Wer sind die Herausgeber:innen Digitaler Editionen? Eine Untersuchung zur Repräsentation von Digital Humanities-Wissenschaftler:innen
https://zenodo.org/records/10698446
Digitale Editionen sind komplexe kollaborative Unternehmungen mit vielen Beteiligten aus verschiedenen Institutionen und Domänen. Eine Trennung in wissenschaftliche und nichtwissenschaftliche Tätigkeiten ist nicht zielführend. Alle Beiträge sind zu würdigen und zu kreditieren. [...] (Manifest für digitale Editionen, Absatz 21)
1 Die oben zitierte Aussage wird in ihrer Richtigkeit in den Digital Humanities (DH) zwar grundsätzlich kaum angezweifelt, in der alltäglichen Arbeitspraxis aber noch nicht konsequent umgesetzt. Ungeklärte Fragen sind: Muss für die Herausgeber:innenschaft nicht ein „wesentlicher“ Beitrag geleistet werden und sind die DH-Tätigkeiten als solcher zu verbuchen? Um sich zur Frage der Repräsentation von DH-Wissenschaftler:innen2 in digitalen Editionen zu positionieren, muss die Diskussion innerhalb der DH-Community ganz konkret geführt werden. Dafür fehlt bislang eine Übersicht über den aktuellen Stand, wie in den DH die kollaborative Arbeit an digitalen Editionen sichtbar gemacht wird. In den Kriterien für die Besprechung digitaler Editionen, die von der Zeitschrift RIDE herausgegeben werden, ist bisher kein Kriterium diesbezüglich aufgenommen (Sahle 2012).3 Das Poster zielt darauf ab, dieses Desiderat aufzugreifen und eine Diskussionsgrundlage zu schaffen.
Die Diskussion um digitales Publizieren und kollaborative Autor:innenschaft ist in den Digital Humanities nicht neu (Ernst, 2015; Balliot und Ernst, 2016; Strobel 2018). Im Manifest für digitale Editionen plädieren die Autor:innen unter der Überschrift „Soziale Dimension“ für eine gleichwertige Kollaboration zwischen allen am Projekt beteiligten Expert:innen und für die Anerkennung der verschiedenen Kompetenzbereiche als wissenschaftliche Arbeit – auch die der DH-Wissenschaftler:innen. Demnach führe auch die Erstellung von Daten, Datenmodellen und Forschungssoftware zur Mitherausgeber:innenschaft bei der Veröffentlichung digitaler Editionen (Fritze, 2022: Absätze 21-24).4
Eine ähnliche Diskussion findet sich im breiteren Diskurs in Bezug auf die Autor:innenschaft5 in Forschungsprojekten, zum Beispiel in den Leitlinien der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) zur „Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis“ (Deutsche Forschungsgemeinschaft, 2022). Diese definieren auf Seite 18: „Autorin oder Autor ist, wer einen genuinen, nachvollziehbaren Beitrag zu dem Inhalt einer wissenschaftlichen Text-, Daten- oder Softwarepublikation geleistet hat“. Was unter einem genuinen Beitrag verstanden werden kann, differenziert die DFG wie folgt: Demnach rechtfertigt ein Beitrag zur „Erarbeitung, Erhebung, Beschaffung, Bereitstellung der Daten, der Software, der Quellen“ (Deutsche Forschungsgemeinschaft, 2013: 29) eine Autor:innenschaft, nicht aber die „lediglich technische Mitwirkung bei der Datenerhebung“ (ebd.: 30).
Es stellt sich die Frage welche Rollen in unter Umständen großen Teams beim Entstehen digitaler Editionen identifiziert werden können (Sahle, 2013: 229-232; Baillot und Ernst, 2016) und ob die Erfassung dieser Rollen standardisiert werden sollte. CRediT (NISO CRediT Working Group, 2022) bietet eine solche standardisierte Taxonomie mit 14 Rollen, die es bei wissenschaftlichen Forschungsprojekten geben kann.6 Eine Übertragung dieses allgemeinen Modells auf digitale Editionen ist wünschenswert, jedoch steht es bisher noch aus zu prüfen, ob diese Rollen ausreichen und ganz praktisch ‚wo‘ bei der Publikation (zum Beispiel auf den Plattformen) diese Anwendung finden. Ein weiterer ungeklärter Punkt ist die Relevanz und mögliche Anknüpfung standardisierter Rollen bei der Verzeichnung digitaler Editionen in OPACs und Forschungsdatenrepositorien. Denn bisher bilden die Metadatenformulare, aufgrund ihrer Orientierung am Druckparadigma, in den seltensten Fällen diese verschiedenen Rollen ab.7
Vor diesem Hintergrund wird eine Übersicht über den Ist-Zustand der Repräsentanz von DH-Wissenschaftler:innen in digitalen Editionen benötigt. Das Poster präsentiert zu diesem Zweck die Ergebnisse einer Auswertung aller in der Zeitschrift RIDE besprochenen digitalen Editionen (RIDE – A Review Journal for Scholarly Digital Editions and Resources, o. J.). Dieses Korpus umfasst 89 Editionen aus verschiedenen Zeiträumen, nationalen Kontexten sowie inhaltlichen Gegenständen und eignet sich aufgrund dieser Bandbreite gut für eine erste Untersuchung zu diesem Thema. Wir betrachten die ggf. publizierten Forschungsdaten (TEI-XML-Metadaten, Online-Formulare) und die Plattformen (Startseite, Teamseite, Impressum, Zitierhinweise Einzelansicht) und untersuchen diese nach den folgenden Kriterien: Wird eine DH-Person genannt? In welcher(n) Rolle(n)? Wird für die Rolle(n) eine Taxonomie verwendet?
Auf dem Poster visualisieren wir 1) die quantitative Auswertung und Ergebnisse der Studie und damit den Stand der Repräsentation der DH-Wissenschaftler:innen und stellen 2) einen eigenen Entwurf zur Nutzung von CRediT in den Metadaten von TEI-XML-Dokumenten vor.
Fußnoten
Bibliographie
- Baillot, Anne und Ernst, Thomas. 2016. „2. Was kennzeichnet die digitale wissenschaftliche Autorschaft?“ Workingpapers DHd-Arbeitsgruppen. http://dhd-wp.hab.de/?q=content/2-was-kennzeichnet-die-digitale-wissenschaftliche-autorschaft.
- Deutsche Forschungsgemeinschaft. 2022. „Guidelines for Safeguarding Good Research Practice. Code of Conduct.“ https://doi.org/10.5281/zenodo.6472827.
- Deutsche Forschungsgemeinschaft. 2013. „Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis. Denkschrift Memorandum.“ https://doi.org/10.1002/9783527679188.
- Ernst, Thomas. 2015. „Vom Urheber zur Crowd, vom Werk zur Version, vom Schutz zur Öffnung? Kollaboratives Schreiben und Bewerten in den Digital Humanities. “ Zeitschrift für digitale Geisteswissenschaften: Sonderband 1. https://doi.org/10.17175/SB001_021.
- Fritze, Christiane. 2022. „Manifest für digitale Editionen.“ https://dhd-blog.org/?p=17563.
- NISO CRediT Working Group. “ANSI/NISO Z39.104-2022, CRediT, Contributor Roles Taxonomy.” https://doi.org/10.3789/ansi.niso.z39.104-2022. (zugegriffen: 19. Juli 2023).
- RIDE – A Review Journal for Scholarly Digital Editions and Resources. o. J. https://ride.i-d-e.de/. (zugegriffen: 19. Juli 2023).
- Sahle, Patrick. 2013. „Digitale Editionsformen. Zum Umgang mit der Überlieferung unter den Bedingungen des Medienwandels. Teil 2: Befunde, Theorie und Methodik. [Finale Print-Fassung].“ Norderstedt, BoD. http://kups.ub.uni-koeln.de/id/eprint/5352.
- Sahle, Patrick. 2012. „Kriterienkatalog für die Besprechung digitaler Editionen.“ Institut für Dokumentologie und Editorik. https://www.i-d-e.de/publikationen/weitereschriften/kriterien-version-1-1/. (zugegriffen: 19. Juli 2023).
- Strobel, Jochen. 2018 „Kollaborative Strukturen in der digitalen Edition. Akteure, Rollen, Verantwortlichkeiten, Rechtliches.“ In Kooperative Informationsinfrastrukturen als Chance und Herausforderung, hg. von Achim Bonte und Juliane Rehnolt, 426–37. Berlin, Boston: De Gruyter Saur. https://doi.org/10.1515/9783110587524-043.