Wer sind die Herausgeber:innen Digitaler Editionen? Eine Untersuchung zur Repräsentation von Digital Humanities-Wissenschaftler:innen

Gödel, Martina; Klappenbach, Lou; Sander, Ruth; Schnöpf, Markus
https://zenodo.org/records/10698446
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Digitale Editionen sind komplexe kollaborative Unternehmungen mit vielen Beteiligten aus verschiedenen Institutionen und Domänen. Eine Trennung in wissenschaftliche und nichtwissenschaftliche Tätigkeiten ist nicht zielführend. Alle Beiträge sind zu würdigen und zu kreditieren. [...] (Manifest für digitale Editionen, Absatz 21)

1 Die oben zitierte Aussage wird in ihrer Richtigkeit in den Digital Humanities (DH) zwar grundsätzlich kaum angezweifelt, in der alltäglichen Arbeitspraxis aber noch nicht konsequent umgesetzt. Ungeklärte Fragen sind: Muss für die Herausgeber:innenschaft nicht ein „wesentlicher“ Beitrag geleistet werden und sind die DH-Tätigkeiten als solcher zu verbuchen? Um sich zur Frage der Repräsentation von DH-Wissenschaftler:innen2  in digitalen Editionen zu positionieren, muss die Diskussion innerhalb der DH-Community ganz konkret geführt werden. Dafür fehlt bislang eine Übersicht über den aktuellen Stand, wie in den DH die kollaborative Arbeit an digitalen Editionen sichtbar gemacht wird. In den Kriterien für die Besprechung digitaler Editionen, die von der Zeitschrift RIDE herausgegeben werden, ist bisher kein Kriterium diesbezüglich aufgenommen (Sahle 2012).3  Das Poster zielt darauf ab, dieses Desiderat aufzugreifen und eine Diskussionsgrundlage zu schaffen.

Die Diskussion um digitales Publizieren und kollaborative Autor:innenschaft ist in den Digital Humanities nicht neu (Ernst, 2015; Balliot und Ernst, 2016; Strobel 2018). Im Manifest für digitale Editionen plädieren die Autor:innen unter der Überschrift „Soziale Dimension“ für eine gleichwertige Kollaboration zwischen allen am Projekt beteiligten Expert:innen und für die Anerkennung der verschiedenen Kompetenzbereiche als wissenschaftliche Arbeit – auch die der DH-Wissenschaftler:innen. Demnach führe auch die Erstellung von Daten, Datenmodellen und Forschungssoftware zur Mitherausgeber:innenschaft bei der Veröffentlichung digitaler Editionen (Fritze, 2022: Absätze 21-24).4 

Eine ähnliche Diskussion findet sich im breiteren Diskurs in Bezug auf die Autor:innenschaft5  in Forschungsprojekten, zum Beispiel in den Leitlinien der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) zur „Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis“ (Deutsche Forschungsgemeinschaft, 2022). Diese definieren auf Seite 18: „Autorin oder Autor ist, wer einen genuinen, nachvollziehbaren Beitrag zu dem Inhalt einer wissenschaftlichen Text-, Daten- oder Softwarepublikation geleistet hat“. Was unter einem genuinen Beitrag verstanden werden kann, differenziert die DFG wie folgt: Demnach rechtfertigt ein Beitrag zur „Erarbeitung, Erhebung, Beschaffung, Bereitstellung der Daten, der Software, der Quellen“ (Deutsche Forschungsgemeinschaft, 2013: 29) eine Autor:innenschaft, nicht aber die „lediglich technische Mitwirkung bei der Datenerhebung“ (ebd.: 30).

Es stellt sich die Frage welche Rollen in unter Umständen großen Teams beim Entstehen digitaler Editionen identifiziert werden können (Sahle, 2013: 229-232; Baillot und Ernst, 2016) und ob die Erfassung dieser Rollen standardisiert werden sollte. CRediT (NISO CRediT Working Group, 2022) bietet eine solche standardisierte Taxonomie mit 14 Rollen, die es bei wissenschaftlichen Forschungsprojekten geben kann.6  Eine Übertragung dieses allgemeinen Modells auf digitale Editionen ist wünschenswert, jedoch steht es bisher noch aus zu prüfen, ob diese Rollen ausreichen und ganz praktisch ‚wo‘ bei der Publikation (zum Beispiel auf den Plattformen) diese Anwendung finden. Ein weiterer ungeklärter Punkt ist die Relevanz und mögliche Anknüpfung standardisierter Rollen bei der Verzeichnung digitaler Editionen in OPACs und Forschungsdatenrepositorien. Denn bisher bilden die Metadatenformulare, aufgrund ihrer Orientierung am Druckparadigma, in den seltensten Fällen diese verschiedenen Rollen ab.7 

Vor diesem Hintergrund wird eine Übersicht über den Ist-Zustand der Repräsentanz von DH-Wissenschaftler:innen in digitalen Editionen benötigt. Das Poster präsentiert zu diesem Zweck die Ergebnisse einer Auswertung aller in der Zeitschrift RIDE besprochenen digitalen Editionen (RIDE – A Review Journal for Scholarly Digital Editions and Resources, o. J.). Dieses Korpus umfasst 89 Editionen aus verschiedenen Zeiträumen, nationalen Kontexten sowie inhaltlichen Gegenständen und eignet sich aufgrund dieser Bandbreite gut für eine erste Untersuchung zu diesem Thema. Wir betrachten die ggf. publizierten Forschungsdaten (TEI-XML-Metadaten, Online-Formulare) und die Plattformen (Startseite, Teamseite, Impressum, Zitierhinweise Einzelansicht) und untersuchen diese nach den folgenden Kriterien: Wird eine DH-Person genannt? In welcher(n) Rolle(n)? Wird für die Rolle(n) eine Taxonomie verwendet?

Auf dem Poster visualisieren wir 1) die quantitative Auswertung und Ergebnisse der Studie und damit den Stand der Repräsentation der DH-Wissenschaftler:innen und stellen 2) einen eigenen Entwurf zur Nutzung von CRediT in den Metadaten von TEI-XML-Dokumenten vor.


Fußnoten

1 Contributor Roles für dieses Abstract: Martina Gödel (Conceptualization, Methodology, Writing – review & editing), Lou Klappenbach (Conceptualization, Formal analysis, Methodology, Visualization, Writing – original draft, Writing – review & editing), Ruth Sander (Conceptualization, Formal analysis, Methodology, Visualization, Writing – review & editing), Markus Schnöpf (Conceptualization, Formal analysis, Visualization, Writing – review & editing).
2 Unter „DH-Wissenschaftler:innen“ verstehen wir hier diejenigen Personen, die für technische und digitale Aspekte der Edition (Datenmodellierung und -transformation, Web- und Forschungssoftwareentwicklung etc.) zuständig sind und in diesem Kontext genannt werden, im Gegensatz zu den jeweiligen Fachwissenschaftler:innen, die die editorische Arbeit übernehmen (Transkribieren, kritisch Kommentieren, Annotieren, etc.). Wenngleich hier der Übergang auch fließend sein kann, gehen wir auf Basis unserer Beobachtungen innerhalb und über die Grenzen der BBAW hinaus von dieser Arbeitsteilung als Standard aus. Daher bildet sie die Arbeitshypothese unserer Erhebung.
3 Unter Punkt 1.2 und 1.4 des Kriterienkatalogs für die Besprechung digitaler Editionen wird explizit nach den Herausgeber:innen und Editor:innen gefragt. Alle weiteren Beteiligten werden unter „die Mitarbeiter“ gruppiert (Sahle, 2014).
4 Für diese Untersuchung beziehen wir uns nur auf den deutschsprachigen Raum, um den Gegenstand überschaubar zu halten. Längerfristig ist es wichtig, den internationalen Blickwinkel stärker zu betrachten.
5 Bei diesem Vergleich ist zu beachten, dass in Editionen den Bearbeiter:innen (außer bei den Begleittexten) nie die Autor:innenschaft zugeschrieben wird, sondern nur die Herausgeber:innenschaft. Dies ist dem Umstand geschuldet, dass in Editionen nur der historischen Person die Autor:innenschaft der edierten Texte zugeschrieben werden kann, die Bearbeiter:innen aber die inhaltliche und wissenschaftliche Verantwortung für die editorischen Eingriffe tragen.
6 Die CRediT Taxonomie wurde 2022 von der National Information Standards Organization (NISO) der U.S.A. anerkannt (NISO CRediT Working Group, 2022).
7 Programme zur Literaturverwaltung können diese vielfältigen Rollen bisher ebenso kaum berücksichtigen und verarbeiten.

Bibliographie