Publizieren im Feedback-Loop. Konzeptionelle Überlegungen zur Analyse des Nutzungsverhaltens bei digitalen Editionen

Esch, Claudia; Pia, Hofman; Jana, Klinger; Torsten, Roeder; Christian, Reul; Yannik, Herbst
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Einleitung

Digitale Editionen stellen ein einflussreiches Forschungsfeld der Digital Humanities dar, von dem viele wichtige Impulse für das Fach ausgehen (Hodel 2021). Sie folgen einem digitalen Paradigma (Sahle 2013), wodurch sie sich in ihrem Wesen grundlegend von gedruckten Editionen unterscheiden (Vogeler 2019). Wie dieses Paradigma ausgestaltet sein kann, wird in vielfältigster Form exploriert (Cugliana 2023; Liedtke 2020; Bleeker, Dekker, und Buitendijk 2021; Hofmeister-Winter 2012; Herberichs und Viehhauser 2023). Die Frage nach der konkreten Nutzung und Nutzbarkeit einer Edition wird zwar durchaus an einigen Stellen diskutiert (Sutor und Klinger 2022), steht aber meist nicht im Fokus des Forschungsinteresses. Das kann zur paradoxen Situation führen, dass digitale Editionen in der Regel zwar frei im Netz und daher für breite Nutzer:innenkreise verfügbar sind, dieser Effekt aber zugleich durch hohe Komplexität in der Nutzung und Vielfalt in der Gestaltung konterkariert wird (Braun et al. 2022). Rezensionen bilden zwar ein wichtiges Instrument zur Qualitätssicherung, sind aber dem Publikationsprozess zeitlich deutlich nachgelagert (Resch 2023).

Vielfach fehlt es schon allein an verlässlichen Daten in ausreichendem Umfang, um die Nutzung digitaler Editionen zu analysieren und für deren Konzeptionalisierung fruchtbar zu machen. An diesem Punkt möchten wir ansetzen. Das Zentrum für Philologie und Digitalität (ZPD, https://www.uni-wuerzburg.de/zpd ) ist als technischer Kooperationspartner an mehreren digitalen Editionen beteiligt und übernimmt dort jeweils die Konzeption, Entwicklung und Betreuung der digitalen Komponenten. Einzelne Projekte sind als Vorab-Version bereits verfügbar ( https://wagner-schriften.de ), der Release der meisten Editionen steht aber in den nächsten Monaten und Jahren bevor. Wir möchten dieses Zeitfenster nutzen, um konzeptionelle Ideen zur Analyse des Nutzer:innenverhaltens vorzustellen, zu diskutieren und weiterzuentwickeln, bevor sie in größerem Umfang implementiert werden. Ein Austausch mit der Fachcommunity ist uns wichtig, da wir neben der kontinuierlichen Verbesserung der von uns gehosteten Editionen auch die Generierung von Forschungsdaten für Fragestellungen zur digitalen Editorik anstreben. 

Konzepte und Fragestellungen

Die Analyse der realen Nutzung von digitalen Editionen ist komplex und bislang kaum systematisch aufgearbeitet (Henzel 2019). Grundsätzlich lassen sich drei Ebenen unterscheiden, die für eine Datenerhebung in Frage kommen und die wir im Folgenden näher erläutern:  

Ebene 1: Automatisierte Abfragen

Zu allen Websites und damit auch zu den meisten digitalen Editionen entstehen Logfiles, die die Kommunikation zwischen dem Browser der Nutzer:innen und dem Server, auf dem die Edition liegt, dokumentieren. Durch deren Auswertung kann u.a. die unterschiedliche Nutzung verschiedener Bestandteile der Edition analysiert werden (Boot 2011). Die Herausforderung liegt dabei in der enormen Datenmenge, die eine gut durchdachte Auswahlstrategie erfordert (Batoun et. al  2024). Auch rechtliche und ethische Bedenken müssen bei der Analyse der Daten berücksichtigt werden. Die systematische Anwendung bei digitalen Editionen ist bislang kaum erforscht (Boot 2011), auch wenn davon auszugehen ist, dass etliche Projekte bereits Daten erheben. Wir stellen die Grundzüge eines Konzepts vor, das auf der bei uns verwendeten Architektur beruht (Herbst et al. 2023), darauf aber nicht beschränkt ist.  

Ebene 2: Umfragen unter den Nutzer:innen

Eine weitere Möglichkeit sind Umfragen unter Nutzer:innen von Editionen, die meist im Kontext einer größeren Fragestellung durchgeführt wurden (Porter 2013; 2016) oder abstrahierend Features verschiedener Editionen aufgreifen (Esch 2023; Franzini, Terras, und Mahony 2019). Ergänzend dazu schlagen wir ein Konzept für eine in die digitale Edition integrierte Umfrage vor. Damit ließe sich qualitatives Feedback in Verbindung mit konkreten Editionen erheben, das beim Einsatz in verschiedenen Projekten auch allgemeine Schlüsse erlaubt. Im Vordergrund steht dabei die Frage, wie sich eine kompakte Umfrage gestalten lässt, die Nutzer:innen zur Teilnahme motiviert.

Ebene 3: Experimentelle Nutzer:innenstudien

Weiterhin lässt sich die Erhebung von Feedback durch Testnutzer:innen im Rahmen einer experimentellen Studie sowohl für die konkrete Verbesserung einzelner Editionen als auch für generalisierende Beobachtungen nutzen (Caria und Mathiak 2018b; 2018a; Visconti 2010). Hier stellt sich die Frage nach dem Zeitpunkt der Studie sowie der genauen Zielsetzung. Bei einem Fokus auf die Usability ist eine Durchführung im letzten Projektdrittel anhand einer Alphaversion sinnvoll, während eine Datenerfassung zum Lese- und Rechercheprozess eher nach Abschluss der Hauptarbeitsphase erfolgt. 

Fazit

Es wird eine Strategie zur Erhebung des Nutzungsverhaltens bei digitalen Editionen entwickelt, die aus einer Kombination der drei vorgestellten Ansätze besteht. Ziel der Posterpräsentation ist es, die jeweiligen Vor- und Nachteile der Methoden anhand konkreter, auf das Portfolio des ZPD abgestimmter Beispiele aufzuzeigen und in ihrem Zusammenwirken nachvollziehbar zu machen. Wir sind zuversichtlich, dass sich diese Überlegungen auch auf andere weit verbreitete Ressourcentypen (Datenbanken, Textkorpora, Lexika) ausweiten lassen und damit vielfältig nachnutzbare Forschungsdaten erzeugt werden können. Wir freuen uns, über die Potenziale mit der Forschungscommunity in Austausch zu treten.


Bibliographie

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