Quo tendimus? Visualisierungen in digitalen Editionen am Beispiel der „Hybridedition der deutschsprachigen Werke des Martin Opitz“
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Martin Opitz (1597–1639) war ein schlesischer Dichter aber auch Theoretiker und Diplomat, der heute als eine der Schlüsselfiguren der europäischen Literaturgeschichte gilt. Er unternahm vielfach diplomatische Missionen, die sich durchaus förderlich auf die Etablierung eines europaweiten Netzwerks von Intellektuellen auswirkten, zu dem beispielsweise Georg Michael Lingelsheim, Matthias Bernegger und Hugo Grotius gehörten. Dieses Netzwerk, genauso wie die politische Situation des Dreißigjährigen Krieges beeinflussten sein literarisches Schaffen nachhaltig.
Seine deutschsprachigen Werke werden im Rahmen eines DFG-Projektes seit 2018 vom Lehrstuhl für Literaturgeschichte der Frühen Neuzeit der Universität Tübingen und der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel in Absprache mit dem Anton Hiersemann-Verlag (Stuttgart) und der Bibliothek des Literarischen Vereins (Stuttgart) digital aufbereitet und zum Teil neu ediert. Zwischen 1968 und 1990 entstand durch George Schulz-Behrend eine kritische Ausgabe, in der Opitz’ deutschsprachige und lateinische poetisch-literarische Werke bis 1630 Berücksichtigung fanden. Die letzten Lebensjahre von Opitz sowie posthum erschienene Ausgaben fehlten, da die Edition nach dem insgesamt siebten Teilband (Band IV, 2) abbricht. Diese Bände wurden im Projektkontext retrodigitalisiert. Das Projekt strebt außerdem die Vervollständigung der Schulz-Behrend-Ausgabe um die noch fehlenden Texte an. 2021 ist bereits Band 5 (Opitz, 2021) erschienen, Band 6 (Opitz, 2023) wird noch 2023 in den Druck gehen. Das Projekt ist als Hybridedition konzipiert, sodass nach Ablauf einer Moving Wall von zwei Jahren nach Veröffentlichung der Printausgabe die neuen Bände in einem übergreifenden Portal online publiziert werden.
Gerade durch seine zahlreichen Reisen und das vorhandene Netzwerk, aber auch durch die vielen Personen und Orte, die in Opitz’ Texten Erwähnung finden, bietet sich im Projektkontext großes Potenzial für die visuelle Aufbereitung der annotierten Daten. Die Rolle von Visualisierungen in digitalen Editionen und die unterschiedlichen Zwecke (z.B. illustrativ oder als Erkenntnismittel) zu denen sie eingesetzt werden können, sind in den letzten Jahren vielfach diskutiert worden, doch scheint es übergreifend immer noch an einer etablierten Praxis zu mangeln.1 Die Spatial Humanities z.B. beschäftigen sich mit dem Einbezug raumbezogener Daten in die geisteswissenschaftliche Forschung. Aus diesen Kontexten sind zahlreiche Werkzeuge und Hilfsmittel hervorgegangen, die für die Aufbereitung von Kartenansichten in der Opitz-Edition verwendet werden.
So wurde beispielsweise eine leaflet-Karte basierend auf der digitalisierten Portolankarte Nova Et Exquisita Descriptio Navigationum Ad Praecipuas Mundi Partes von Nicolas de Nicolay entworfen, welche die Handlungsorte der Argenis Bände visualisiert. Eine weitere Kartenansicht widmet sich den Lebens- und Schaffensstationen Opitz’. Dabei wurden unter anderem mit QGIS historische Kartendigitalisate auf aktuelle Georeferenzsysteme transformiert und mit geojson.io durch Geotagging historische Gebiete auf modernen Kartenansichten integriert. Mit dem DARIAH-DE Geo-Browser soll ebenfalls eine Überblickskarte aller Orte im Ortsregister bereitgestellt werden.
Neben den Plätzen, die eindeutig mit realweltlichen Orten korrelieren, finden sich in Opitz Dichtung aber auch vergessene, erfundene und mythische Handlungsorte, die einer spezifischen Auseinandersetzung bedürfen. Visualisierungen dieser textlichen Raumkonfigurationen können mitunter helfen, frühneuzeitliches Erzählen unter neuen Aspekten zu erkunden.
Im Rahmen des Opitz-Projektes wurden und werden verschiedene Formen der Visualisierung erprobt und damit auch auf ihren sinnhaften Einsatz hin überprüft. Was kann anhand der Daten visualisiert werden? Welche Darstellungsformen sind angemessen und hilfreich? Inwieweit können Aspekte des werte-sensitiven Designs2 Berücksichtigung finden? Wie ist mit Unsicherheiten umzugehen?3
Datengrundlage sind zum einen die retrodigitalisierten Editionstexte von Schulz-Behrend, zum anderen die ‚Neubände‘. Aufgrund unterschiedlicher Workflows im Verlauf des Projekts, wurden die Editionstexte mit unterschiedlichen Verfahren (teils MD2TEI, teils Word2TEI) transkribiert und transformiert. Named Entities sind hauptsächlich händisch ausgezeichnet worden und fließen im Orts- und Personenregister, auf das sich die Visualisierungen stützen, zusammen. Diese Daten werden mit Daten aus dem Leben und Schaffen von Opitz flankiert.
Die Hybridedition möchte nicht nur einen neuen und umfassenden Blick auf die Texte bieten, sondern durch die Visualisierung von Daten, Forschenden einen erweiterten Zugang zu Opitz und seinem Werk ermöglichen. Das Poster gewährt einen Einblick in das Projekt, seine Inhalte und Workflows. Der Schwerpunkt liegt auf dem Bereich der Visualisierungen. Dabei sollen sowohl technische Möglichkeiten vorgestellt, als auch die angewendeten Ansätze des werte-sensitiven Designs von Visualisierungen am Beispiel historischer Geodaten zur Diskussion gestellt werden.
Fußnoten
Bibliographie
- Freyberg, Linda. 2023. „Visualisierung.“ In Begriffe der Digital Humanities. Ein diskursives Glossar, hg. von der AG Digital Humanities Theorie des Verbandes Digital Humanities im deutschsprachigen Raum e. V. (= Zeitschrift für digitale Geisteswissenschaften / Working Papers, 2). 10.17175/wp_2023_014 .
- Kräutli, Florian und Stephen Boyd Davis. 2013. „Known Unknowns: Representing Uncertainty in Historical Time“. In Electronic Visualisation and the Arts. Swindon u. a., 61–68. 10.14236/ewic/EVA2013.16 .
- Leyrer, Katharina. 2023. „Bye, Bye, Bias! Digital-Humanities-Projekte wertebasiert gestalten mit Value Sensitive Design.“ In Fabrikation von Erkenntnis – Experimente in den Digital Humanities, hg. von Manuel Burghardt, Lisa Dieckmann, Timo Steyer, Peer Trilcke, Niels Walkowski, Joëlle Weis, Ulrike Wuttke. Wolfenbüttel (= Zeitschrift für digitale Geisteswissenschaften / Sonderbände, 5). Erstveröffentlichung 08.09.2021. Version 2.0 vom 21.03.2023. 10.17175/sb005_003_v2 .
- Martin Opitz. Gesammelte Werke. Band 5. Die Werke von 1630 bis 1633, hg. von Gudrun Bamberger und Jörg Robert (Bibliothek des literarischen Vereins in Stuttgart 355), Stuttgart: Hiersemann.
- Martin Opitz. Gesammelte Werke. Band 6. Der Argenis anderer Theyl, hg. von Gudrun Bamberger und Jörg Robert (Bibliothek des literarischen Vereins in Stuttgart 358), Stuttgart: Hiersemann.
- Schaal, Gary S., Kelly Lancaster. 2016. „Ein Bild sagt mehr als 1000 Worte? Visualisierungen in den Digital Humanities.“ Digital Classics Online 2,3: 5–22. https://doi.org/10.11588/dco.2016.0.30875 .