Kleine Formate, große Chancen: Pragmatische Fördermodelle als Katalysator für die DH in NFDI4Memory und HERMES

Buyken, Constanze; Garzón Rodríguez, Judit; Cremer, Fabian
https://zenodo.org/records/14943268
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Bedingungen und Herausforderungen

Der doppelte Anspruch an die Digital Humanities sowohl Innovation als auch Legitimation zu erreichen erzeugt im Wissenschaftssystem ein Spannungsverhältnis. Einerseits sollen neue Publikations- und Kommunikationsformate entwickelt werden, anderseits erfordern Anerkennung und Besetzungsverfahren in den Fächern das Bedienen etablierter Formate. Openness, die Offenheit von Daten, Ressourcen und Ergebnissen, bilden eine der Grundlagen der DH (Borgman 2009) – doch Open Science, FAIR Data und Transferaktivitäten erfordern Ressourcen und Arbeitseinsatz, die oft ohne Wert für die individuellen akademischen Karrierewege bleiben. Im Rahmen traditioneller Fördermechanismen, das zeigen auch die Fälle der hier vorgestellten Angebote, werden diese Aktivitäten nur in Ausnahmefällen umgesetzt. Zwar bieten große Verbundprojekte und DH-spezifische Förderlinien oft zusätzliche Ressourcen, aber diese reichen nicht in die Breite der Geisteswissenschaften (und der zukünftigen DH). Selbst wenn es Förderinstutionen, Antragstellenden und Gutachtenden gelingt, Ressourcen zu ermöglichen, fehlt es jenseits von einigen engagierten Einrichtungen an flächendeckenden Unterstützungsangeboten.

Lücken und Ideen

Um dieser Herausforderung zu begegnen und die konkrete Umsetzung von Openness zu ermöglichen, werden in größeren drittmittelgeförderten Infrastrukturverbünden Fördermechanismen mit „kleinen Fördersummen“ jenseits der klassischen Akteure und Formate erprobt und begleitet. Anhand der 4Memory FAIR-Data-Fellowships und des HERMES-Forschungsstudienprogramms stellt dieser Beitrag die zugrundeliegenden Konzepte und Bedingungen der Förderung dar, präsentiert die realisierten Ergebnisse der Projekte und diskutiert Erkenntnisse sowie potentielle Auswirkungen auf die Förderstrategie einer Forschungseinrichtung.1  Kleine Förderungen in den DH wie „Small Grants“ und „Seed Funding“ zielen vor allem auf Initiierungsphasen, Vernetzungsformen und Kapazitätsaufbau (Rosenblum und Dwyer 2016). Dabei werden vor allem innerinstitutionelle Förderflüsse etabliert. Die hier vorgestellten Formate zielen indes nach außen in die Community und setzen auf das andere Ende des Forschungszyklus: den Abschluss und die Aufbereitung von Erkenntnissen als offene Ressourcen. Im Vordergrund stehen dabei die Überwindung struktureller Barrieren, etwa bei der Datenpublikation (Kaden 2018) und die Schaffung von Anreizen für Vorhaben, die systemisch wenig Beachtung finden. Die Förderung von Veröffentlichungen am Projektende soll die „Startup-Logik“ mancher Förderformate in den DH (Roh 2019) um einen erfüllbaren Nachhaltigkeitsanspruch ergänzen.

Konzepte und Prozesse

Die öffentlich ausgeschriebenen FAIR-Data-Fellowships bieten gezielte Unterstützung für die Publikation und Nachnutzung von Forschungsdaten, die in abgeschlossenen oder vor dem Abschluss stehenden Projekten (Verbundprojekte, Qualifikationsarbeiten) entstanden sind, deren Veröffentlichung nicht eingeplant wurde. Die Fellows arbeiten im Rahmen eines einmonatigen, mit 1.500 € geförderten Stipendiums selbstständig und remote an ihren Datensets. Sie werden dabei von Expert:innen im Forschungsdatenmanagement der durchführenden Institutionen begleitet und beraten.2  Mit einer Bandbreite von Projekten zu Virtual-Reality-Apps im Gedenkstättenkontext hin zu Daten über nicht-europäische Menschen in Hamburg im 18./19. Jahrhundert wurden 2024 elf Vorhaben gefördert.3 

Das HERMES-Forschungsstudienprogramm am Leibniz-Institut für Europäische Geschichte zielt darauf ab, Forschende in verschiedenen Karrierestufen zu fördern, die mit eigenen Datensätzen innovative Ansätze zur Datenanalyse und -vermittlung anwenden wollen (Garzón Rodríguez 2024). In der ersten Runde des Programms wurden vier Projekte zu transatlantischen Reiseberichten, Mehrsprachigkeit in der Literaturgeschichte, filmischen Sammlungen und städtische Geschichte und Erinnerungskultur gefördert. Die Bereitstellung finanzieller Unterstützung in Form von Forschungsverträgen in Höhe von bis zu 3.500€ ermöglicht den Forschenden eine neue Datenkultur umzusetzen und mitzugestalten.4 

Erkenntnisse und Gewinne

Nach den ersten Erfahrungen in der Annahme und Umsetzung der Formate zeigt sich, dass kleine, gezielte Förderungen für spezifische Aufgaben äußerst effektiv sein können und als Chance von der Community wahrgenommen werden. Im Rahmen der FAIR Data Fellowships konnten eine Reihe von Datensätzen aus Dissertations- und Drittmittelprojekten veröffentlicht werden, die sonst nicht als aufbereitete eigenständige Daten veröffentlicht worden wären. Die HERMES-Forschungsstudien ermöglichten die Umsetzung von innovativen Projektideen, die sonst kein Förderformat gefunden hätten. Die Ausschreibung der Studien ohne Hürden wie Affiliationen zu Forschungseinrichtungen und Empfehlungsschreiben spricht zudem die ganze Breite der Open-Science-Community an und geht damit über klassische Forschungsförderung hinaus.

Es deutet sich hier das Potential an, Lücken in der bestehenden Förderungslandschaft zu schließen und die Entwicklung zu einer offenen, flexiblen und nachhaltigen digitalen Geisteswissenschaft zu unterstützen. Da die Förderungen nicht allein auf das Endergebnis von Forschung fokussiert sind, treten der Forschungsprozess und dessen Dokumentation stärker in den Mittelpunkt. Dies ist für die Umsetzung von Open Science Ansätzen besonders förderlich. Gleichzeitig offenbaren sich entscheidende Erfolgsfaktoren, etwa die redaktionelle Unterstützung im Prozess der Datenpublikation (Cremer et al. 2019). Damit wird deutlich, dass neben der finanziellen Förderung vor allem die Bereitstellung organisatorischer Rahmenbedingungen und die Einbindung in Community-Netzwerke zur Aufgabe der Förderorganisation werden (vgl. Kahn et al. 2021).

Ein wesentliches Element der beiden Förderformate ist es, eine Plattform für die Reflexion und Dokumentation neuer Praktiken zu bieten. Damit geben die Förderformate nicht nur Forschenden, sondern auch Institutionen die Möglichkeit, experimentelle Ansätze zu realisieren und Erfahrungen für die eigene Förderstrategie zu gewinnen. Die Rückkopplung in der Zusammenarbeit zwischen Institutionen und Forschenden trägt dabei sowohl zum Wissensaustausch als auch zum Außenbild der Einrichtungen bei. Mit diesen Formaten eröffnet sich darüber hinaus eine Skalierungsmöglichkeit für lokale FDM-Stellen, die eigenen Serviceangebote in kalkulierbarem Rahmen zu öffnen und damit auch eine Vorbildfunktion einzunehmen.

Rückblicke und Ausblicke

Kleine Förderformate sind im geisteswissenschaftlichen Kontext bislang noch wenig etabliert. Die Resonanz auf die ersten Ausschreibungen der FAIR-Data-Fellowships und der Forschungsstudien verdeutlicht jedoch, dass diese Konzepte einen Nerv in den Communities treffen. Das Poster bietet die Möglichkeit, konkret und beispielhaft bereits erfolgreich abgeschlossene Projekte zu präsentieren und so das zugrundeliegende Konzept zu veranschaulichen. Damit soll die Diskussion über die Weiterentwicklung und Adaption dieser Förderformate angeregt werden, die zur Verbesserung und weiteren Verbreitung dieser Ansätze beitragen können. Gleichzeitig sollen weitere Perspektiven und Zielgruppen sowie Institutionen als potentielle Anbieter einbezogen werden können.


Fußnoten

1 Autor:innen-Rollen: Alle: Conceptualization, Writing – original draft, Writing – review & editing
2 Siehe https://www.hsozkult.de/grant/id/stip-142583.
3 Siehe https://4memory.de/4memory-fair-data-fellowships-2024/.
4 Siehe https://www.hsozkult.de/grant/id/stip-143448.

Bibliographie

  • Cremer, Fabian, Lisa Klaffki, und Timo Steyer. „Redaktionssache Forschungsdaten“. Bibliothek Forschung und Praxis 43, Nr. 1 (2019): 118–25. https://doi.org/10.1515/bfp-2019-2018.
  • Garzón Rodríguez, Judit. „Entdecken Sie das HERMES-Forschungsstudienprogramm am IEG: Ihre Chance auf innovative Forschung!“ Humanities Data Literacy (blog), 20. Juni 2024. https://hdl.hypotheses.org/644.
  • Kaden, Ben. „Warum Forschungsdaten nicht publiziert werden“. LIBREAS. Library Ideas, Nr. 33 (2018). https://libreas.eu/ausgabe33/kaden-daten/.
  • Kahn, Rebecca, Leif Isaksen, Elton Barker, Rainer Simon, Pau de Soto, und Valeria Vitale. „Pelagios – Connecting Histories of Place. Part II: From Community to Association“. International Journal of Humanities and Arts Computing 15, Nr. 1–2 (Oktober 2021): 85–100. https://oro.open.ac.uk/79924/.
  • Roh, David S. „The DH Bubble: Startup Logic, Sustainability, and Performativity“. In Debates in the Digital Humanities 2019, hg. von Matthew K. Gold und Lauren F. Klein, 86–91. University of Minnesota Press, 2019. https://doi.org/10.5749/j.ctvg251hk.11.
  • Rosenblum, Brian und Arienne M. Dwyer. „Co-Piloting a Digital Humanities Center: A Critical Reflection on a Libraries-Academic Partnership“. In Laying the Foundation: Digital Humanities in Academic Libraries, hg. von John W. White und Heather Gilbert, 111–26. Purdue University Press, 2016. https://kuscholarworks.ku.edu/handle/1808/23400.