Citizen Science vs. Geschichtswissenschaften? Under construction: Kirchengeschichte in Wikidata und co.
https://zenodo.org/records/14942970
Der Workshop bietet einen Einblick in die Nutzung von Wikidata und wikibase-basierten Citizen-Science-Projekten für die geisteswissenschaftliche Forschung. Das Angebot versteht sich als grundlegende Einführung und richtet sich an Teilnehmende ohne Vorkenntnisse im Bereich Wikidata/Wikibase/SPARQL. Die praktische Einführung erfolgt exemplarisch anhand eines Phänomens der mittelalterlichen Kirchengeschichte, ist aber auf andere Gegenstände und Disziplinen übertragbar; historische Vorkenntnisse sind nicht notwendig. Der Workshop zeigt die Bedeutung von offen zugänglichen Daten (Linked Open Data) auf und wirft einen Blick auf aktuelle Projekte zur kollaborativen Generierung von Wissensgraphen. Didaktisch ist der Workshop in vier Teile gegliedert.
1. Kurze theoretische Einführung in Wikidata/Wikibase
Im ersten Teil erhalten die Teilnehmenden Hintergrundinformationen zur Wikidata: Neben einer kurzen Einführung in die Entstehungsgeschichte von Wikidata wird die Bedeutung der Wikidata und anderer wikibasebasierter Instanzen für das Semantic Web bzw. die Linked Open Data Cloud erläutert. Wikidata ist nicht nur der größte Wissensgraph, sondern bietet auch Daten unter freien Lizenzen und erlaubt – genau wie Wikipedia – die freie Mitarbeit beim Aufbau der Wissensbasis. Mit der Softwareumgebung Wikibase steht zudem die Technologie für den Aufbau von solchen Wissensgraphen frei zur Verfügung.
2. Kurze Einführung in die fachwissenschaftliche Fragestellung
Der zweite Teil dient als Einführung in den Themenkomplex Kirchweihen und damit in eine geschichtswissenschaftliche Fragestellung, die als exemplarisch aufzufassen ist. Die Weihe einer der großen Dom-, Stifts- oder Klosterkirche im Reich beendete nicht nur eine Phase des Neu- oder Umbaus, sondern stellte in den meisten Fällen zugleich ein reichspolitisch wichtiges Ereignis dar. Die Feierlichkeiten der Kirchweihe brachten es mit sich, dass sich oftmals der König bzw. Kaiser selbst sowie eine große Anzahl von Bischöfen, von Äbtissinnen und Äbten und anderen geistlichen Würdenträgern sowie viele weltliche Fürsten einfanden. Gerade in der ottonisch-salischen Zeit haben aber die Kaiser und Könige vielfach die Kirchweihen als Gelegenheit genutzt, sich im Kreis der versammelten geistlichen und weltlichen Großen zu präsentieren, Gespräche und Verhandlungen zu führen und Streitigkeiten zu klären. Die Analyse der Teilnehmer solcher Feiern vom 10. bis zum 12. Jahrhundert, insbesondere der an der Weihe beteiligten Bischöfe, Äbtissinnen und Äbte, erlaubt weitergehende Schlussfolgerungen zum Verhältnis von Königtum und den geistlichen Würdenträgern des Reiches und eröffnet zugleich die Möglichkeit, Beziehungsnetzwerke der jeweiligen stiftischen oder klösterlichen Institution abzubilden.
3. Praktische Arbeit mit den Daten, Visualisierung der Daten
Der dritte Teil des Workshops ist der umfangreichste Abschnitt und dient der praktischen Arbeit der Teilnehmenden mit der Plattform Wikidata:
Die Wikidata bietet als Übungsplattform mehrere Vorteile: Die graphische Benutzeroberfläche erleichtert das Verständnis der Datenstrukturen. Darüber hinaus können Abfragen online im Browser über den Query Service von Wikidata (https://query.wikidata.org/) ausgeführt werden. Es sind also keine Installationen im Vorfeld des Workshops notwendig. Für die Übung wird lediglich ein Wikidata-Account benötigt. Die erworbenen Kenntnisse lassen sich leicht auf fachspezifischere Datenbanken wie etwa FactGrid (https://database.factgrid.de) übertragen, die ebenfalls das Wikibase-Framework verwenden (https://www.wikimedia.de/projects/wikibase/).
In der praktischen Übung lernen die Teilnehmenden zunächst die Datenstrukturen von Wikidata kennen. Anhand von Beispieldaten zu den hochmittelalterlichen Kirchweihen und ihren prominenten Besucher:innen üben sie den Umgang mit Wikidata: diskutiert werden verschiedene Wege der Datenmodellierung. Die Daten sind für den Workshop so aufbereitet, dass die Teilnehmenden sie selbstständig in Wikidata einpflegen können. Ein wichtiger Aspekt ist die Verknüpfung mit Normdaten – auch über die Gemeinsame Normdatei (GND) hinaus. Hier stehen die domänenspezifischen Normdaten des Forschungsprojekts Germania Sacra (https://www.germania-sacra.de), das sich mit der Erforschung kirchlicher Institutionen und Personen des Mittelalters und der Frühen Neuzeit beschäftigt, im Fokus. Als Ausblick auf den Einsatz von Wikidata im Forschungsalltag wird mit dem Tool „Quickstatements“ (https://quickstatements.toolforge.org) außerdem eine Möglichkeit zur seriellen Integration von größeren Datenmengen vorgestellt.
Im nächsten Schritt werden die Grundlagen der Abfragesprache SPARQL vermittelt. Ziel ist es, dass die Teilnehmenden ein Verständnis dafür entwickeln, wie geisteswissenschaftliche Fragestellungen als Abfrage formuliert und mit SPARQL auf Wikidata umgesetzt werden können. Sie lernen die Grundstruktur einer SPARQL-Abfrage kennen, wie zum Beispiel die Befehle SELECT, WHERE und OPTIONAL. Zudem behandelt die Übung das Verketten von Abfragemustern und das Abfragen von Labels aus Wikidata. Während der Übung wechseln sich Demonstrationen neuer Konzepte und die Bearbeitung von aufeinander aufbauenden Übungsaufgaben ab, sodass die Teilnehmenden Schritt für Schritt lernen, wie sie die im ersten Teil der Übung eingepflegten Datensätze abfragen können. Abschließend erkunden sie die verschiedenen Visualisierungsmöglichkeiten von Wikidata und visualisieren die Daten auf einer Karte.
Zur Nachbereitung des Workshops werden den Teilnehmenden die Übungsaufgaben inklusive Musterlösungen zur Verfügung gestellt. Sie erhalten außerdem in Form eines „Cheat Sheets“ eine Übersicht über alle in der Übung verwendeten Befehle.
4. Ausblick, Aktuelle Forschungsprojekte
Im vierten Teil soll ein Blick auf die Potenziale von wikibase-basierten Wissensgraphen für die Geschichtswissenschaften geworfen werden. Die Vor- und Nachteile einer Datensammlung, die in einem kollaborativen Prozess aufgebaut wird, werden diskutiert. Dabei gilt ein kritischer Blick den Fragen der Datenqualität, der Datenmodellierung und der Vollständigkeit der Daten. Auch die Möglichkeiten der Generierung von SPARQL-Abfragen mit Hilfe von LLMs werden diskutiert.
Wikibase, das technische Framework, das der Wikidata zugrundeliegt, kann auch als eigenständige, von Wikidata unabhängige Instanz verwendet werden. Dies bietet das Potenzial, die Vorteile des Systems zu nutzen und gleichzeitig eine unabhängige und kuratierte Datensammlung aufzubauen. Hierfür gibt es in den Digital Humanities einige Anwendungsbeispiele, die im Workshop kurz vorgestellt werden.
Für eine praxisorientierte Betrachtung wird im Ausblick das von vier Partnerinstitutionen getragene DFG-Projekt „Forschungsdateninfrastruktur Historische Quellen“ (HisQu)1 vorgestellt, das die vom Forschungszentrum Gotha der Universität Erfurt betriebene Wikibase-Instanz FactGrid als Datenspeicher nutzt. Ziel dieses Projektes ist der Aufbau einer kollaborativen Plattform, der exemplarisch an einem für die spätmittelalterliche Kirchengeschichte zentralen Quellenkorpus, dem Repertorium Germanicum, erfolgt. Mit der Vorstellung von HisQu erhalten die Teilnehmenden einen Einblick in aktuelle Entwicklungstendenzen der Digital History.
Ablauf des Workshops:
Vorstellungsrunde und Einführung in das Konzept (15 min.)
Teil 1: Kurze theoretische Einführung in Wikidata/Wikibase (15 min.)
Teil 2: Kurze Einführung in die geschichtswissenschaftliche Fragestellung (15 min.)
Teil 3,1: Praktische Arbeit mit den Daten: Dateneingabe (60 min.)
Pause (30 min.)
Teil 3,2: Praktische Arbeit mit den Daten: Datenabfrage, Visualisierung (60 min.)
Teil 4: Ausblick, Aktuelle Forschungsprojekte (45 min.)
Fußnoten
Bibliographie
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