Sitzung der phil.-hist. Klasse am 25. Mai 1849
Seite 1
C. 45.
Kaiserliche Akademie der Wissenschaften.
Protokoll
der Sitzung der historisch-philologischen Classe
am 25. Mai 1849.
Anwesend: Der Herr Präsident Freiherr Hammer-Purgstall
Die wirklichen Mitglieder
Herr
Hr.
Grillparzer
Herr
"
Arneth
Herr
"
Chmel
Herr
"
Palacky
Herr
"
Auer
Herr
"
Bergmann
Herr
"
von
v.
Karajan
Herr
"
Pfizmaier
Herr
"
Diemer
Herr
"
Kudler
Herr
"
Exner
Der Secretär
Herr
"
Wolf
Als Gäste der Herr General-Secretär
von
v.
Ettingshausen
Da in der vorhergehenden
Ge-
sammtsitzung von 23
. Mai die
an-
dere Classe gegen die
Wahlvor-
schläge des auswärtigen Ehrenmit-
gliedes und der auswärtigen cor-
respondirenden Mitglieder
der
philosophischen-historischen Classe in
so ferne remonstrirt hatte, als
Seite 2
ihr durch den Vorschlag von gerade
so viel Namen als Plätzen eigentlich
keine Wahl gelassen und dadurch ihr
Wahlrecht formell beeinträchtigt
wurde, so wurden zur Verbesserung
dieses Formfehlers die
betreffen-
den Wahlvorschläge in dieser
Sitzung nochmals vorgenommen.
Bevor man jedoch dazu schritt,
sah sich
Herr
Hr.
Palacky veranlaßt,
die Mangelhaftigkeit des
bis-
herigen Wahl-Modus überhaupt
zur Sprache zu bringen und zur
Verbesserung desselben pro futuro
folgenden Vorschlag zu machen:
Jeder Wahlvorschlag muß, etwa
einen Monat vor
Vornahme der
definitiven Wahlen, schriftlich
ein-
gegeben werden, von wenigstens zwei
wirklichen Mitgliedern
unter-
schrieben unter Angabe der Mo-
tive; diese Vorschläge sollen als
Urkunden hinterlegt bleiben
und dem von der Classe zu
er-
nennenden Wahl-Comité als
Basis dienen, so zwar, daß dieses
als Comité
keine neuen
Vor-
schläge machen und nur die also
eingegangenen discutiren und nach
dem Bedürfniß der Akademie
ad-
justiren könne. Dieses Gutachten
des Comité wird nochmals der Classe
vorgelegt, und nachdem darüber
Seite 3
von ihr abgestimmt worden, werden
endlich die darnach gebildeten
Candidaten-
listen in der definitiven
Wahl-
sitzung der Gesammtakademie unter
Vorlesung der Motive
zur
Abstim-
mung mitgetheilt. Dabei bleibt es
jedoch den
Mitgliedern, deren also
eingegebene Vorschläge
unberück-
sichtiget geblieben, unbenommen,
diese als Separat-Vota nochmals
vor die Gesammtakademie zu
brin-
gen.
Dieser Vorschlag des
Herrn
Hrn.
Palacky
stimmten mit Ausnahme des
Herrn
Hrn.
Arneth
Alle
bei, und es wurde
daher beschlossen ihn als Antrag
in der nächsten Gesammtsitzung
vor die Akademie zu bringen.
Man schritt hierauf zur
noch-
maligen Vornahme der mangelhaften
Wahlvorschläge, und zwar
1o zu der Eines auswärtigen Ehren-
mitgliedes. Nachdem durch
Stimmen-
mehrheit entschieden wurde, daß
hie-
bei nicht, wie früher beschlossen, nur
die neugebildete philosophisch-staats-
wissenschaftliche Section
berück-
sichtigt werden solle, sondern diese
Wahl in allen
Fächern der Classe
frei stehe, und nachdem
insbeson-
dere HerrHr.
Exner die Unzweck-
mäßigkeit nachzuweisen gesucht,
hiezu nochmals Schelling in Vorschlag
Seite 4
zu bringen, wurden dazu candidirt.
Rau mit 13
Stimmen
Walckenaer
mit
"
9
Stimmen
"
Heinrich
Heinr.
Ritter
mit
"
6
Stimmen
"
2o Zu 7
auswärtigen correspon-
direnden Mitgliedern
wurden
vor-
geschlagen:
Heinrich
Heinr.
Ritter mit 13
Stimmen
Kerckhove
mit
"
10
Stimmen
"
Gerhard
mit
"
9
Stimmen
"
Brandis
mit
"
9
Stimmen
"
Fuchs
mit
"
6
Stimmen
"
Kopp
mit
"
5
Stimmen
"
Gachard
mit
"
5
Stimmen
"
Trendelenburg
mit
"
5
Stimmen
"
Koch-Sternfeld
mit
"
5
Stimmen
"
Reden
mit
"
4
Stimmen
"
Fleischer
mit
"
3
Stimmen
"
Köhne
mit
"
3
Stimmen
"
Reiffenberg
"
3
Stimmen
"
Hierauf stellt
Herr
Hr.
Palacky
folgenden Antrag:
Unsere Akademie muß sich
erst einen Namen machen durch
eine bedeutende Leistung; die
bisherigen der historische-philologi-
schen Classe – so schätzbar sie sind –
haben einen mehr provinziellen
Character; man solle aber etwas
unternehmen, was die
Aufmerk-
samkeit der ganzen gelehrten
Welt auf uns lenke; wir sollen
Seite 5
uns zu einem Werke von mehr als
europäischer Bedeutung entschließen.
Als ein solches erscheine ihm die
Herausgabe der Acta Conciliorum
saeculi XVi.
Es ist bekannt daß die Acten
der Concilien unter die wichtigsten
historischen Quellen gehören; sie
finden sich aber meist nur in
gro-
ßen und seltenen Sammlungen,
zudem häufig unvollständig oder
gar verstümmelt; dieses gelte
namentlich von denen des 15. Jahr-
hunderts und doch haben gerade diese
einen höheren Character an sich,
als die anderen, so war
zum Beispiel
zB.
das
Constanzer-Concil zugleich ein
Congreß, hier erschienen die
ersten Bemühungen nicht bloß
kirchliche sondern auch staatliche
Reformen in größerem
Maß-
stabe einzuführen; diese Concilien
(nämlich außer dem Constanzer, die
von Pisa, Siena, Basel
und
u.
Ferrara)
sind daher auch für die analogen
Bestrebungen der Gegenwart,
für die jetzige Richtung des
Welt-
geistes, für das praktische Leben
selbst von hoher Bedeutung:
An neuem, noch nicht benutztem
Material dazu, fehlt es auch nicht,
ja es finde sich solches gerade hier
in loco von der größten Wichtigkeit,
Seite 6
wie in der
kaiserlich-königlichen
kk.
Hofbibliothek eine große
Masse von sehr wichtigen ganz
unbe-
kannten Quellen für das Basler-
Concil. Auch reichen die
wissenschaft-
lichen Kräfte der Akademie für diese
Unternehmung aus, und endlich wäre
der pecuniäre Aufwand dafür nicht
allzugroß, da bei der zu hoffenden
un-
entgeltliche Drucklegung nur
haupt-
sächlich für Copien, Redigiren und
Reisen nach Italien, Deutschland,
Frankreich und Spanien ein
grö-
ßerer Kostenaufwand erforderlich
wäre. Er präcisire daher seinen
Antrag dahin, entweder 1o die Acten
aller Concilien des 15. Jahrhunderts;
oder 2o doch zunächst die des
Basler
Concils herauszugeben, die etwa
nur 6-8
Foliobande füllen würden
und eine Arbeit von ungefähr
ebensovielen Jahren erfordern
dürften. Von allem aber ernenne
man eine Commission.
Herr
Hr.
Chmel
stimmt zwar mit
Freuden diesem Antrage bei; wolle
aber diese Gelegenheit benützen, um
ein nicht minder wichtiges,
allge-
mein interessantes und doch
zu-
nächst die österreichische Geschichte
in noch höherem Maße
betreffen-
des, die Akademie daher eben so
ehrendes Unternehmen
vorzuschla-
gen dessen Realisirung er sich
Seite 7
längst als Lebensaufgabe gesetzt und
da-
her dafür viel mehr vorbereitet sei;
nämlich
100 Jahre, 1476-1576 der Ge-
schichte des Hauses Habsburg durch eine
großartige Sammlung von Quellen-
schriften, Acten, Briefen,
und so weiter
u. s. w. zu
beleuchten. Auch eine solche
Samm-
lung sey von europäischem
Inter-
esse, werde des Wichtigen und
Unbe-
kannten die Hülle und Fülle
ent-
halten, ja die ganze Geschichte
Euro-
pa's in diesem Zeitraume in ein
neues Licht stellen; auch dieser
Zeit-
raum sey an und für sich höchst
interessant und durch seine
Analo-
gien mit der Gegenwart auch für
diese von praktischem Erfolge; und
in jeder Hinsicht durch die
Akade-
mie diese Unternehmung
reali-
sirbar. Auch hiefür
bieten schon
hiesige Institute, die Hofbibliothek,
das Haus- und Staatsarchiv, eine
Masse des wichtigsten ganz
unbe-
kannten Materials, und dieses
werde durch Benützung der
Ar-
chive von Brüssel, Paris, Venedig,
Simanca's
und so weiter
u. s. w.
sich noch ansehnlich
vermehren lassen. Doch sey, um
eine Übersicht zu gewinnen, vor
allen eine wissenschaftlichen
Berei-
sung der bedeutendsten mit
syste-
matischen Catalogen versehenen
Bibliotheken Deutschlands dazu uner-
Seite 8
läßlich. Er stelle daher vorerst
den Antrag, im Falle die Akademie
auch auf diesen Vorschlag eingehe,
ihm
zu einer solchen Reise sogleich
einen halbjährigen Urlaub
von
dem Minister des Äußeren
er-
wirken und zur Bestreitung –
nicht der Reiseauslagen die er
übernehme – sondern nur der
Copirkosten und
dergleichen
drgl.
einen Bei-
trag bestimmen zu wollen.
Der HerrHr.
Präsident
erklärt
sich mit beiden Vorschlägen
einver-
standen; behält sich aber vor, in
der Gesammtsitzung als drittes,
aber die ganze
Akademie
betref-
fendes Unternehmen der Art
eine Herausgabe der
ungedruck-
ten Werke Kaisers Maximilian I.
vorzuschlagen, um durch
Dedica-
tion derselben an
Seine
Se
Majestät
den jetzt regierenden Kaiser, ein
des erlauchten Hauses
Seiner
Sr
Maje-
stät
und der Akademie gleich
würdiges Denkmal zu setzen.
Auch die Classe, von der
Wichtigkeit und
Zweckmäßig-
keit der beiden Vorschläge der
Herren
Hrn.
Palacky und Chmel
gleich
durchdrungen, beschließt ein-
stimmig
die Unternehmung
derselben bei der
Gesammtaka-
demie zu beantragen und zwar
Seite 9
in der Weise, daß der Herr
Präsident ersucht werde,
Herrn
Hrn.
Chmel
den erbetenen Urlaub
sogleich auszuwirken, für jedes
dieser beiden Unternehmen
jähr-
lich eine Summe von 1000
Guldenfl.
Conventionsmünze
CM.
als Unterstützungsbeitrag
be-
willigt werde, und HerrHr.
Chmel
beauftragt werde, nicht nur für
seinen Antrag die Leitung und
Vorbereitung der Ausführung
zu übernehmen, sondern auch für
den des
Herrn
Hrn.
Palacky, unter dessen
Mitberathung und Theilnahme und
vorzüglich mit Zuziehung des
Herrn
Hrn.
Scriptors
Birk, der namentlich
für das Basler
Concil schon
bedeutende Vorarbeiten
ge-
macht, möglich thätig zu seyn.
Noch bittet
Herr
Hr.
Chmel
ihm
bei der Redaction des "Archiv's"
der historischen Commission die
Aufnahme eines Correctors
zu bewilligen, da seine Zeit
zu sehr in Anspruch genommen
sey und schlägt dafür
Herrn
Hrn.
Firnhaber vor, und ein Honorar
von
2
Guldenfl.
Conventionsmünze
CM. für den Druckbogen.
Die Classe bewilligt dieses Gesuch
und ersucht den
Herrn
Hrn.
General-Secre-
tär, die Auszahlung des Honorar's
für den Corrector aus der für das
Archiv bestimmte Summe
Seite 10
erfolgen zu lassen.
DvHammer-Purgstall
FerdWolf
Seite 11
Von der philosophisch-historischen Classe in der Sitzung vom 25. Mai 1849
zu
ausländischen correspondirenden Mitgliedern vorgeschlagen:
(Die in Klammern beigefügte Nummer bezeichnet die Stimmenzahl.)
Heinrich
H.
Ritter (13)
Kerckhove (10)
Gerhard (9)
Brandis (9)
Fuchs (6)
Kopp (5)
Gachard (5)
Trendelenburg (5)
Koch-Sternfeld (5)
Reden (6)
Fleischer (3)
Köhne (3)
Reiffenberg (3)