Digitale Erschließung der Rechnungsbücher des Klosters Aldersbach Sozial- und wirtschaftshistorische Analyse eines prototypischen Großbetriebs mit digitalen Methoden
https://zenodo.org/records/10698342
Mittelalterliche und frühneuzeitliche Klosterrechnungen erlauben sehr vielfältige Einblicke, in den Alltag der Mönche ebenso wie in die sogenannte „große“ Geschichte. Und nicht zuletzt werden in diesen Quellen natürlich auch die wirtschaftlichen Angelegenheiten eines Klosters umfänglich dokumentiert. Die Aussagekraft und der Quellenwert dieser Texte sind somit sehr hoch anzusetzen. Rechnungsbücher erlauben vielfach Einblicke, die sonst verwehrt blieben. Oft wurden nämlich - unabsichtlich und daher zumeist umso wertvoller - Ereignisse und Vorkommnisse dokumentiert, die sonst in der übrigen schriftlichen Überlieferung fehlen. Aldersbach kann dabei als idealtypisches Beispiel für ein bayerisches Zisterzienserkloster während des 15. und 16. Jahrhunderts gelten. Zwar ist die Geschichte dieses Klosters selbst vergleichsweise schlecht erforscht, die gute Überlieferung gerade der Rechnungen im 15. Jahrhundert selbst sowie die Tatsache, dass Aldersbach eine vergleichsweise durchschnittliche religiöse Gemeinschaft war, die es in vergleichbarer Größe hundertfach in ganz Europa gab, lassen das niederbayerische Zisterzienserkloster als geradezu prototypisch erscheinen.
Die reichhaltige Erhaltung der Rechnungsbuchaufzeichnungen des Klosters, zusammen mit der Tatsache, dass Aldersbach in dieser Periode eine durchschnittlich große religiöse Gemeinschaft mit etwa 50 Angestellten war (ähnlich große Gemeinschaften waren in ganz Europa verbreitet), macht dieses niederbayerische Kloster zu einem veritablen Prototyp. Der Einsatz der automatisierten Layout- und Handschriftenerkennung zur Entzifferung der schwer lesbaren lateinischen und deutschen Rechnungsbücher und die automatisierte Datenverarbeitung durch die DH für eine auf dieser basierenden wirtschafts- und sozialhistorischen Klassifizierung kann in dieser Kombination als sehr effizient und innovativ angesehen werden.
Mittelalterliche Rechnungen sind eine Quelle, deren Edition sowohl paläographische und philologische Präzision als auch hoch strukturierte Datenrepräsentation in mindestens tabellarischer Form benötigt: Ohne „close reading“ der Quelle, um ihre Bearbeitungen zu dokumentieren (Streichungen und Einfügungen) kann die tabellarische Darstellung der Buchungen nicht verlässlich sein. Die unterschiedlichen Fragestellungen, die an die Quelle gestellt werden können, fordern zusätzlich, dass die Angaben in den Rechnungen leicht gefiltert und aggregiert werden können. Einfache Lösungen für diese Aufgabe sind digitale Editionen mit Standard-Tabellenkalkulationen. Die Forschungen in den DH haben jedoch gezeigt, dass die aus der digitalen Editorik geläufigen Verfahren einer Kodierung in XML/TEI die paläographischen und philologischen Befunde besser abbilden können und dass die strukturierten Daten flexibler in einem Datenbankmanagementsystem zugänglich gemacht werden. Das Projekt wird deshalb automatisch Transkriptionen mit Hilfe der Hand-Written-Text-Recognition-Software Transkribus erzeugen und dann manuell überprüfen. Sie werden aus Transkribus im Format XML/TEI exportiert. Mit Hilfe von lokalen Regelwerken (insbesondere regulären Ausdrücken) und für das Projekt spezifisch zu trainierenden automatischen Verfahren (konkret mit Hilfe von Spacy) werden die Daten so annotiert, so dass die XML/TEI-Daten in eine den Standards des W3C Web of Data entsprechenden Datenbank überführt werden können. Das Projekt wird dabei die im DEPCHA-Projekt (https://gams.uni-graz.at/depcha) entwickelten Verfahren einsetzen, das an einer größeren Zahl von Rechnungen getestet wird, und auf die Vorarbeiten Georg Vogelers (https://gams.uni-graz.at/context:rem) zur digitalen Edition von mittelalterlichen Rechnungen aufbauen. Eine Forschungsaufgabe ist jedoch die Entwicklung von Regelwerken und Modellen zur automatischen Annotation der Buchungen, in denen die Kerninformationen einer Transaktion identifiziert werden müssen (das „Wer was wann/wo im Gegenzug für was“) und möglichst viele der Begrifflichkeit auf Taxonomien der für die sozial- und wirtschaftshistorische Auswertung wichtigen Kategorien abbilden sollte. Diese Kategorien können dann in einem kontrollierten Vokabular nach den Standards des W3C als Simple Knowledge Organisation System (SKOS) abgebildet werden.
Ziel einer geplanten fachwissenschaftlichen Dissertation mit dem Arbeitstitel „Leben und Arbeiten im spätmittelalterlichen Kloster. Eine Wirtschafts- und Sozialgeschichte des Klosters Aldersbach 1449-1567“ ist es, erstens die wirtschaftlichen Grundlagen des Klosters im Zeitablauf herauszuarbeiten. Dabei werden u.a. die Fragen im Vordergrund stehen, ob (und ggf. warum) die Klosterökonomie einem Strukturwandel unterlag und insbesondere, ob sich die Veränderungen des interkontinentalen Fernhandels bereits niederschlugen (neue Waren, „Preisrevolution“). Zweitens soll die Sozialstruktur der immerhin etwa 50 Beschäftigten herausgearbeitet werden. Idealerweise wird es auch möglich sein, Realeinkommen für bestimmte Berufsgruppen zu ermitteln und damit einen Beitrag zur seit gut zwanzig Jahren boomenden internationalen Forschung zum Lebensstandard in der Vormoderne beizusteuern. Grundlagen für die wirtschafts- und sozialhistorische Analysen sind die Rechnungsbücher des Klosters, die bis 1512 fast vollständig (auf Latein) und dann noch einmal von 1552 bis 1567 (auf Deutsch) vorliegen. Sie sollen digitalisiert, und, automatisch transkribiert und dann mit Hilfe neuer DH-Verfahren ebenfalls semiautomatisch analysiert werden.
Beteiligte:
PD Dr. Robert Klugseder, ÖAW-ACDH-CH Wien, Projektleiter, Transkribus Ambassador und Spezialist für die Aldersbacher Klostergeschichte.
Univ.-Prof. Dr. Georg Vogeler, Zentrum für Informationsmodellierung der Universität Graz. Historiker und Spezialist für Digital Humanities im Allgemeinen und im Besonderen für die digitale Edition von historischen Rechnungen.
Prof. Dr. Mark Spoerer, Institut für Geschichte der Universität Regensburg, Lehrstuhlinhaber Wirtschafts- und Sozialgeschichte.