Wenzelsbibel Digital: Völlig losgelöst Die Edition als transmediales Skript

Bürgermeister, Martina; Hintersteiner, Julia; Spadinger, Viktoria; Beutel-Thurow, Linda; Steindl, Christoph; Kapeller, Edith; Kern, Manfred
https://zenodo.org/records/14943160
Zum TEI/XML Dokument

Einleitung

Der Beitrag diskutiert am Beispiel des Editionsprojektes „Wenzelsbibel digital“ ( https://edition.onb.ac.at/wenzelsbibel ) die Grenzen der Abstraktionsmöglichkeiten editorischer Daten und evaluiert, inwieweit sich die Trennung von Inhalt und Form, beziehungsweise von Daten und Publikationsschicht, aufrechterhalten lässt.

Die Trennung von Inhalt und Form wird als der Kern des medialen Wandels hin zum Digitalen bezeichnet (Dahlström 2000, 6-8; Kamzelak, 2009, 3; Sahle 2013, 159-160). In Bezug auf Texte bedeutet ‚Form‘ ihre Erscheinung, die sich im Layout, der Formatierung und anderen Orientierungshilfen (Seitenzählung, Zeilennummerierung usw.) zeigt. Der ‚Inhalt‘ sind die Daten, modelliert in abstrakten Datenstrukturen. Unter dieser Prämisse kann eine transmediale Edition entwickelt werden, die unabhängig von Verarbeitungslogiken medial unterschiedlich realisiert werden kann (Sahle 2010, 31).

Wir fragen uns, inwieweit die von uns bereits erarbeiteten Datenmodelle und -strukturen im Projekt „Wenzelsbibel digital“ als abstrakt und (medial) losgelöst bezeichnet werden können. In welchen Belangen denken wir bewusst an die Präsentationsform, weil sonst wichtige Inhalte und Funktionalitäten nicht evident gemacht werden könnten?

Unser Beitrag gliedert sich wie folgt: Nach einem kurzen Projektüberblick (2) wollen wir über die transmediale Modellierung der Daten reflektieren (3), um im Folgenden die Grenzen der Abstraktion in unserem Projekt und somit der transmedialen Edition aufzuzeigen (4).

Projekt “Wenzelsbibel digital”

Die Wenzelsbibel, geschaffen für König Wenzel IV. um 1390–1400, ist eine der bedeutendsten Handschriften der Österreichischen Nationalbibliothek. Sie stellt die erste deutschsprachige Übersetzung der hebräischen Bibel nach der lateinischen Vulgata dar, begleitet von einem außergewöhnlich wertvollen Illustrationsprogramm. Unser Pilotprojekt "Wenzelsbibel Digital" (01.02.2022-31.10.2024) zielt darauf ab, eine umfassende digitale Edition dieser Handschrift zu erstellen, die sowohl ein Faksimile als auch eine Transkription und Edition des Textes sowie eine systematische Untersuchung der Bildprogramme und ihrer Beziehung zum Text umfasst (Kibédi Varga 1990, Hamm und Klein 2021).

Projektdaten und -modelle

Das Erkenntnisinteresse liegt nicht nur an der Erschließung des überlieferten Textes, sondern auch der Illuminationen. Die Daten der Edition werden mehrstufig erzeugt. Diese umfasst zunächst eine genaue Texttranskription und ergänzt in einer Lesefassung eine normalisierte Schreibweise (u.a. durch die Auflösung von Abbreviaturen) und moderne Interpunktion. Jeder editorische Eingriff wird dabei mit einem Kommentar versehen. Im Projekt werden sowohl die Texttranskription und schichtweise Annotation der Textphänomene als auch die detaillierte Beschreibung der Illuminationen nach den Guidelines der TEI erstellt und mit Normdaten angereichert (z.B.: Iconclass, Wikidata). Diese beiden Sichtweisen auf das Material (Fokus Text, Fokus Bild) werden zwar in getrennten Modellen angelegt, verweisen aber in mehreren Instanzen aufeinander. Das geschieht über die in der Transkriptionssoftware (Transkribus) erzeugten Bild- und Textregionen, die wichtiger Bestandteil der Datenstruktur (<facsimile>) der Codex-Repräsentation sind. Auf den Daten der Text- und Bildregionen basiert auch die Text-Bild-Relation. Daher ist es möglich, nicht nur inhaltliche Abweichungen und Modifikationen der Darstellungsweise aufzuzeichnen, sondern auch auf den konkreten Textumfang, der mit der Illumination in Zusammenhang steht, zu verweisen (Hintersteiner 2023). Diese Übersetzung der Bilder und des Textes in Datenform ermöglicht es uns, die gegenseitigen Bezüge systematisch zu analysieren und abfragbar zu machen.

Grenzen der Abstraktion

Die Interoperabilität der Daten und deren intermedialer Vergleich funktionieren nur über Abstraktion. Aber was verloren geht, wenn man Form und Inhalt konsequent voneinander löst, sind im Wesentlichen folgende drei Aspekte: Erstens fallen die erweiternden Funktionalitäten der grafischen Oberfläche für die Benutzer*innen weg. Daneben kann die wissenschaftliche Verifikation des Editionstextes nur am ausgeführten Faksimile stattfinden. Zuletzt und an dritter Stelle können diverse intermediale Zusammenhänge, wie Text-Bild-Relationen, nur durch den Zusammenschluss und das Verweben von Form und Inhalt für die Nutzer*innen präsent gemacht werden.

Digitale Editionen können nicht nur hohen Benutzeransprüchen gerecht werden, sondern vor allem auf sehr heterogene Ansprüche eingehen. Deshalb möchten wir in unserem Projekt verschiedene Benutzerangebote zur Erschließung des Textes anbieten (Bildbeschreibung, Transkriptions-, Lese-, Bibel- und TEI-Fassung) und unterschiedliche Einstiege in das Material bereitstellen (Register), eine Text-Bild-Synopse und Konkordanz mit der lateinischen Vulgata zur Verfügung stellen sowie die interaktiven Bild- und Textelemente miteinbringen. Dazu ist eine graphische Oberfläche unerlässlich und damit einhergehend eine Form der Präsentation.

Außerdem ist zu bedenken, dass Textdaten auf unterschiedlichen Abstraktionsniveaus menschen- und maschinenlesbar sind – bei Bilddaten ist das anders. Letztere sind für uns dann erst begreiflich, wenn sie ausgeführt zur Ansicht gebracht werden.

Schluss

Transmedialität kann als Voraussetzung zur Erschließung und Analyse der „Wenzelsbibel” angenommen werden, aber eine digitale Edition muss sowohl als Informationsobjekt, als auch als Verifikationsobjekt dienen und somit den Status eines Repräsentanten beibehalten. Nur auf diese Weise können der Status und die besonderen Eigenschaften eines Kulturobjektes wie der „Wenzelsbibel“ gleichzeitig digital bewahrt und völlig losgelöst von der Form betrachtet werden. Das Poster lädt zur weiteren Diskussion über die methodischen Zukunftsaussichten (z.B. multimodale LLMs) bebilderter digitaler Editionen ein.


Bibliographie

  • Dahlström, Mats. 2000. "Drowning by Versions" In: Humanit. 4.4: 1-20. https://humanit.hb.se/article/view/174/187 (zugegriffen: 23. Juli 2024)
  • Hamm, Joachim und Klein, Dorothea (Hrsg.). 2021. Text – Bild – Ton. Spielarten der Intermedialität in Mittelalter und Früher Neuzeit. Würzburg: Königshausen & Neumann.
  • Hintersteiner, Julia. 2023. Text und Bild in Dialog: Eine intermediale Studie zur ‚Wenzelsbibel‘. Masterarbeit Universität Graz.
  • Kamzelak, Roland S. 2009. „Zur Nachhaltigkeit von elektronischen Texten: XML und TEI.“ In: Was ist Textkritik?: Zur Geschichte und Relevanz eines Zentralbegriffs der Editionswissenschaft, hg. Gertraud Mitterauer, 3-18. Tübingen : Niemeyer.
  • Kibédi Varga, Aron. 1990. „Visuelle Argumentation und visuelle Narrativität.“ In: Wolfgang Harms (Hrsg.): Text und Bild, Bild und Text. DFG-Symposium 1988. (Germanistische Symposien, Berichtsbände XI) 356 – 367. Stuttgart: Metzler.
  • Sahle, Patrick. 2013. Digitale Editionsformen. Zum Umgang mit der Überlieferung unter den Bedingungen des Medienwandels. Teil 2: Befunde, Theorie und Methodik. Norderstedt: BoD.
  • Sahle Patrick 2010. „Zwischen Mediengebundenheit und Transmedialisierung Anmerkungen zum Verhältnis von Edition und Medien“ In: editio 24: 23-36 DOI 10.1515/edit.2010.004