Automatische Erkennung und Kategorisierung von Syllogismusdiagrammen in de interpretatione Handschriften des byzantinischen Mittelalters
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Diagramme können in der Philosophie pädagogische oder auch heuristisch-epistemische Funktionen erfüllen (vgl. Depner 2016, S. 179). Die Nutzung von Diagrammen in der Philosophie, insbesondere im Bereich der Logik, hat eine lange Tradition. Heutzutage noch gemeinhin bekannt sind die von Venn in Auseinandersetzung mit der eulerschen Konzeption (vgl. Euler 1768) entwickelten sogenannten Venndiagramme (vgl. Venn 1881). Weniger bekannt hingegen sind die byzantinischen Diagramme zur Darstellung von Syllogismen (vgl. Abbildung 1). Wie jedoch an mehreren Stellen aufgezeigt wurde, bergen diese Repräsentationen von Syllogismen heute noch Erkenntnispotenziale. In der aktuellen Forschung werden bei Bhattacharjee 2024, die heutigen Möglichkeiten, byzantinische Diagramme zur Darstellung syllogistischer Logik zu nutzen, diskutiert. Ebenfalls thematisiert werden die Diagramme bei Krewet und Hegel 2022 und Krewet und Hegel 2020. Die Autor*innen zeigen, dass die Beschäftigung mit Diagrammen aus Kopien von Aristoteles Organon des byzantinischen Mittelalters neue Erkenntnisse zu Wissenstransfers des Organons ermöglicht. Wäre eine breitere Datenbasis für die Untersuchung byzantinischer Diagramme verfügbar, so würde dies zu einer fundierteren Auseinandersetzung mit diesem Forschungsgegenstand beispielsweise auch über die von Krewet und Hegel 2020 formulierten hermeneutisch erschließbaren Hypothesen hinaus ermöglicht. Zudem kann das tiefere Verständnis zur Geschichte und Verwendung der byzantinischen Diagramme auch für die inhaltliche Auseinandersetzung mit Aristoteles Schriften dienen.
Um diese Erkenntnispotenziale zu erschließen, sollen byzantinische Handschriften des Organons, insbesondere von de interpretatione (Aristoteles 2014), auch für das im Folgenden vorgestellte Forschungsvorhaben eine besondere Rolle spielen. Syllogismusdiagramme finden sich in ebendiesen Handschriften, von denen etwa 150 für das Projekt vorliegen. Hier sind sie zumeist Teil von Marginalglossen, welche den Haupttext ergänzen. Diese Diagramme sollen im Rahmen des Forschungsvorhabens automatisiert erkannt und klassifiziert werden. Somit soll ein neuer Datenbestand erschlossen, neue Auswertungsmöglichkeiten und Forschungsansätze eröffnet und schließlich auch neue Werkzeuge zur Untersuchung der Diagramme entwickelt werden. Herausforderungen bestehen dabei insbesondere aufgrund der handschriftlichen Natur der Diagramme sowie der unterschiedlichen Qualität der Digitalisate und Erhaltungsgrade der Handschriften. Weiterhin relevant für die Weiterverarbeitung mit Machine Learning Algorithmen ist auch der kleine Umfang des Datensets. Dieser Umstand wird besonderer Aufmerksamkeit benötigen.
Im Rahmen des Teilprojekts A04 „Prozesse der Traditionsbildung bei Aristoteles“ des Sonderforschungsbereichs 980 „Episteme in Bewegung. Wissenstransfer von der Alten Welt bis in die Frühe Neuzeit“ wurden die Diagramme aus de interpretatione Handschriften von Domänenexpert*innen der Freien Universität Berlin qualitativ annotiert und dabei mit einer Transkription versehen (vgl. Krewet und Hegel 2020). Insbesondere stand bei der Annotation die Evaluation der Diagramme hinsichtlich ihrer Zuordnung zu Diagrammtypen im Vordergrund mit dem Ziel, auf dieser Basis stemmatologische Zusammenhänge zwischen den Handschriften zu erkennen und Überlieferungswege nachzuverfolgen. Daraus können auch allgemeinere Erkenntnisse über die Rezeption des Werks in Byzanz gewonnen werden. Diese Forschungsfragen können mit einer automatisierten Erkennung und Klassifizierung der Diagramme auf eine breitere Datenbasis gestellt werden.
Um einen Klassifikator für die Diagramme in den byzantinischen Handschriften von de interpretatione zu trainieren, ist in einem ersten Schritt eine geeignete Datengrundlage zu erschließen. Hierzu wurde ein Konverter programmiert, der die bereits vorhandenen Annotationen in IIIF konforme Daten umwandelt, die im Folgenden mit der IIIF Image API angesteuert werden können. Um eine erste Datengrundlage auf Basis der bereits vorhandenen Annotationen zur Auseinandersetzung mit der Forschungsfrage zu aufzutun, erscheint dieses Vorgehen vielversprechend. Dies gilt insbesondere, da es sich um manuell annotierte Daten handelt, die als Grundlage für einen Goldstandard angesehen werden können. Mit diesen Daten soll ein Klassifikator trainiert werden. Anbieten könnten sich hier beispielsweise Convolutional Neural Networks (CNN), welche insbesondere für Bilddaten geeignet scheinen (vgl. Krichen 2023, S. 3). Eine Entscheidung über einen geeigneten Workflow wird sich erst im Verlauf des Forschungsvorhabens ergeben. Jedoch wurden bereits weitere Annotationen vorgenommen, um den initialen Datensatz zu vergrößern und somit den Einsatz moderner Verfahren aus dem Bereich des Machine Learnings zu ermöglichen.
Die Schritte der Erkennung sowie der Kategorisierung zu automatisieren, würde in jedem Fall den Vorgang der Annotation wesentlich beschleunigen, die Auswertung von großen Datenmengen aus dem Korpus zulassen und damit weitere Forschung ermöglichen. Das Vorhaben ermöglicht neue Ansätze aus dem Bereich des Distant Viewings für die methodische Herangehensweise an die Forschungsfragen. Gerade durch die Verschränkung von quantitativen mit qualitativen Verfahren im Sinne eines Scalable Readings oder vielmehr eines Scalable Viewings ergeben sich an dieser Stelle Potenziale.
Bibliographie
- Aristoteles. 2014. De interpretatione. Herausgegeben von Hermann Weidemann. Berlin, Boston: De Gruyter.
- Bhattacharjee, Reetu. 2024. “Direct Reduction of Syllogisms with Byzantine Diagrams”. Publisher: Taylor & Francis, History and Philosophy of Logic 0, Nr. 0 (Mai): 1–22.
- “Coislin 157 (1), folio 175r”. o.Dat. Besucht am 23. Juli 2024. https://gallica.bnf.fr/ark:/12148/ btv1b52516591s/f355.item.
- Depner, Hanno. 2016. Zur Gestaltung von Philosophie: Eine diagrammatische Kritik. 1. Aufl. Edition Moderne Postmoderne. Bielefeld, Germany: transcript Verlag, Juli.
- Euler, Leonhard. 1768. Lettres a une princesse d’Allemagne sur divers sujets de physique & de philosophie. Saint Petersbourg: De l’Imprimerie de l’Academie impériale des sciences.
- Krewet, Michael und Philipp Hegel. 2020. “Diagramme in Bewegung. Scholien und Glosssen zu ‚de interpretatione‘”. In Bilddaten in den Digitalen Geisteswissenschaften, 16:199–216. Wiesbaden: Harrassowitz.
- Krewet, Michael und Philipp Hegel. 2022. „Didaktische Spuren: Beispiele der Verwendung von Diagrammen zu de interpretatione in byzantischen Handschriften“. In Wissen und Buchgestalt, 26:87-125. Episteme in Bewegung. Wiesbaden: Harrassowitz
- Krichen, Moez. 2023. “Convolutional neural networks: a survey”. Number: 151, Computers 12 (8).
- Venn, John. 1881. Symbolic logic. London: Macmillan.