Community Building auf Citizen Science-Projektplattformen: Ja, nein, vielleicht?

Heinisch, Barbara
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Die Zusammenarbeit mit Bürger:innen in den Geisteswissenschaften blickt auf eine lange Tradition zurück. Auch heutzutage erfreut sich die Zusammenarbeit zwischen professionellen Forschenden und Bürger:innen in vielen Disziplinen der (digitalen) Geisteswissenschaften, wie Lexikografie, Geschichte oder Kunst zunehmender Beliebtheit. Die Beiträge der Bürger:innen in Form von Citizen Science (ECSA 2020) umfassen in den digitalen Geisteswissenschaften beispielsweise Datensammlung, Transkription oder Annotation. Das Ausmaß der Einbindung von Angehörigen der Öffentlichkeit in Citizen Science-Projekten in den digitalen Geisteswissenschaften rangiert dabei zwischen der Erledigung von Mikroaufgaben, wie der Transkription eines Satzes bis hin zur gemeinsamen Gestaltung von ganzen Forschungsprojekten.

Um Teilnehmende für geisteswissenschaftliche Forschungsprojekte zu gewinnen, setzen Forschende teilweise auf Citizen Science-Projektplattformen, wie Bürger schaffen Wissen, Österreich forscht oder Zooniverse. Auch spezialisierte Plattformen, die nur ein ganz bestimmtes Thema (z.B. Linguistik oder Kunstgeschichte) oder eine Methode (z.B. Transkription oder Übersetzung) abdecken, sind in der geisteswissenschaftlichen Citizen Science-Landschaft zu finden.

Das Potenzial von Citizen Science liegt in der Öffnung der Wissenschaft, der Demokratisierung der Wissenschaft (Irwin 1995; Scanlon / Herodotou 2022), der Berücksichtigung einer Vielfalt von Epistemologien in der Forschung (Jaeger et al. 2022), der Erhöhung der wissenschaftlichen Bildung und des Wissens über Wissenschaft selbst (Ceccaroni et al. 2017; Queiruga-Dios et al. 2020), der Stärkung des Vertrauens in die Wissenschaft und dem transformativen Potenzial zur Erreichung der Ziele für nachhaltige Entwicklung (Fritz et al. 2019).

Dieses transformative Potenzial lässt sich auf den genannten Citizen-Science-Plattformen jedoch nur in begrenztem Umfang realisieren. Dies liegt an der Natur der Plattformen, die die Art der Zusammenarbeit mit den Teilnehmenden bereits prädeterminiert. Diese Plattformen eignen sich besonders gut für das Crowdsourcing kleinerer Aufgaben, die von einer großen Anzahl von Personen erledigt werden können. Diese Plattformen bieten normalerweise verschiedene Citizen Science-Projekte an, zu denen Freiwillige beitragen können.

Diese Plattformen, die entweder Projekte aus einer Vielzahl von wissenschaftlichen Disziplinen oder ein bestimmtes Themengebiet abdecken, konzentrieren sich oft auf Aktivitäten in Form von Kleinstaufgaben, die leicht online allein von zu Hause aus erledigt werden können und in der Regel kaum Interaktion zwischen den Wissenschafter*innen und Teilnehmenden erfordern. Allerdings wird gerade Community Building als ein wesentlicher Faktor für den Erfolg eines Citizen Science-Projekts verstanden (Golumbic et al. 2020).

Daher wurden drei allgemeine Citizen Science-Plattformen ( European Citizen Science, Zooniverse und Bürger schaffen Wissen), drei thematisch spezialisierte Citizen-Science-Plattformen ( LanguageARC (Fiumara et al. 2020) im Bereich Linguistik, ARTigo (Bry / Schefels 2016) im Bereich Kunstgeschichte, sowie MicroPasts (Bonacchi et al. 2019) im Bereich kulturelles Erbe und Archäologie) und methodisch spezialisierte Plattformen ( FromThePage für Transkription, SPOTTERON für Georeferenzierung) im Hinblick auf Community Building-Aspekte gemäß Golumbic et al. (2020) analysiert. Gegenstand der Analyse sind somit Foren, Chats, diverse (eingebettete) soziale Medien, sowie reguläre Austauschformate (wie beispielsweise Feedbackrunden) über diese Plattformen .

Die untersuchten Plattformen wurden anhand ihrer Größe und der Dauer ihres Bestehens ausgewählt, da davon auszugehen ist, dass größere und ältere Plattformen eher auf die Bedürfnisse der Benutzer:innen eingehen. Außerdem wird ein Vergleich einer globalen, einer europaweiten und einer nationalen Plattform angestellt. Die themenspezifischen Plattformen repräsentieren die Fachgebiete, die in den Fields of Science and Technology angeführt sind. Von den vier darin aufgelisteten Geisteswissenschaften (a) Geschichte, Archäologie, b) Sprach- und Literaturwissenschaften, c) Philosophie, Ethik, Religion und d) Kunstwissenschaften) wurde je eine themenspezifische Plattform ausgewählt, mit Ausnahme von Philosophie, Ethik oder Religion, da zum Zeitpunkt der Erhebung keine spezialisierte Plattform zu finden war.

Da auf diesen Plattformen Crowdsourcing eine zentrale Rolle zukommt, stellt sich die Frage, inwieweit diese Plattformen die Teilnehmenden (sowie die Forschenden) dabei unterstützen, eine Gemeinschaft zu bilden und inwieweit diese Aufgabe den Projekten selbst überlassen wird. Die übergeordnete Forschungsfrage somit ist: Wie wird Community Building auf den untersuchten Plattformen umgesetzt?

Erste Zwischenergebnisse verdeutlichen, dass allgemeine Citizen Science-Projektplattformen kein übergeordnetes Community Building, wie beispielsweise Austauschmöglichkeiten über Projektgrenzen hinweg, aufgrund ihres Aufbaus bezwecken. Community Building findet in diesem Fall primär auf Projektebene statt, entweder mittels projekteigener Kommunikations- und Informationstechnologie oder, wie im Falle von Zooniverse, auf der Zooniverse-Projektseite selbst. Thematisch spezialisierte Citizen Science-Plattformen hingegen verfügen teils über Community-Features und die Möglichkeit, auf die Bedürfnisse der wissenschaftlichen Projekte einzugehen. Methodisch spezialisierte Citizen Science-Projektplattformen fungieren hierbei wiederum verstärkt auf Projektebene, in dem Community-Funktionalitäten für jedes Projekt angeboten werden, um den Austausch und die Interaktion zwischen den Benutzer:innen der jeweiligen App im Citizen Science-Projekt zu stärken.

Dadurch wird deutlich, dass Community Building von Teilnehmenden in Projekten, die auf Citizen Science-Projektplattformen geführt werden, in erster Linie auf Projektebene selbst (und nur teilweise über diese Plattformen) stattfindet. Daher bleibt offen, ob ein Community Building von Teilnehmenden in Citizen Science-Projekten auch über Projektgrenzen hinaus einen Mehrwert bieten könnte.


Bibliographie

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  • ECSA (2020): ECSA’s characteristics of citizen science. https://ecsa.citizen-science.net/sites/default/files/ecsa_characteristics_of_citizen_science_-_v1_final.pdf.
  • Fiumara, James/Cieri, Christopher/Wright, Jonathan/Liberman, Mark (2020): “LanguageARC: Developing Language Resources Through Citizen Linguistics”, in: Proceedings of the LREC 2020 Workshop “Citizen Linguistics in Language Resource Development”. Language Resources and Evaluation Conference (LREC 2020), Marseille, 11–16 May 2020, 1–6.
  • Fritz, Steffen/See, Linda/Carlson, Tyler/Haklay, Mordechai/Oliver, Jessie L./Fraisl, Dilek/Mondardini, Rosy/Brocklehurst, Martin/Shanley, Lea A./Schade, Sven/Wehn, Uta/Abrate, Tommaso/Anstee, Janet/Arnold, Stephan/Billot, Matthew/Campbell, Jillian/Espey, Jessica/Gold, Margaret/Hager, Gerid/He, Shan/Hepburn, Libby/Hsu, Angel/Long, Deborah/Masó, Joan/McCallum, Ian/Muniafu, Maina/Moorthy, Inian/Obersteiner, Michael/Parker, Alison J./Weisspflug, Maike/West, Sarah (2019): “Citizen science and the United Nations Sustainable Development Goals”, in: Nature Sustainability 2, 10: 922–930.
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