Digital Humanities Ruhr – DH-Zertifikate und Kernkompetenzen an der Ruhr-Universität Bochum
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Ausgangslage
Die Relevanz digitaler Methoden, Werkzeuge und Forschung in den Geisteswissenschaften zeigt sich in der wachsenden Anzahl von Digital-Humanities-Studiengängen und -Zertifikaten. Auch an der Ruhr-Universität Bochum (RUB) werden diese wichtigen Future Skills bereits praktiziert und unterrichtet, allerdings nicht im Rahmen eines dezidierten Studiengangs Digital Humanities. Pro Semester wird eine knapp dreistellige Anzahl von Veranstaltungen angeboten, die unterschiedlich starke Überschneidungen mit Themen der DH aufweisen: Datenanalyse in R, Programmierkurse in Python, Korpuslinguistik, Datenvisualisierung, MaxQDA, statistische Grundlagen und viele weitere. Derartige Veranstaltungen sind bisher über nahezu alle Fakultäten und zahlreiche Institute der Ruhr-Universität verteilt.
Gleichzeitig gibt es einen fächerübergreifenden Optionalbereich, aus dem B.A.-Studierende aus 14 Fakultäten bis zu 30 ECTS-Punkte belegen müssen, um außerhalb ihres Studienfachs Akzente zu setzen. In den bestehenden Rahmen des Optionalbereichs können zusätzliche Inhalte ohne großen Aufwand und fachlich breit gefasst eingepflegt werden, weshalb das Projekt Digital Humanities Ruhr hier ansetzt.
Projektbeschreibung
An der Ruhr-Universität sollen ab 2025/2026 DH-Zertifikate angeboten werden, in denen die bereits existierende DH-Lehre zusammen mit ergänzenden Selbstlern- und Präsenzangebote gebündelt wird. Das Projekt wird durch die Fakultät für Philologie und das Methodenzentrum der Ruhr-Universität umgesetzt. Der Fokus liegt auf der Vermittlung grundlegender DH-Kompetenzen, -Methoden und -Werkzeuge mit einem starken Fokus auf Textverarbeitung und -analyse. Um bestehende Lücken im Angebot der Ruhr-Universität zu schließen, werden im Rahmen des Projektes – in Kooperation mit der Universität Duisburg-Essen und der Technischen Universität Dortmund – Lehr- und Lernmaterialien als Open Educational Resources (OER) entwickelt. Veranstaltungen und Selbstlern-Kurse sollen im Verbund abgeglichen und angeboten werden, sodass Studierende universitätsübergreifend diejenigen Veranstaltungen besuchen können, die zu ihren persönlichen Studienplänen und Lebensumständen passen. Zur Identifikation der Lücken im Lehrangebot wurden zunächst die atomic skills (die kleinsten Einheiten der Kernkompetenzen) identifiziert und in einer Kompetenzmatrix analysiert.
Identifikation der Atomic Skills
Nach eingehender systematischer Literaturrecherche (u.a. Burdick et al. 2012, Sahle 2013, Ridsdale 2015) wurden zunächst die Studienordnungen der existierenden Bachelor- und Masterstudiengänge sowie die Kriterien und Inhalte der Zertifikate im Bereich Digital Humanities in Deutschland studiert. Zusätzlich wurden Leitfadeninterviews mit Lehrenden durchgeführt und Feedback von Studierenden eingeholt, um weitere Fähigkeiten zu identifizieren, die bisher im fachlichen Curriculum der RUB nicht ausreichend vermittelt werden.
Aufbauend auf dieser Grundlage wurde eine Kompetenzmatrix erstellt, in der atomic skills in sechs Bereiche gruppiert wurden. Die Skills wurden priorisiert, der Zeitaufwand geschätzt sowie Lernzieltypen und Einordnung in geplante Zertifikate notiert. Zusätzlich wurden den Skills, wo möglich, ihre Entsprechungen im Data Literacy Framework nach Ridsdale (2015) zugeordnet, um herauszuarbeiten, welche Kernkompetenzen für die Digital Humanities über das Data Literacy Kompetenzframework hinaus besonders relevant sind. Zuletzt wurde ein Mapping der Kompetenzen auf bestehende Kursangebote an der Ruhr-Universität sowie im UA-Ruhr-Verbund durchgeführt, um die fehlenden Inhalte zu identifizieren, für die OER-Materialen gesammelt, angepasst und/oder neu entwickelt werden müssen.
Die sechs Kompetenzbereiche und einige Beispielkompetenzen:
- Umgang mit dem PC
- Dateien: Ordnerstruktur/Hierarchie, Pfade, Benennung, Arten, Konvertieren
- Grundlagen Excel/Google Sheets
- Probleme selbst lösen (am Computer & im Code, richtig googlen, Tutorials befolgen)
- Grundlagen Versionskontrolle/Datensicherung
- Shell Grundlagen: „Was ist das?“, simple Commands, Unix vs. Windows
- DH-Grundlagen
- DH & Ich: Wofür brauche ich persönlich DH-Methoden in meinem Studium?
- Fragestellungen: Philologie, Soziologie, (Kunst-)Geschichte, Archäologie, Musik, etc.
- Tools & Methoden: Digitale Editionen/Archive, Korpusanalyse, GIS, VR, 3D-Design, digitale Filmanalyse, etc.
- Textdaten Grundlagen: TXT, MD, CSV, TSV, XML, HTML, KML, TEI, etc.
- Rechtliches: Datenschutz, Copyright, DSGVO (z.B. in Bezug auf Webscraping)
- Programmieren für DH
- Python/R Grundlagen Programmieren (Schleifen, Logik, Grundlagen i/o, Funktionen, etc.)
- Python/R korpusanalytische Verfahren (z.B. Webscraping, Tokenisierung, Annotation, Kookkurrenz-, Frequenzanalyse)
- Python Infrastruktur IDE, Jupyter Notebooks
- Python/R Datenvisualisierung (matplotlib, seaborn, ggplot)
- Statistik für DH
- Korrelation & Kausalität
- Konzepte wie Schätzer, Konfidenzintervalle & Hypothesentests, Skalenniveaus
- (Text-)Klassifikation Grundlagen: Naive Bayes
- (Text-)Klassifikation fortgeschritten: KNN, SVM, etc.
- DH-Methoden und Tools
- Digitale Editionen erstellen/bearbeiten/pflegen
- Korpusanalyse-Tools, Topic Modelling, etc.
- KI-Überblick (High Level: wie funktioniert KI/ML/Klassifikation/Generation)
- Textdaten fortgeschritten: XML, HTML, TEI erstellen, bearbeiten, automatisieren
- Datenbanken Grundlagen (Excel/CSV, SQL, Zugriff auf existierende DBs/APIs)
- DH-Projekt
- Selbständig mit Datensätzen arbeiten
- Projektorientiertes Lernen: Modellierung, Projektentwurf, Umsetzung und Evaluation
- Tools und/oder Programmiersprache selbstständig auswählen und anwenden
- Wissenskommunikation (Vorgehen & Ergebnisse nachvollziehbar darstellen)
Ausblick
Die erarbeiteten atomic skills werden vollständig zugeordnet und sämtliche Lücken in den Fähigkeiten, die für die entsprechenden DH-Zertifikate als essenziell priorisiert wurden, werden geschlossen. Dies geschieht sowohl durch die Einbindung bestehender UA-Ruhr-Angebote, OER-Materialien oder durch die Entwicklung neuer Materialien und Lernangebote. Zusammengefasst zu 5-ECTS-Module werden die Kompetenzen in den Optionalbereich eingespeist. Bei Belegung der entsprechenden Modulkombinationen zu entweder 15 oder 30 CP, erhalten Studierende in Zukunft ein oder mehrere DH-Zertifikate, die ihre Fähigkeiten belegen. Abgedeckt werden sollen – in noch nicht feststehender Gewichtung – alle der sechs Kompetenzbereiche, wobei Studierende beispielsweise ein Kursangebot aus den Bereichen Programmieren für DH oder Methoden & Tools belegen können, während ein DH-Projekt Pflichtteil ist.
Bibliographie
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Burdick, Anne, Johanna Drucker, Peter Lunenfeld, Todd Presner, und Jefery Schnapp. 2012. Digital Humanities . Cambridge, MA: MIT Press. - Ridsdale, Chantel, James Rothwell, Mike Smit, Michael Bliemel, Dean Irvine, Daniel Kelley, Stan Matwin, Brad Wuetherick, und Hossam Ali-Hassan. 2015. „Strategies and Best Practices for Data Literacy Education Knowledge Synthesis Report“.
- Sahle, Patrick. 2013. „DH studieren! Auf dem Weg zu einem Kern- und Referenzcurriculum der Digital Humanities“, DARIAH-DE Working Papers.