3D- und 4D-Modellierung in den Digital Humanities. Eine praktische und theoretische Einführung in Blender

Hunziker, Manuel; von Pippich, Waltraud; Rensinghoff, Berenike
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Der zweitägige Workshop bietet eine Einführung in die 3D-Bearbeitungssoftware Blender (Blender 3.3 LTS). Blender ist eine freie, offen zugängliche und kostenlose 3D-Grafiksoftware, die ursprünglich vor allem in der Videospielbranche reüssieren konnte. Doch mit dem Erstarken der digitalen dreidimensionalen (3D) Modellierung und Rekonstruktion im Bereich der Denkmalwissenschaften, Kulturwissenschaften, Geschichte und ähnlicher Disziplinen, findet sich zunehmend Befürwortung auch aus dem wissenschaftlichen Umfeld. Mit der 3D-Rekonstruktion werden Forschungsgegenstände und -ergebnisse räumlich greifbar und nachvollziehbar. Das Modell wird förmlich zum digitalen Wissensspeicher.

Zielsetzung des Workshops

Der Workshop soll eine Plattform für ein interessiertes Publikum bilden, das einen umfassenden Einblick in die Funktionsweise von Blender und die daraus resultierenden Workflows erhalten möchte. Vorkenntnisse in der 3D-Modellierung oder mit der Modellierungssoftware sind nicht erforderlich. Fachwissenschaftlich sind für die Einführung keine Grenzen gesetzt, da jede Disziplin und unterschiedliche Forschungsfelder der Digital Humanities eigene Aspekte mit einbringen können und die 3D-Softwarelösung Blender äußerst flexibel einsetzbar ist. Durch Erweiterungen und Zusatzkomponenten kann diese an das eigene, spezifische Arbeitsumfeld angepasst werden.

Die Teilnehmer*innen des Workshops erwartet ein umfassender Einstieg in die Thematik der 3D-Rekonstruktion, der 4D-Komponente und den aus den digitalen Technologien resultierenden Möglichkeiten für Forschung, Lehre und Kunst- und Kulturvermittlung. Durch die Erweiterung um die vierte Dimension lassen sich Veränderungen und Prozesse, z.B. zeitliche Abfolgen, darstellen. Neben einer an Praxisbeispielen orientierten Einführung in die 3D-Software Blender wird auch eine kritische Diskussion über die Grenzen und Möglichkeiten von 3D-/4D-Rekonstruktionen und -Modellierungen mit den Teilnehmer*innen geführt.

Am Ende der Veranstaltung soll jede*r Teilnehmer*in reflektiert mit der Thematik der digitalen 3D- und 4D-Modellierung umgehen können, die Grundfunktionen der Software Blender beherrschen und eine Vorstellung von dem Spektrum möglicher Forschungsfragen haben. Zu den Ergebnissen des Workshops gehören unterschiedliche Modelle, die den Teilnehmer*innen auch im Nachhinein zur weiteren Bearbeitung zur Verfügung stehen.

3D- und 4D-Methoden für die Digital Humanities

Methoden, die eine räumliche Visualisierung, eine Rekonstruktion von Orten oder die Darstellung historischer Verläufe und sukzessive Reihenfolgen in der Zeit ermöglichen, können für sämtliche historische Fragestellungen relevant werden. Über die Fragen der Rekonstruktion und Vermittlung von vergangenen Zuständen hinaus ist auch die grundsätzliche Frage nach dem epistemologischen Stellenwert von 3D- und 4D-Methoden betroffen: Welche Aspekte und Zusammenhänge fallen rein durch Visualisierung in den Fokus der Wissenschaft? Über eine genehme Hilfestellung für die Anschaulichkeit oder die Illustration bereits formulierter Thesen hinaus werden 3D- und 4D-Prozesse für bestimmte Konstellationen zum Mittelpunkt der Forschung selbst. Etwa, wenn historische Kausal-, Raum- und Größenverhältnisse erst durch die Anschauung ihre Prägnanz erhalten. Inwiefern wären die Drei- und Vierdimensionalität jedoch „Science Fiction“, so dass die Maximen der wissenschaftlichen Objektivität und der Quellenkritik berührt würden? Könnten die Ergebnisse von Modellierungssoftware unser Erkenntnisinteresse irritieren oder fehlleiten? Im Workshop werden an den jeweiligen Stellen im Rahmen der Lehr-Module diese, die Theorie der Wissenschaftlichkeit der digitalen Modellierung betreffenden, Themen diskutiert.

Virtuelle Modelle sind zunehmend Teil des Arbeitsprozesses für Forschungsfragen in den Digital Humanities. Es existieren unterschiedliche Methoden, die wiederum abhängig vom Gegenstand und Ziel des Modells sind. Neben Laserscans und photogrammetrischen Aufnahmen sind auch digitale Modellierungen eine Option. Im Gegensatz zum Scan und zur Photogrammetrie, bei denen nur existierende Objekte innerhalb eines Zustandes aufgenommen werden können, kann mit Hilfe der Modellierung ein Objekt gleichsam von Null auf erstellt oder ein bestehendes Modell ergänzt werden. Diese Methode kann zum Beispiel dann zum Einsatz gelangen, wenn ein nicht mehr bestehender Gebäudezustand dargestellt werden soll. Diese digitale 3D-Modellierung hilft bei der Visualisierung von Vergangenem. Wenn neben den optischen Gesichtspunkten der Modellierung auch zeitliche Komponenten wissenschaftlich betrachtet werden sollen, vermag sich die Dreidimensionalität um die vierte Dimension der Zeit zu erweitern. Im Vorfeld einer jeden Modellierung sollte ein kritischer wissenschaftlicher Diskurs stehen, um dem Modell so viele Informationen wie möglich geben zu können, jedoch nicht die Grenze zur freien Interpretation zu überschreiten.

Grundbegriffe der Theorie und Systematik der wissenschaftlichen Datenmodellierung, wie das System des „Level of Detail“ (LOD), werden ebenfalls in der Veranstaltung erklärt. Die fünf Detaillierungsgrade stufen die Genauigkeit des digitalen 3D-Modells ein: von LOD 0 mit dem sog. Geländemodell bis hin zu LOD 4, einer detaillierten Nachbildung von Innen- und Außenräumen eines Gebäudes (Münster 2019, 53). Durch diese Abstufungen wird die Datenökonomie, als Strategie im Datenlebenszyklus, gewährleistet. So kann beispielsweise eine Gebäuderekonstruktion unmittelbar in einen urbanen Kontext eingebunden werden, ohne eine umfassende Modellierung der Nachbarschaftsbebauung vorzunehmen. Weitere Gebäude werden entsprechend einer vereinfachten Kubatur in LOD 1 oder 2 modelliert.

Die durch die Software Blender ermöglichte Technologie kann als Baustein im Repertoire weiterer bestehender Technologien zur digitalen 3D- und 4D-Modellierung und -Rekonstruktion gelten. Die Beherrschung der im Workshop vorgestellten Technologien und die Kenntnis der vermittelten exemplarischen Workflows sollen als Erweiterung des Instrumentariums zur Forschungspraxis in den Digital Humanities zu verstehen sein.

Open Source Software ‚Blender‘

Blender entwickelte sich in den letzten Jahren immer mehr zu einer vielseitig einsetzbaren 3D-Softwarelösung. Heute führt an dieser freien und plattformunabhängigen Software für 3D-Modellierungen kaum ein Weg vorbei. Mit ihrem offenen Quellcode und der großen weltweiten Community, durch die Weiterentwicklung und Updates gesichert sind, erweist sie sich daher für den Bereich der Digital Humanities als empfehlenswert. Mit einer beständig wachsenden Community mit zahlreichen Online-Tutorials, Materialien oder gar ganzen Modellen, die vermehrt kostenlos genutzt werden können, wird die Hürde am Anfang auch für den ersten Einstieg niedrig gehalten. Auch fortgeschrittene Nutzer*innen profitieren von den zahlreichen Funktionen und Erweiterungen. Zudem wird Blender als Werkzeug für die Bearbeitung und Erstellung von 3D-Modellen von weiteren Programmen, wie Game Engines oder CAD-Software, unterstützt und erlaubt so einen vereinfachten Datenaustausch zwischen diesen Programmen. Für die wissenschaftliche Modellierung und Rekonstruktion liegen Funktionen wie der Import von Scan-Modellen oder 2D-Grundrissen die Verwendung nahe.

Ablauf des Workshops

Der Workshop findet an zwei Tagen mit jeweils vier Stunden Dauer statt. Im Workshop sollen Kenntnisse über die Grundfunktionen der 3D-Software Blender erlangt werden. Der erste Tag ist der Einführung in die Software gewidmet, am zweiten Tag folgen, aufbauend auf den vorangegangenen Modulen, weitere, fortgeschrittenere Übungen zu den Funktionen der Software.

Am ersten Workshop-Tag werden, nach einer allgemeinen, überblickshaften Einführung in Chancen, Methoden und Forschungsfelder mit Bezug zu 3D-Software, erste Schritte der 3D-Modellierung vorgeführt und in die Grundlagen von Blender eingeleitet. Im anschließenden Modul liegt der Schwerpunkt auf den Grundprinzipien und Techniken einfacher Modellierung: Grundgeometrien, erste Kolorierung, Speichern, Darstellung und Rendering. Im anschließenden Modul werden Use Cases für 3D-Rekonstruktionen präsentiert. Der erste Workshop-Tag schließt mit einer Einführung in einen Workflow für den Forschungsprozess, Modul „Workflow I“: 2D-/3D-Pläne bzw. -Karten, Skalierung und Georeferenzierung.

Am zweiten Workshop-Tag erfolgt, nach einer kurzen Rekapitulation der vorangegangenen Module, der zweite Teil der Einführung in den Workflow innerhalb von Blender, das Modul „Workflow II“: Modellierung von Architektur, Texturierung, das Mapping von Bildern, das Thema Beleuchtungssituation sowie Rendern, Animation und Speichern/Export von Dateien. Schließlich werden die 3D-Fragestellungen um die vierte Dimension erweitert. Abschließend findet eine Schlussdiskussion statt.

Grundsätzlich sollen die Teilnehmer*innen befähigt werden, ein Verständnis für mögliche Forschungsfragen aus dem 3D-/4D-Bereich zu entwickeln. An beiden Tagen finden Diskussionen und kritische Reflektionen der Potentiale und Grenzen der erlernten Technologien für Forschungsfragen der Digital Humanities statt.

Zur Organisation

Max. Teilnehmer*innenzahl: 15

Teilnehmer*innen benötigen einen eigenen Laptop mit Internetzugang und vorab installierter Blender-Software, Version 3.3 LTS (Download: Blender 2022a, Handbuch: Blender 2022b). Die Systemanforderungen können über die Blender-Webseite abgefragt werden (Blender 2022d). Für die Bedienung der Software wird zudem eine Maus mit integriertem Mausrad benötigt. Der Workshop findet an zwei Tagen mit je vier Stunden Dauer statt. Technische Ausstattung vor Ort: Beamer und WLAN.

Die Referent*innen stellen im Vorfeld des Workshops ein digitales Dossier mit Informationsmaterial und Daten auf GitHub ( https://github.com/manuelhunziker/blendergoesdhd) zur Verfügung.

Beitragende und Kontaktdaten

Manuel Hunziker (manuel.hunziker@lmu.de) (ORCID: 0000-0002-4684-938X) ist wissenschaftlicher Mitarbeiter und Dozent für Digitale Archäologie am Department für Kulturwissenschaften und Altertumskunde der Ludwig-Maximilians-Universität München. Als Kulturinformatiker setzt er zudem für das Museum für Abgüsse Klassischer Bildwerke in München digitale Strategien zur barrierefreien Vermittlung und zur musealen Inszenierung um. Er studierte Angewandte Informatik sowie Klassische Archäologie an der Universität Heidelberg und Denkmalpflege an der Universität Bamberg. Sein aktueller Forschungsschwerpunkt liegt in der Anwendung und Entwicklung computergestützter Verfahren zur dreidimensionalen Dokumentation, Visualisierung und virtuellen Rekonstruktion in den archäologischen Wissenschaften.

Waltraud von Pippich (waltraud.v.pippich@kunstgeschichte.org) (ORCID: 0000-0002-4555-2816) Forschungsprojekt zur 3D-Visualisierung von Farbräumen, Fraunhofer-Institut für Graphische Datenverarbeitung IGD Darmstadt, Forschungsprojekt „Rot rechnen“ zur digitalen Farbanalyse, Schwerpunkte in der Theorie der Digital Humanities, digitale Bild- und Farbanalyse, Methoden der Stilometrie von Bild und Text, Methoden der Visualisierung, Rechtsfragen in Forschung und Entwicklung, politische Ikonographie, digitale Kunstgeschichte.

Berenike Rensinghoff (berenike.rensinghoff@hotmail.de) (ORCID: 0000-0002-2717-3409) arbeitet als Trainee an der Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz in der Abteilung Digitale Akademie für das Akademienvorhaben Corpus Vitrearum Medii Aevi (CVMA) Deutschland. Sie ist ebenfalls Mitorganisatorin des 3D Hackathons 2022 Creating New Dimensions. Im Rahmen der Masterarbeit im Studiengang Digitale Denkmaltechnologien an der Universität Bamberg und der Hochschule Coburg erstellte sie digitale 3D-Modelle und -Rekonstruktionen des Badezimmers des Palais Beauharnais in Paris. Aktuell modelliert sie für das CVMA Deutschland Glasmalereien mit Blender.


Bibliographie

  • Blender. 2022a. „Blender 3.3 LTS.“ In blender.org. https://www.blender.org/download/lts/3-3/ (zugegriffen: 14. Dezember 2022).
  • Blender. 2022b. „Blender 3.3 Reference Manual.“ In Blender Documentation: User Manual. https://docs.blender.org/manual/en/3.3/ (zugegriffen: 14. Dezember 2022).
  • Blender. 2022c. „Home of the Blender project.“ In blender.org. https://www.blender.org/ (zugegriffen: 14. Dezember 2022).
  • Blender. 2022d. „Requirements.“ In blender.org: Download. https://www.blender.org/download/requirements/ (zugegriffen: 14. Dezember 2022).
  • Denard, Hugh (Hrsg.). 2009. London Charter. For the Computer-based Visualisation of Cultural Heritage. Draft 2.1. 7 February 2009. London. http://www.londoncharter.org/ (zugegriffen: 14. Dezember 2022).
  • Kohle, Hubertus. 2017. „Digitale Rekonstruktion und Simulation.“ In Digital Humanities. Eine Einführung, hg. von Fotis Jannidis, Hubertus Kohle, Malte Rehbein, 315–327. Stuttgart: J.B. Metzler. https://doi.org/10.1007/978-3-476-05446-3_22.
  • Münster, Sander. 2019. „Die Begrifflichkeiten der 3D-Rekonstruktion.“ In Der Modelle Tugend 2.0: Digitale 3D-Rekonstruktion als virtueller Raum der architekturhistorischen Forschung, hg. von Piotr Kuroczyński, Mieke Pfarr-Harfst und Sander Münster, 38–57. Computing in Art and Architecture 2. Heidelberg: arthistoricum.net. https://doi.org/10.11588/arthistoricum.515.c7444.