarkeit eigener Forschungen und Vernetzung mit Architekturforschenden durch Präsentation auf einer innovativen Forschungsplattform (2) Passgenaues Auffinden von Kooperationspartner:innen für neue Projekte, (3) Veröffentlichen und Finden von detaillierten, bewerteten Forschungsdaten, (4) Reflektion des eigenen Forschungsverhaltens durch das Erkennen von Wiederholungen, Lücken und Mustern und (5) Partizipation an einer aktiven Architekturforschungs-Community.
Hauptaufgaben des von der DFG für drei Jahre (2021-2024) geförderten experimentellen Pilotprojektes sind Aufbau, Erprobung und Evaluierung von ARS. Das Projekt wird als ein Verbundprojekt der TU Berlin und der UdK Berlin, unter der Beteiligung von Kooperationspartner:innen aus dem akademischen und außer-akademischen Bereich in Berlin-Brandenburg durchgeführt.
Bibliographie
- Dürfeld, Michael, Anika Schultz, Christian Stein (et al.). 2021. "Kollaborative Architekturforschung als Programm einer Architekturwissenschaft". In Architekturwissenschaft. Vom Suffix zur Agenda , hg. von Juan Almarza Anwandter, Jan Bovelet, Michael Dürfeld (et al.), 210-233. Berlin: Universitätsverlag der TU Berlin.
- Latour, Bruno und Steve Woolgar. 1979. Laboratory Life: The Construction of Scientific Facts. Beverly Hills: Sage Publications.
- White, Harrison C. 2008. Identity and Control: How Social Formations Emerge. Princeton: University Press.