Mittwoch, 18. Juni 1980
In der Beiratssitzung bei der Bürges wurde von den Geschäftsführern
berichtet, daß in allen Aktionen weitere Steigerungen zu verzeich-
nen sind. Am meisten wurden bei den Existenzneugründungen Steige-
rungsraten über 300 % festgestellt. Die durchschnittliche Prämie
ist von 440.000.–– auf 600.000.–– S gegenüber dem Vorjahr ange-
stiegen. Überrascht war ich, daß bei den einzelnen Aktionen die
Ablehnungsquote sehr stark gestiegen ist. Dies wurde auf meine
Frage dahingehend geklärt, daß von den Banken unzulänglich ausge-
füllte Anträge, diese größtenteils ohne Beilagen, eingereicht werden.
Die Bürges schreibt den Kreditnehmer an und verlangt entsprechende
Ergänzungen. Bis zu 80 % kommen dann die richtig ausgefüllten
Formulare. In diesem Fall kann dann entsprechend positiv entschie-
den werden. Geschäftsführer Hönlinger beschwerte sich über die
Banken wegen der unqualifizierten Angriffe. Die Länderbank hat
ein Plakat, wenn man schnell Geld braucht, dann sofort zu ihr zu
kommen, bei subventionierten Krediten dauert es lang. Die Bürges
ist zwar nicht namentlich genannt, aber jedermann weiß, daß es
sich in dem Fall um unsere Aktion handelt. Die Creditanstalt wieder
behauptet, bis 360.000,–– soll man sich an sie wenden, dort geht
es schnell und ohne Stützung. Ich erklärte mich sofort bereit, ge-
gen diese unfaire Propaganda ein entsprechendes Schreiben an die
beiden Institute zu richten.
ANMERKUNG FÜR BURIAN: Mit dem Brief bitte Jagoda befassen.
Im Klub hat Sinowatz über Schulgesetze, Haiden über die Marktord-
nungen und ich über die anderen Wirtschaftsgesetze berichten müssen.
Ich unterstrich selbstverständlich, daß unsere Funktion im Handels-
ausschuß ausschließlich darin besteht, Haiden in seiner schweren
Auseinandersetzung mit der Landwirtschaft zu unterstützen. Obwohl
sich in der Diskussion weder bei ihm noch bei mir jemand zu Wort
meldete, hat mir dann NR Pfeifer, der Agrarsprecher unseres Klubs,
versichert, daß diese Taktik ihnen sehr viel hilft. Mühlbacher
wieder meinte, dies spielen wir ja jetzt auch schon 10 Jahre mit
mehr oder minder gutem Erfolg, und er ist vom Standpunkt des Freien
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Wirtschaftsverbandes auch mit dieser Taktik sehr einverstanden.
Mühlbacher berichtet dann auch über die Klubkasse. Einnahmen von
19 Mrd. stehen Ausgaben von 23,4 Mrd. gegenüber. Der Klub wäre also
im wahrsten Sinne des Wortes pleite. Die wichtigsten Posten sind
6 Mio. S Personal, 2 Mio. S Veranstaltungen und 680.000.–– für Reisen.
Die große Post aber ist 13 Mio. S für den Wahlfonds, der die Passiv-
gebarung erklärt.
Kreisky hielt dann im Klub die Gedenkrede für Waldbrunner. Da man
ja bei allen diesen Anlässen meist nur das Positive herausstreicht,
ist es selbstverständlich, daß sie, wenn man erst ein paar Interna
kennt, anders ausfiel, als die Wirklichkeit war. Waldbrunner hatte
sich aus der Regierung grollend zurückgezogen oder wurde besser
gesagt nicht mehr aufgestellt, als Schärf als seinen Nachfolger
Pittermann und nicht Waldbrunner vorschlug. Als Pittermann dann ge-
stürzt werden sollte, war die erklärte Absicht von der damaligen Ge-
werkschaftsbundführung Waldbrunner an seine Stelle zu setzen.
Waldbrunner ist damals aber schwer erkrankt, er hatte zeitweise
blackouts, was natürlich zu diesem Zeitpunkt niemand wußte, und hat
deshalb auf diese Berufung verzichtet. Er und dann insbesonders
dann Benya wollte damals den Genossen Hans Czettel zum Obmann wählen.
Die Begründung war, man soll gleich sozusagen die nächste Gene-
ration heranziehen, nur damit Kreisky nicht zum Zuge kommt. All
das kann man natürlich bei einer Gedenkfeier nicht sagen, ist mir
aber so richtig in den Sinn gekommen und ich habe dem neben mir
sitzenden Heindl erzählt, damit wenn dies auch nirgends geschrieben
wird, vielleicht doch in der mündlichen Überlieferung sicherlich,
von mir teils subjektiv betrachtet, ein kleiner Beitrag zum wahren
Geschichtsablauf festgehalten wird. Der Abgeordnete a.D. Mark, der
übrigens zu meiner größten Überraschung bereits 80 Jahre ist, hat
mir, als ich ihm zu seiner Wirkungsstätte, dem Volksbildungswerk,
mit dem Auto führte, gesagt, Waldbrunner, der stets als gefühlsloser
trockener Machtmensch-Manager-Bürokrat galt, hat insbes. zu Gra-
tulationsgelegenheiten die herzlichsten Briefe an den Betroffenen
geschrieben. Dies kann ich nur bestätigen.
Offiziell wurde in der Säulenhalle dann von Benya sozusagen vor
dem versammeltem National und Bundesrat in Anwesenheit der Familie
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die Trauerrede gehalten. Benya war sehr gerührt, sprach sehr
leise, die Verstärkeranlage war nicht richtig eingestellt und man
verstand daher kein Wort. Ich kann mir diese Trauerrede aber sehr
gut denken, denn zwischen Benya und Waldbrunner bestand, wie Heinzi
Kienzl immer sagte, das selbe Verhältnis wie zwischen einem Werk-
meister und dem Oberingenieur. Benya hatte von Waldbrunner eine
ungeheuer positive Meinung und auch einen entsprechenden Respekt.
Mit diesen Bemerkungen über Waldbrunner möchte ich aber unter gar
keinen Umständen seine wirklich großen Leistungen vergessen oder
gar herabsetzen. Ganz im Gegenteil. Ich weiß heute mehr denn je
seinen Einsatz und seine harte Auseinandersetzung innerhalb der
Regierung zu schätzen. Des öfteren war Bundeskanzler Raab daran,
zu erklären, mit Waldbrunner kann man nicht zusammenarbeiten und
er wird beim Bundespräsidenten seine Abberufung verlangen. Da in
der Koalition ja letzten Endes immer Kompromisse erzielt werden
mußten, war sicherlich in der Regierung ein Mann wie Waldbrunner
dringendst notwendig, der mit seiner sturen Haltung, die, davon
bin ich überzeugt, andere Seite sture Haltung aufgewogen hat.
Im Plenum wurde dann über die Bestellung des neuen Rechnungshofprä-
sidenten Broesigke hart und lang diskutiert. Die ÖVP wollte bei
dieser Gelegenheit auch ihren Vizepräsidenten Marschall, der schon
über 70 ist, gegen den Abgeordneten Hauser austauschen. Die Klub-
leitung stimmte dem nicht zu, weshalb die ÖVP den Broesigke nicht
wählte. Das Abstimmungsergebnis war dann aber sehr interessant. Von
175 abgegebenen Stimmen waren 168 gültig. Von den 95 Abgeordneten
waren 93 Sozialisten anwesend. Von den 11 Freiheitlichen ist anzu-
nehmen, daß Broesigke nicht sich selbst gewählt hat, weshalb po-
sitiv 103 theoretisch herauskommen und tatsächlich auch für
Broesigke 103 gezählt wurden. Von den 77 Abgeordneten der ÖVP waren
74 gemeldet, 65 stimmten mit nein, weshalb anzunehmen ist, daß
eine Anzahl von ÖVP-Abgeordneten ungültige Stimmen abgegeben haben.
Dies sind natürlich alles nur Vermutungen, die aber sicherlich zu-
treffen. Broesigke war nämlich auch bei der ÖVP sehr beliebt und
die Redner, insbes. dann zum Schluß der Wirtschaftsklubvertreter
Präs. Graf hat fast eine Laudatio auf Broesigke gehalten. Etliche
ÖVP-Abgeordnete haben sich deshalb nicht an die Klubempfehlung
und an den Klubbeschluß gehalten.
Bei dem Aufruf zur Abstimmung ist den sozialistischen Abgeordneten
Haas bei meinem Namensaufruf ein kleines Malheur passiert, was all-
gemeine Heiterkeit auslöste und mir einen neuen Spitznamen einbrach-
te. Der Obmann des Handelsausschusses Staudinger, mit dem ich sehr
gut zusammenarbeite und unmittelbar nach mir und Haas hat deshalb
meinen Namen verballhornt und STAUDIBACHER gesagt. Neben SALLIBACHER,
Kombination aus Sallinger und Staribacher, nehme ich diese Kombi-
nation sehr gerne in meine Spitznamenliste auf.
ANMERKUNG FÜR BURIAN: Bitte eintragen.
Bei der Betriebsbesichtigung von Unilever in Atzgersdorf mit der
ungarischen Gewerkschaftsdelegation hatte ich Gelegenheit über die
Fettpläne mit dem dafür zuständigen Unilever-Direktor zu reden.
Dieser erklärte mir, die Unilever hätte bereits ähnlich der Stärke-
abgabe einen Entwurf vollkommen fertig ausgearbeitet, er hat dies-
bezüglich auch Gespräche mit NR Schmidt, ÖGB, schon geführt.
ANMERKUNG FÜR BURIAN: Die Nachfolgerin von Goldmann soll sich diese
Unterlagen beschaffen.
Die Besprechung mit den Agrarvertretern und Kreisky, Haiden, mir
und nur zeitweise anwesenden Finanzminister Androsch verlief wie
erwartet. Minkowitsch leitete ein und meinte, die Marktordnung
soll morgen im Plenum beschlossen werden und die Bauern erhoffen
und erwarten, ja fordern sogar, flankierende Maßnahmen. Aufgezählt
wurde von ihm Getreide, Ölsaaten, Gemüse, Obst, Stärkeförderung,
Wein, ernstlich gemeint hat er allerdings nur das Vieh. Dort sind
die Preise 3 Jahre unverändert und die Bauern erwarten, daß um
2 S der Erzeugerpreis erhöht wird. Zu diesem Zweck möchten sie,
daß zusätzliche 60 Mio. S für den Export von Vieh vom Bund bereit-
gestellt werden. In diesem Fall hoffen sie, daß durch die höhere
Exportstützung auch der inländische Abgabepreis auf den Märkten um
2 S erhöht werden kann. Theoretisch ist dies möglich, wenn die
Preisbänder von der Viehkommission um diesen Preis angehoben werden.
Praktisch aber läuft es, wie ich dann versuchte den Bauern ausein-
anderzusetzen, darauf hinaus, daß die Fleischhauer dann auch be-
reit sind, diese höheren Viehbänderpreise zu bezahlen. Bei einem
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größeren Angebot wird dies sicherlich nicht der Fall sein, es
sei denn, es wird noch stärker auf den Märkten interveniert, als
dies bis jetzt geschehen ist. Dann aber werden wieder wesentlich
größere Mittel von seiten des Landwirtschaftsministerium eingesetzt
werden müssen. Haiden erörterte, daß er im Budget außer die 300 Mio.
Abschöpfung, da er für die Export- und Marktintervention 700 Mio.
braucht, 400 aus dem Budget vom Finanzminister bereitgestellt braucht.
Er muß deshalb auch in einem weiteren BÜG 70 Mio. zu dem an und für
sich schon hohen Budgetansatz 1980 von 608 Mio. zusätzlich verlangen.
Dies ist den Bauern aber natürlich verhältnismäßig wurscht, sie
wollen nur eine unbedingte Lösung für ihre katastrophalen Vieh-
preise. Da der Milchpreis, wie sie sagen, jetzt einigermaßen be-
friedigt geregelt ist, streben sie ein Verhältnis 1 zu 7 zwischen
Milch und Vieh an. Natürlich sind sie froh, wenn sie 1 zu 6 errei-
chen würden. Selbst in der ÖVP-Alleinregierungszeit unter Land-
wirtschaftsminister Schleinzer wurde dieses Verhältnis nie erreicht.
ANMERKUNG FÜR BURIAN: Jour Fixe AK und HK setzen.
Kreisky hat in dieser Sitzung dann auch über seine Intervention
in der EG berichtet und meinte, nach x-maligen Interventionen von
Haiden und jetzt auch Staribacher könne er nur sagen, daß die EG
sich sehr ängstlich verhält, weil sie befürchtet, eine Lawine los-
zutreten. Mit Großbritannien werden im Herbst wieder Verhandlungen
wegen der Agrarpreise und Leistungen der EG zu den Agrarsubventio-
nen, die ja fast 200 Mrd. schon betragen, neu aufnehmen. Kreisky
meinte, die Weinregelung wird bald erfolgen. Damit könnte dann
hochgrädiger Wein und auch Qualitätswein zusätzlich in die EG ge-
liefert werden.
Überraschend für mich war, daß Androsch zuerst Gespräche mit
Sallinger führte und spät zur Sitzung kam, dort sich nur ein paar
Minuten aufhielt und dann sofort wieder telefonieren ging, ein
einziges Mal kurz das Wort nahm und nur bemerkte, die Subvention
wird immer größer, obwohl man ihm erklärt hat, mit der Bereinigung
beim letzten Mal sei das Agrarbudget jetzt stabilisiert und an-
sonsten demonstrativ sein Desinteresse an der Zusammenarbeit mit
Kreisky demonstrierte. Dies Ganze entzündete sich an der sogenannten
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Quellenbesteuerung für Spar- und Bankeinlagen. Kreisky will diese
6 Mrd. Einnahmen für den Bund erschließen, Androsch möchte dafür
lieber die Mehrwertsteuer für elektrischen Strom von 8 auf 18
erhöhen, Benya wird diesmal kaum vermitteln können. Der Vorsitzende
der gewerkschaftlichen Steuerkommission, Abg. Dallinger, hat sich
eindeutig für die Quellensteuer entschieden. Die Idee der Quellen-
besteuerung ist sogar von Benya, wie er mir sagte, vor der vorletzten
Regierungsklausur in Mallnitz aufgebracht worden, Androsch hat sie
ihm damals nur ausgeredet, diesmal dürfte es Androsch aber nicht
einmal bei Kreisky gelungen sein. An diesem Sachproblem spitzt
sich nun der persönliche Konflikt zwischen Kreisky und Androsch
immer mehr zu. Im Klub selbst sind die Meinungen sehr geteilt. Offen
wurde und wird nicht diskutiert, niemand kann daher feststellen,
wie die Mehrheitsverhältnisse in diesem Fall im Sachproblem liegen.
Dies ist aber, so wie oft schon, auch gar nicht im Detail interessant,
hier geht es, wie ich gestern bei der Sektionsleitersitzung auf
der Landstraße feststellen konnte, ohne daß die Genossen auch nur
Details wußten, aber gefühlsmäßig richtig tippten, eben um eine
persönliche Auseinandersetzung zwischen Kanzler und Vizekanzler.
Wie das enden wird, ich getraue mir in diesem Fall keine Prognose
zu machen. Eines steht für mich nur fest, die fast unerträglichen
persönlichen Aversionen müssen früher oder später zu einer Lösung
führen. Lösung im wahrsten Sinne des Wortes.
Tagesprogramm, 18.6.1980
hs. Notizen (Tagesprogramm Rückseite)