Samstag, 8. September 1979
Mit Stadtrat Nittel und seinem Sekretär Schwarz wurde mit dem
Parteipräsidium der Landstrasse unser Verkehrsproblem stundenlang
durchbesprochen. Unser jüngster Bezirksrat, Woller, der gleichzeitig
jetzt auch Bildungssekretär in Wien ist, hat sich mit dieser Frage
sehr eingehend beschäftigt. Zum Unterschied von den bis jetzt vor-
liegenden Plänen, wo die Landstrasse auch als Durchzugsstrassen-
bezirk in Hinkunft genützt werden soll, wollen wir doch verkehrs-
arme Zonen schaffen. Nittel ist im Prinzip damit einverstanden, möchte
aber natürlich, dass alle Pläne und Vorschläge vorerst mit ihm ab-
gesprochen werden. Kleinigkeiten wird er sofort erledigen, die grosse
Konzeption sollen unsere Bezirksräte aber jetzt öffentlich präsen-
tieren, damit nicht die ÖVP, die jetzt in allen Bezirken sehr aktiv
wird, auch hier wieder bei uns auf der Landstrasse Oberwasser bekommen
könnte. Nittel, der sich in den letzten Monaten einen ungeheuer guten
Ruf erwirtschaftet hat, stellt sich allen Bürgerinitiativen, legt
grössten Wert darauf auf planmässige Ausführung und noch vielmehr auf
termingerechte Vollendung. Dies macht ihn mir nur mehr sympathischer
als er schon bisher war. Nittel ist ein ausgesprochen tüchtiger und
expeditiver Arbeiter. Dies ist aber bereits aus der SJ-Zeit bekannt.
Sein Vorgänger in der sozialistischen Jugend, Gratz, hat immer einen
leeren Schreibtisch und wer zu ihm kommt um irgend etwas zu bespre-
chen, wurde sofort ins Kaffeehaus eingeladen, wo man alle Probleme
leichter – wie Gratz immer meinte – besprechen kann. Nittel selbst
hat immer einen vollen Schreibtisch, fragt gleich um was handelt es
sich, erledigen wir jetzt sofort, für einen Tratsch hat er immer
wenig Zeit.
Bei der Messeeröffnung ist Sallinger als einziger ÖVP-ler natürlich
auch auf die Schillingaufwertung zu sprechen gekommen. Dadurch
musste ich insbesonders auf die Ausführungen besonders reagieren.
Obwohl ich von der Zweckmässigkeit dieser Aufwertung nicht sehr
überzeugt bin, denn sie richtet sich im Prinzip gegen meine Infla-
tionsprinzip, musste ich sie mehr oder minder vertreten. Kurzfristig
gesehen ist sie sicherlich richtig, langfristig wird sie dem Finanz-
minister kaum ermöglichen aus seiner Schuldenrückzahlungspolitik mit
heiler Haut herauszukommen.
Bei der Eröffnung der Landwirtschaftsmesse hat Präsident Bierbaum
dagegen sehr stark die ganze Agrarpolitik attackiert. Haiden ist
Gott sei Dank dann nicht auf sein Manuskript bestanden und hat so-
fort – und das sehr geschickt – gegen Bierbaum polemisiert.
Die Gewerbeausstellung der Handelskammer Wien ist sehr beeindruckend,
weil viele lebende Gewerbe dort demonstrieren was sie leisten können
und wie sie arbeiten. Demgegenüber ist der Arbeiterkammerpavillon
mit dem Berufsförderungsinstitut sehr abgefallen. Zum Glück wurde
aber auch dort demonstriert an Hand von lebenden Projekten, was BFI
leistet. Ähnlich verhält es sich auch mit den Handelskammerpavillon
der diesmal über Energienutzung sehr viel demonstrative Objekte
ausstellt. Das Ausstellungssystem der Kammern hat sich in den letzten
Jahren sehr geändert. Wie ich mir vorstellen, wie es vor meiner Zeit,
als ich Kammeramtsdirektor gewesen bin, wo nur Statistiken und leeres
theoretische Wissen vermittelt wurde, das niemand interessierte, so
kann man jetzt wirklich allgemein feststellen, dass jede Gruppe ent-
sprechende demonstrative Ausstellungen veranstaltet. Früher hat dies
ausschliesslich nur die Landwirtschaftskammer in ihrem Haus gemacht.
Der Rundfunk stellt im Messegelände entsprechende Live-Sendungen
her. Einer war fürs Fernsehen der Stammtisch unter Klaus Emmerich.
Dort hat sich zuerst Hintschig als der Hausherr sehr beschwert,
dass die Arbeiterkammer wegen der Preisauszeichnung die Wiener Messe
attackiert hat. Zum Glück hat mich Jagoda zeitgerecht informiert,
sodass ich auf dieses Problem auch, nachdem ich gefragt wurde, ein-
gehen konnte. Hätte ich diese Information nicht besessen, wäre ich,
wie man so schön sagt, schön im Eck gewesen. Der Vermittlungsvor-
schlag von Jagoda, Preisauszeichnung nur für die unmittelbaren Konsum-
artikel, die man sofort verzehrt oder mitnehmen kann, halte ich
übrigens für richtig. Sicher muss aber jetzt eine gesetzlich einwand-
freie Lösung angestrebt werden. Dies gilt aber nicht nur für die
Wiener Messe, sondern gilt ganz allgemein. Es wird meiner Meinung nach
dringendst notwendig festzustellen sein, festzustellen, wer was in
Hinkunft auf einer Messe tun darf.
ANMERKUNG FÜR BURIAN: Bitte Jagoda soll entsprechende Vorschläge aus-
arbeiten.
Beim Stammtisch konnte , an dem dann Prof. Seidel, Wirtschaftsforschungs-
institut, Wolfsberger, Siemens, Schmidt, Gewerkschaftsbund, und
Dr. Klose, Handelskammer, teilnahm, hat sich dann mit den Preis-
und Lohnfragen sowie der Wirtschaftspolitik im allgemeinen be-
schäftigt. Da ich ja als Handelsminister dort kaum aggressiv auf-
treten kann, habe ich mich ganz bewusst zurückhaltend, sozusagen,
ministeriell verhalten. Schmidt dagegen hat sehr geschickt polemi-
siert und was mich sehr gefreut hat, die Sendung sehr beherrscht.
Klose hatte die einzige Möglichkeit sich nachher bei ihm, in aller
Freundschaft allerdings, zu beschweren, dass Schmidt wieder einmal
die Sendung an sich gerissen hat. Dies ist bei einer Live-Sendung
auch deshalb leicht möglich, denn was sollen die anderen Teil-
nehmer machen, wenn der Betreffende längere Ausführungen macht
der Diskussionsleiter sich nicht einmischt und die anderen Dis-
kussionsteilnehmer, schon allein um die Disziplin zu wahren ihm
nicht ständig unterbrechen. Da die Sendezeit 14.00 Uhr äusserst
ungünstig war, war die Zuseherzahl aber sicherlich sowieso minimal.
Nachmittag hat dann noch der Rundfunk die 250. Konsumentensendung
auf Band aufgenommen. Dies haben sie auch dieses Mal vom Messegelände
getan, um einen gewissen Werbeeffekt dort bei den Zuschauern zu haben
Ich selbst sollte dort interviewt werden, was ich eigentlich von
dieser Konsumentensendung halte. Frau Gips aber hat genau das Gegen-
teil gemacht, sie fragte mich, was alles das Handelsministerium mit
dem Konsumentenbeirat getan hat und noch beabsichtigt. Mit Ach und
Krach konnte ich in diesem Paar-Minuten-Interview meinen Dank der
Sendung dann unterbringen, denn die 250 Konsumentensendungen haben
dazu beigetragen, dass ein informierter Konsument in Österreich
geschaffen wird. Wie ich besonders herausstreiche braucht dies nicht
nur die Konsumentenvertretung, sondern auch die Produktion.
Kardinal König gibt immer vor jedem Gewerkschaftskongress – ich
glaube das ist jetzt das dritte oder vierte Mal - einen Empfang für
den Bundesvorstand und für die christliche Fraktion. Bei dieser Ge-
legenheit konnte ich wieder feststellen, wie sehr König eigentlich
wirklich der Gewerkschaftsbewegung zugetan ist und aufgeschlossen.
Im Erzbischöflichen Palais sieht man noch immer das sehr schöne
Christusbild, welches 1938 damals von den HJ-Leuten beim Sturm auf
das Palais zerstört wurde. Mit Recht bleibt es so hängen, damit es
jedermann an diese furchtbare Zeit erinnert. Die christlichen Ge-
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werkschafter unserer Lebensmittelarbeitergewerkschaft waren je nur
2 vorhanden, haben mir neuerdings vor den anderen versichert, dass
sie mit der jetzigen Zeit sehr einverstanden sind, was übrigens
auch für den grössten Teil der christlichen Gewerkschaftsfraktion
im allgemeinen gilt, dass niemand mehr einen gespaltenen Gewerk-
schaftsbund fraktionell oder konfessionell haben möchte. Die Empfänge
von König und insbesondere sein Wirken wahrscheinlich hinter den
Kulissen trägt dazu wesentlich bei.
Tagesprogramm, 8.9.1979
hs. Notizen (Tagesprogramm Rückseite)