Zukünftige Digitale Autorschaft

Dinger, Patrick; Horstmann, Jan; Jansky, Caroline; Jurczyk, Thomas; Steyer, Timo
https://zenodo.org/records/14943062
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Wo wir stehen1 

Publizieren verändert sich (vgl. Cremer 2018). Das Konferenzposter der DHD-AG Digitales Publizieren soll zu einer bewussten Reflexion aktueller Entwicklungen im Kontext zukünftiger Autorschaft beitragen. Mithilfe eines analogen Mappings am Poster möchten wir die Autor*innen der DH-Community zu drei sozialen, technischen und produktionsästhetischen Dimensionen von Autorschaft im digitalen Kontext – Kollaborativität, Automatisierung und Datafizierung – befragen und ihre Standpunkte direkt sichtbar machen. Dabei soll auch die Reflexion zum Begriff der Autorschaft selbst angeregt werden, den wir als multidimensionales Konstrukt, das weit über urheberrechtliche Fragen hinausgeht, begreifen und vermitteln möchten.

Hintergrund

Anlässlich ihres zehnjährigen Bestehens stellte die DHd-Arbeitsgruppe Digitales Publizieren (vgl. AG Digitales Publizieren) im Rahmen der DHd2024 in Passau fünf Thesen zur Zukunft des (digitalen) Publizierens zur Diskussion. Gerahmt durch ein interaktives Poster (Dinger et al. 2024a) fragten wir in einer Onlineerhebung nach persönlichen Einstellungen zu den Thesen und einer Einschätzung der Wahrscheinlichkeit ihrer Realisierung. Eine Beschreibung und erste Auswertung der Umfrage findet sich in einem DHd-Blogbeitrag (Dinger et al. 2024b). Die Umfrageergebnisse werfen Fragen auf nach dem zukünftigen Bild digitaler Autorschaft im Spannungsfeld von Kollaborativität, Automatisierung durch LLMs und der Produktion von Daten bzw. Text.

Kollaborativ oder individuell

In der Umfrage zeigt sich eine ambivalente Haltung der DH-Community zur Frage, ob digitale Autorschaft künftig eher kollaborativ oder eher individuell stattfinden wird (vgl. Dinger et al. 2024b, These 4). Dass das individuelle Modell bald ausstirbt, wurde mehrheitlich verneint. Dass Autorschaft von Publikationen in der Wissenschaft karriereentscheidend ist, könnte diese Tendenz erklären. Das Thema ist wohlbekannt: Bereits Nyhan und Duke-Williams (2014, 387) entlarven das „multi-authored Digital Humanities paper“ als „stereotype“. Die Analyse der Autor*innen zeigt, dass die Einzelautorschaft auch in den Digital Humanities weiterhin die kollaborative Autorschaft überwiegt (auch wenn leichte Trends zu mehr Kollaboration erkennbar sind) (Nyhan, Duke-Williams 2014, 395). Auch Auswertungen zu kollaborativer Autorschaft in sieben DH-Journals (Zeitraum: 2015 bis 2023) zeigen meist ein ausgewogenes Verhältnis von Einzel- und kollaborativer Autorschaft (vgl. Baumgarten et al. 2024a; Baumgarten et al. 2024b). Die DH sind von inter- und transdisziplinären Perspektiven geprägt, was zu erhöhtem Kollaborationsbedarf führt; mit zunehmender Etablierung ist zu erwarten, dass die notwendigen Kompetenzen auch von Einzelpersonen erworben werden können. Andere Entwicklungen – etwa die zunehmende Notwendigkeit internationaler Zusammenarbeit – stehen dem allerdings entgegen.

Automatisiert oder manuell

Eine deutliche Mehrheit der Befragten hält es für wahrscheinlich, dass Machine-Learning-Anwendungen zu einem integralen Bestandteil zukünftiger Autorschaft im digitalen Kontext werden und viele stehen dieser Entwicklung positiv oder sehr positiv gegenüber (vgl. Dinger et al. 2024b, These 3). Betreffen wird die Einbindung maschinellen Lernens u.a. Bereiche wie wissenschaftliches Schreiben, Reviewing, Redaktion und Layout. „Künstliche Intelligenz“ wird dabei von den meisten laut Umfrage als für die eigenen Zwecke tendenziell hilfreiches Werkzeug und weniger als Bedrohung verstanden, was daran liegen könnte, dass in den DH der publizierte Text häufig „nur“ die Dokumentation des Forschungsprozesses und nicht der Hauptaspekt der Forschung ist. Da die Umfrage bezüglich der Zukunft von Autorschaft im digitalen Kontext mehrere Aspekte in einer These vereinte und vermutlich dadurch ein Viertel der Teilnehmenden zu einer nicht eindeutigen Haltung veranlasste, scheint ein differenzierterer Austausch im Rahmen der Postersession vielversprechend. So könnte mit den Teilnehmenden im Detail diskutiert werden, an welchem Punkt sie sich zwischen „manueller“ und „vollständig maschinell gestützter“ Autorschaft positionieren würden. Dies erscheint auch aufgrund jüngerer Debatten um offene und Community-basierte Varianten von LLMs2  sowie eine „explainable AI“3  (Ali et al. 2023) interessant, welche bestehende Vorbehalte gegenüber der Integration von KI in wissenschaftliche Arbeitsprozesse mindestens in Teilen entkräften könnten.

Datensätze oder Texte

In den DH werden bereits heute vermehrt Datensätze publiziert (vgl. Helling 2022). Die Frage nach der Perspektive der Community auf die Publikationsform Daten lag daher nahe. Zwar begrüßt eine Mehrheit der Befragten diese Entwicklung, aber gleichzeitig hält ein Drittel der Befragten eine Zunahme der Publikation von Datensätzen für nicht wahrscheinlich (vgl. Dinger et al. 2024b, These 5). Während noch 2017 die Publikation von Forschungsdaten als „vorstellbar und [...] schon sporadisch praktiziert“ (Jannidis et al. 2017, 201) dargestellt wurde, hat dieser Trend disziplinübergreifend stark zugenommen; sicher auch durch die fortschreitende Arbeit in Bibliotheken und geisteswissenschaftlicher NFDI-Konsortien (vgl. Kurzawe und Stein 2024). Bei einer Publikation alle Daten des wissenschaftlichen Erkenntnisprozesses mit einzubeziehen, entspricht den Regeln guter wissenschaftlicher Praxis (Deutsche Forschungsgemeinschaft 2022). Vor dem Hintergrund aktueller gesellschaftlicher Entwicklungen (Wissenschaft im Dialog 2023) wird die Offenlegung der Quelldaten auch als vertrauensstiftende Maßnahme neu verhandelt (vgl. Mößner 2022). Die Entwicklung neuer Publikations- und Dokumentationsmöglichkeiten für Forschungsdaten kann wiederum Art und Umfang publizierter Primär- und Forschungsdaten beeinflussen. Beispielsweise zeichnen Hochschulen wie die TU Dortmund, die Universität Bielefeld oder das Forschungszentrum Jülich über Data-Champion-Programme den nachhaltigen und effizienten Umgang mit Forschungsdaten aus und lenken durch Interviewreihen mit den Sieger*innen den Blick auf Themen des Forschungsdatenmanagements und digitaler Autorschaft.4  Dennoch ist eine Datenpublikation hinsichtlich der wissenschaftlichen Reputationen für die Urheber*innen noch nicht mit einer Monografie oder einem peer-reviewten Zeitschriftenbeitrag gleichzusetzen. Hierfür müssen sich Standards der Qualitätssicherung von Datenpublikationen etablieren und die Datenautorschaft gleichwertig zur Textautorschaft anerkannt werden. Schließlich sollten neben Daten und Texten auch noch Produkte wie Annotationsguidelines, Tools, Visualisierungen, Modelle etc. als potenziell reputationsfördernde Publikationen anerkannt werden und einen Qualitätssicherungsprozess durchlaufen (vgl. Helling, Jung und Pielström 2024). 

Diskussion

Ob die klassischen Formen des Publizierens manuell und individuell geschriebener wissenschaftlicher Texte abgelöst oder ergänzt werden, wird die Zukunft zeigen. Das Konferenzposter soll sowohl die individuelle Reflexion des eigenen Handelns als Autor*in befördern als auch einen diskursiven Austausch untereinander und mit den Postereinreichenden ermöglichen. Mit interaktiven Elementen soll es den Mitgliedern der DH-Community ermöglichen, sich selbst in Bezug auf die drei skizzierten Dimensionen zukünftiger Autorschaft im digitalen Kontext zu positionieren. Nicht zuletzt wird die zukünftige Arbeit der DHd-AG Digitales Publizieren durch diese Gespräche in ihrer Schwerpunktsetzung bestärkt oder neu fokussiert.


Fußnoten

1 Contributor Roles: Patrick Dinger (Conceptualization, Writing – original draft, Writing – review & editing), Jan Horstmann (Conceptualization, Data curation, Writing – original draft, Writing – review & editing), Caroline Jansky (Conceptualization, Writing – original draft, Writing – review & editing), Thomas Jurczyk (Conceptualization, Data curation, Writing – original draft), Timo Steyer (Conceptualization, Data curation, Writing – original draft).
2 Vgl. https://opensource.org/ai/open-source-ai-definition (zugegriffen: 27. November 2024).
3 „Explainable AI“ kann als Dachkonzept für verschiedene Aspekte verstanden werden, wie etwa „(i) data explainability, (ii) model explainability, (iii) posthoc explainability, and (iv) assessment of explanations“.
4 Sieh hierzu https://fdm.tu-dortmund.de/fdm-an-der-tu-dortmund/data-champions/; https://www.uni-bielefeld.de/ub/digital/forschungsdaten/data-champions/ sowie für grundlegende Informationen https://forschungsdaten.info/themen/beschreiben-und-dokumentieren/metadaten-im-forschungsalltag/ (alle zugegriffen: 25.November 2024).

Bibliographie

  • AG Digitales Publizieren. https://dig-hum.de/ag-digitales-publizieren (zugegriffen: 20. Juni 2024).
  • Ali, Sajid, Tamer Abuhmed, Shaker El-Sappagh, Khan Muhammad, Jose M. Alonso-Moral, Roberto Confalonieri, Riccardo Guidotti, Javier Del Ser, Natalia Díaz-Rodríguez und Francisco Herrera. 2023. ”Explainable Artificial Intelligence (XAI): What We Know and What Is Left to Attain Trustworthy Artificial Intelligence.” Information Fusion 99, 101805. https://doi.org/10.1016/j.inffus.2023.101805 (zugegriffen: 20. Juni 2024).
  • Baumgarten, Marcus, Henrike Fricke-Steyer, Martin de la Iglesia, Caroline Jansky, Jonathan Schimpf und Martin Wiegand. 2024. ”Transparenz im Fokus: Die Publikationspraxis der Zeitschrift für digitale Geisteswissenschaften.” DHd 2024 Quo Vadis DH (DHd2024). Postereinreichung, Passau. Zenodo. https://doi.org/10.5281/zenodo.10706093 (zugegriffen: 20. Juni 2024).
  • Baumgarten, Marcus, Martin de la Iglesia, Caroline Jansky, Martin Wiegand und Jonathan Schimpf. 2024. ”Publikationspraxis der Zeitschrift für digitale Geisteswissenschaften 2015 bis 2023. Datenset. https://doi.org/10.17175/2015-2023_publikationspraxis-zfdg (zugegriffen: 20. Juni 2024).
  • Deutsche Forschungsgemeinschaft. 2022. “Guidelines for Safeguarding Good Research Practice. Code of Conduct.” https://doi.org/10.5281/zenodo.6472827 (zugegriffen: 20. Juni 2024).
  • Cremer, Fabian. 2018. ”Nun sag, wie hältst Du es mit dem Digitalen Publizieren, Digital Humanities?” In Digitale Redaktion. Editorial zum digitalen Publizieren. https://editorial.hypotheses.org/113 (zugegriffen: 20. Juni 2024).
  • Dinger, Patrick, Jan Horstmann, Caroline Jansky, Thomas Jurczyk und Timo Steyer. 2024a. ”Roads? Where we're going, we don't need roads. Die Zukunft des Publizierens.” DHd 2024 Quo Vadis DH ( DHd2024). Postereinreichung, Passau. Zenodo. https://doi.org/10.5281/zenodo.10706061 (zugegriffen: 20. Juni 2024).
  • Dinger, Patrick, Jan Horstmann, Caroline Jansky, Thomas Jurczyk und Timo Steyer. 2024b. ”Community statt Glaskugel: Euer Feedback zur Zukunft des digitalen Publizierens.” DHdBlog. Digital Humanities im deutschsprachigen Raum. https://dhd-blog.org/?p=21189 (zugegriffen: 03. Juli 2024).
  • Helling, Patrick, Anke Debbeler und Rebekka Borges. 2022. ”Konferenzbeiträge strategisch publizieren: Automatisierte Workflows zur individuellen Veröffentlichung von Konferenzbeiträgen am Beispiel des Verbands Digital Humanities im deutschsprachigen Raum e.V.” O-Bib. Das Offene Bibliotheksjournal 3, 1–17. https://doi.org/10.5282/o-bib/5835 (zugegriffen: 20. Juni 2024).
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  • Jannidis, Fotis, Hubertus Kohle und Malte Rehbein. 2017. Digital Humanities. Eine Einführung. Stuttgart: J.B. Metzler Verlag. https://doi.org/10.1007/978-3-476-05446-3 (zugegriffen: 20. Juni 2024).
  • Kurzawe, Daniel und Stein, Regine. 2024. "Aufgabenprofile im Wandel: Bibliotheken in der Nationalen Forschungsdateninfrastruktur." In Bibliothek Forschung und Praxis 48 (2024), H. 1., 138–148. https://doi.org/10.1515/bfp-2024-0002 (zugegriffen: 25. November 2024).
  • Mößner, Nicola. 2022. “Wissenschaft in ›Unordnung‹?: Gefiltertes Wissen und die Glaubwürdigkeit der Wissenschaft.” In Kalibrierung der Wissenschaft: Auswirkungen der Digitalisierung auf die wissenschaftliche Erkenntnis, hg. von Nicola Mößner und Klaus Erlach, 103-136. Bielefeld: transcript Verlag. https://doi.org/10.1515/9783839462102-005 (zugegriffen: 20. Juni 2024).
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  • Wissenschaft im Dialog. 2023. ”Wie sehr vertrauen Sie Wissenschaft und Forschung.” Statista, Chart 5. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1193534/umfrage/vertrauen-in-wissenschaft-und-forschung/ (zugegriffen: 12. Juni 2024).