Offene Editionen – Die Task Area Editionen im NFDI-Konsortium Text+
Das geisteswissenschaftliche Konsortium Text+ ( https://www.text-plus.org/) hat im Oktober 2021 seine Arbeit innerhalb der Nationalen Forschungsdateninfrastrukur (NFDI) aufgenommen. Text+ widmet sich text- und sprachbasierten Daten aus den verschiedensten Disziplinen (u. a. Literaturwissenschaft, Sprachwissenschaft, Geschichtswissenschaft, Philosophie) in drei Datendomänen bzw. Task Areas: Lexikalische Ressourcen, Sammlungen und Editionen. Als Vertreter:innen der Task Area Editionen1 möchten wir mit einem Poster einen Einblick in unsere Arbeit geben, die von einem vielschichtigen Verständnis der ‚Offenheit‘ digitaler Editionen geleitet ist.
Im Kontext digitaler Editionen wird ‚Offenheit‘ meist im Zusammenhang mit Rechtefragen, d. h. Lizenzen und speziell Open Access, diskutiert (Hannesschläger 2019; Sichani 2017; Dillen und Neyt 2016). Zentral für die Öffnung einer Edition nach außen ist darüber hinaus ihre technische Vernetzbarkeit; Editionen aggregieren einerseits Daten über Schnittstellen, und machen über diese auch ihre eigenen Daten abrufbar (Witt 2018, 255). Prinzipiell können digitale Editionen auch durch die Möglichkeit ihrer weiteren Bearbeitung, Anreicherung oder Erweiterung "offen" bleiben. Darüber hinaus gibt es in jüngster Zeit vermehrt Ansätze, ‚Offenheit‘ im Sinne von ‚Zugänglichkeit‘ aus ‚sozialer' Perspektive zu betrachten (Martinez et al. 2019; Rojas-Castro 2020). Eine Übersicht verschiedener Facetten von ‚Offenheit‘ schaffen Jeffrey Pomerantz und Robin Peek (2016), indem sie den Begriff ‚open‘ u. a. in Bezug zu den Themen Zugänglichkeit, Nutzung, Partizipation und Transparenz stellen, die – gemeinsam mit den bereits genannten Facetten von Offenheit – im Rahmen der Task Area Editionen die Zieldimensionen mit vorgeben. Zentrale Maßnahmen der Task Area Editionen zur Förderung der ‚Offenheit‘ digitaler Editionen umfassen u. a.:
1. Empfehlungen für ‚FAIRe‘ Editionen
Ein Ziel von Text+ ist es, die Anwendung der FAIR-Prinzipien (Findable, Accessible, Interoperable, Reusable) (Wilkinson et al. 2016) zu fördern, weshalb die Task Area Leitlinien zur Erstellung und Publikation ‚FAIRer‘ Editionen erarbeitet. Da die Anwendung der FAIR-Prinzipien bisher im Editionskontext noch nicht tiefergehend diskutiert wurde, zugleich aber wichtige Bereiche wie Auffindbarkeit, Vernetzung, Lizenzierung und Nachnutzung betrifft, wurde eine Kooperation mit dem Rezensionsjournal RIDE des Instituts für Dokumentologie und Editorik (IDE 2014–2022) initiiert. Über einen Call for Reviews ( https://ride.i-d-e.de/reviewers/call-for-reviews/ride-textplus-de/), der sich neben dem Kriterienkatalog des IDE (Sahle 2014) auch an im Rahmen von Text+ entwickelten FAIR-Kriterien (Gengnagel et al. 2022) orientiert, werden Rezensionen gesammelt, anhand derer evaluiert wird, inwieweit die FAIR-Prinzipien in ihrer aktuellen Formulierung auf digitale Editionen anwendbar sind und wie sie bisher umgesetzt werden. Die ersten Rezensionen aus der Kooperation zwischen Text+ und IDE erscheinen Anfang 2023.
2. Verzeichnis digitaler und gedruckter Editionen
Bei der sog. Registry handelt es sich um ein kuratiertes Verzeichnis von Editionen. Es soll einen strukturierten Zugriff auf die große Zahl an vorhandenen Ressourcen bieten und neben allgemeinen Zugängen nach bestimmten Kriterien (z.B. Sprachen des Edendums, Disziplinzugehörigkeit, Projektbeteiligte) auch erstmals die FAIRness digitaler Editionen berücksichtigen. Durch den holistischen Nachweis von Editionen unabhängig von ihrer Medienform, Verknüpfungen zu einer – ebenfalls im Kontext von Text+ entstehenden – Software-Registry sowie der Präsentation von Best-Practice-Beispielen für bestimmte Disziplinen, Genres oder Editionstypen (sog. model editions), geht die Editionen-Registry über bestehende Nachweissysteme (z.B. Franzini 2012–2022, Sahle 2020–2022 und früher) hinaus. Gleichzeitig beschränkt sie sich zunächst vornehmlich auf Editionen, die an Institutionen im deutschen Raum angesiedelt bzw. an denen deutsche Forschungsinstitutionen beteiligt sind, um die Auffindbarkeit und Sichtbarkeit dieser Projekte signifikant zu erhöhen und insbesondere den Zugriff auf deren Forschungsdaten zu befördern.
3. Maßnahmen zur Vernetzung von Editionen
Die Task Area Editionen erkundet Vernetzungspotenziale digitaler Editionen auf Basis von GND-Normdatenannotationen und evaluiert angewandte Praktiken, etwa die Vernetzung durch veröffentlichte BEACON-Dateien, entsprechende Schnittstellen und aggregierende (Fach-)Dienste (Lordick und Mache 2018). Diese Praxis stärkt einerseits die FAIRness von (digitalen) Editionen: Sie steigert die Auffindbarkeit durch vernetzte Recherchesysteme, ermöglicht verteilte Datenangebote durch semantische Interoperabilität und verbessert die Datenqualität durch ‚Eindeutigkeit‘. Sie wirft andererseits die Frage nach projektspezifischen Normdatenbedarfen und damit den Mitwirkungsmöglichkeiten an der GND auf: Die Task Area Editionen arbeitet deshalb mit der entstehenden „Text+ GND-Agentur“ zusammen (Kett et al. 2022).
Die drei genannten Maßnahmen stellen nur einen Ausschnitt der laufenden Arbeiten dar. Für einen möglichst inklusiven Diskurs rund um das Thema „editionsspezifische Forschungsdaten“ sind Austauschformate zur Einbindung der Community geplant – das Poster selbst (mit weiterführenden QR-Codes) gehört dazu. Grundsätzlich muss bei der Umsetzung der skizzierten Maßnahmen berücksichtigt werden, dass jede digitale Edition in einem hohen Maße individuell ist. Dies betrifft zum einen die Materialien der Edition, die Methoden der Erschließung sowie die Publikationswege und zum anderen die Rahmenbedingungen eines Editionsunternehmens (u. a. personelle, zeitliche und finanzielle Ressourcen, vorhandenes Know-How). Diese Individualität wird bei allen geplanten Maßnahmen in Text+ stets berücksichtigt, indem ‚Offenheit‘ als „Skala“ verstanden wird, „auf der Projekte, die offene Methoden anwenden wollen, den für sie jeweils angemessenen Platz finden müssen“ (Hannesschläger 2020, 143).
Fußnoten
Bibliographie
- Dillen, Wout und Vincent Neyt. 2016. “Scholarly Digital Editing within the Boundaries of Copyright Restrictions.” Digital Scholarship in the Humanities 31, Nr. 1: 785-796. https://doi.org/10.1093/llc/fqw011 (zugegriffen: 19. Juli 2022).
- Franzini, Greta. 2012—2022. Catalogue of Digital Editions. https://dig-ed-cat.acdh.oeaw.ac.at/ (zugegriffen: 19. Juli 2022).
- Gengnagel, Tessa, Frederike Neuber und Daniela Schulz. 2022. FAIR Principles in Digital Scholarly Editions. https://ride.i-d-e.de/fair-criteria-editions/ (zugegriffen: 19. Juli 2022).
- Hannesschläger, Vanessa. 2020. „Forschung öffnen: Möglichkeiten, Potentiale und Grenzen von Open Science am Beispiel der offenen Datenbank ‚Handke: in Zungen ‘.“ In Digital Humanities Austria 2018. Empowering Researchers, hg. v. Marlene Ernst, Peter Hinkelmanns, Lina Maria Zangerl, Katharina Zeppezauer-Wachauer und Verena M. Höller, 140—144. Wien: Austrian Academy of Sciences Press.
- Hannesschläger, Vanessa. 2019–2020. “Common Creativity International: CC-licensing and Other Options for TEI-based Digital Editions in an International Context.” In Journal of the Text Encoding Initiative 11. https://doi.org/10.4000/jtei.2610 (zugegriffen: 19. Juli 2022).
- Institut für Dokumentologie und Editorik. 2014–2022. RIDE – A Review Journal for Digital Editions and Resources . https://ride.i-d-e.de/ (zugegriffen: 19. Juli 2022).
- Kett, Jürgen, Christoph Kudella, Andrea Rapp, Regine Stein und Thorsten Trippel . 2022. „Text+ und die GND – Community-Hub und Wissensgraph.“ Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie 69, Nr. 1-2: 37-47. https://doi.org/10.3196/1864295020691262 (zugegriffen: 19. Juli 2022)
- Lordick, Harald und Beata Mache. 2018. „Annotationen anhand der Gemeinsamen Normdatei aus einer anwendungsorientierten Perspektive historischer Forschung.“ Digital Humanities im deutschsprachigen Raum (DHd2018), Köln. https://doi.org/10.5281/zenodo.1188230 (zugegriffen: 27. Juli 2022).
- Martinez, Merisa, Wout Dillen, Elli Bleeker, Anna-Maria Sichani und Aodhán Kelly. 2019. “Refining our Conceptions of ‘Access’ in Digital Scholarly Editing: Reflections on a Qualitative Survey on Inclusive Design and Dissemination.” In Variants 14: 41–74. https://doi.org/10.4000/variants.1070 (zugegriffen: 19. Juli 2022).
- Pomerantz, Jeffrey und Robin Peek. 2016. “Fifty shades of open.” In First Monday 4. http://firstmonday.org/ojs/index.php/fm/article/view/6360/5460 (zugegriffen: 19. Juli 2022).
- Rojas Castro, Antonio. 2020. “FAIR enough? Building DH Resources in an Unequal World.” Digital Humanities Kolloquium der BBAW, 7. August 2020. https://vimeo.com/445147368 (zugegriffen: 19. Juli 2022).
- Sahle, Patrick. 2014. Kriterienkatalog für die Besprechung digitaler Editionen. https://www.i-d-e.de/publikationen/weitereschriften/kriterien-version-1-1/ (zugegriffen: 19. Juli 2022).
- Sahle, Patrick. 2020ff. A Catalogue of Digital Scholarly Editions, Version 4 . https://www.digitale-edition.de
- Sichani, Anna-Maria. 2017. “Beyond Open Access. (Re)use, Impact and the Ethos of Openness in Digital Editing.” In Advances in Digital Scholarly Editing, hg. von Boot, Peter, Anna Cappellotto, Wout Dillen, Franz Fischer, Aodhán Kelly, Andreas Mertgens, Anna-Maria Sichani, Elena Spadini und Dirk Van Hulle, 439—448. Leiden: Sidestone Press.
- Wilkinson, Mark D., Michel Dumontier, IJsbrand Jan Aalbersberg, Gabrielle Appleton, Myles Axton, Arie Baak, Niklas Blomberg, u. a. 2016. “The FAIR Guiding Principles for scientific data management and stewardship.” Scientific Data 3: 160018.10.1038/sdata.2016.18.
- Witt, Jeffrey C. 2018. “ Digital Scholarly Editions and API Consuming Applications.” In: Digital Scholarly Editions as Interfaces 12, hrsg. von Roman Bleier, Martina Bürgermeister, Helmut W. Klug, Frederike Neuber und Gerlinde Schneider, 219–247. Norderstedt: Books on Demand.