Under Construction: Ein DH-Lab im Aufbau
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Einführung
Die traditionelle Vorstellung eines Labors als Raum voller Reagenzgläser und Wissenschaftler:innen in Laborkitteln ist seit der Verkündung des „laboratory turn“ (Earhart 2015) veraltet. Diese Entwicklung markiert eine Verschiebung vom physischen Labor hin zu einem konzeptionellen Labor (Pawlicka-Deger, 2020), das in verschiedenen Forschungsgebieten, einschließlich der Digital Humanities, Anwendung findet (siehe Earhart, 2015; Pawlicka-Deger, 2020). Die Forschungsgruppe Computational Humanities der Universität Leipzig (CH-Gruppe) richtet derzeit ein Labor ein, das sowohl die kontrollierte Experimentierumgebung eines naturwissenschaftlichen Labors als auch die integrativen Ansätze eines konzeptionellen Humanities-Labs vereint. Das Poster skizziert die geplante Umsetzung des Labors und stellt die damit verbundenen Nutzungskonzepte vor. Im Fokus stehen die Forschungsagenda der CH-Gruppe sowie die laborgestützte Lehre im Bachelor- und Masterstudiengang Digital Humanities.
Aufbau und Organisation des Labors
Im Sinne der Digital Humanities als kollaborative Fachdisziplin richten wir ein ‘co-laboratory’ (Siemens und Siemens, 2012) für unsere Forschungsgruppe und Studierende der von uns betreuten Studiengänge ein. Es ist an die Professur für Computational Humanities angebunden und wird eigenständig von der zugehörigen Forschungsgruppe betrieben. Diese Eigeninitiative ermöglicht eine flexible, bedarfsorientierte Entwicklung, während die institutionelle Anbindung langfristige Perspektiven sichert. Nach Pawlicka-Deger (2020) lässt sich das Lab zwischen forschungs-, arbeitsplatz- und pädagogikorientierten Labs einordnen. Strukturell besteht das Labor aus verschiedenen Laboreinheiten mit thematischen Schwerpunkten. Diese umfassen Bereiche wie Computational Game Studies, Spatial Humanities, Digital Environmental Studies, Digitale Sammlungsforschung, Computational Film Studies, Computational Social Sciences und Computational Literary Studies. Jede Laboreinheit ist mit spezifischen Geräten, weiterführenden Ressourcen und digitaler Dokumentation zur Nutzung der Geräte oder Experimentalaufbauten und der entsprechenden personellen Expertise ausgestattet. Beispielsweise können in den Computational Game Studies Konsolen, Gaming-PCs, Screengrabber und Sensoren wie Eye-Tracker genutzt werden. Ein Mitglied der CH-Gruppe betreut jede Laboreinheit und entwickelt Forschungsaktivitäten und Lehre in diesem Bereich weiter.
Synthese von Forschung und Lehre
In Anlehnung an das Humboldt’sche Bildungsideal der Einheit von Forschung und Lehre soll das Labor beide Bereiche verschmelzen lassen. Diese Integration erfolgt auf mehreren Ebenen:
- Gleichzeitige Einbindung von Lehrveranstaltungen und aktuellen Forschungsvorhaben
- Anfertigung von Abschlussarbeiten im Lab-Kontext
- Produktion von Forschungsdaten mit praktischer Komponente
- Hackathons und Zusammenarbeit mit externen Kooperationspartnern
Aus dieser Struktur resultiert eine praxisnahe Lehre, in der Studierende die vielfältige Forschung der CH-Gruppe kennenlernen und in Einklang mit ihren Fachinteressen daran mitwirken. Gleichzeitig profitieren die Forschenden vom inhaltlichen Feedback der Studierenden, der Weiterentwicklung von Forschungsvorhaben in Seminaren sowie der Generierung von Forschungsdaten für Experimente und neue Forschungsideen. Das Labor bietet hierfür nicht nur geeignete Geräte und eine Räumlichkeit, sondern auch eine Plattform, um Studierende auf forschungsnahe Seminare oder mögliche Abschlussarbeiten aufmerksam zu machen. Bevor Forschung und Lehre jedoch zusammengeführt werden können, müssen relevante Grundlagen erworben werden, die Studierende zu praxis- und forschungsnaher Arbeit befähigen.
Lehrkonzept
Grundsätzlich verfolgen wir einen emanzipatorischen und konstruktivistischen Lehr- und Lernansatz, der durch das Laborumfeld begünstigt wird: In Lehrveranstaltungen auf Bachelor- und Masterniveau können die Studierenden durch den Einsatz von Geräten und Versuchsaufbauten theoretisch Gelerntes in einem begleiteten Experimentierumfeld1 direkt anwenden. So erarbeiten sie Schwierigkeiten und Good Practices selbst, dokumentieren diese strukturiert (lab reports) und nehmen sie nachhaltig in ihren Wissens- und Erfahrungsschatz auf. Dabei planen wir perspektivisch, die Lehrkonzepte stärker auf die unterschiedlichen Bedürfnisse von Bachelor- und Masterstudierenden zuzuschneiden. Während Bachelorveranstaltungen einen Fokus auf grundlegende Kompetenzen und experimentelles Lernen legen, sollen Masterkurse verstärkt komplexe Problemstellungen und eigenständige Forschungsprojekte in den Mittelpunkt stellen.
Diese praxisnahen Zugänge schaffen durch einen Real-Time-Ansatz ein tieferes Verständnis von Prozessen und Abläufen, indem Studierende unmittelbare multimodale Rückmeldungen auf Handlungen und Entscheidungen erhalten. In einem Kurs zu Chiptune-Musik erlaubt beispielsweise ein digitales Speicheroszilloskop die Betrachtung verschiedener Wellenformen in der Soundsynthese, deren Klangfarbe gleichzeitig zu hören ist. Es wird damit ein tiefes Verständnis der Limitierungen von Soundchips erreicht. Technisch-künstlerische Entscheidungen der Komponist:innen werden nachempfindbar.
Forschungspotenziale
Das Labor bietet den Mitgliedern der Forschungsgruppe eine Umgebung und Werkzeuge für experimentelle und empirische Fragestellungen basierend auf multimodaler Datenerfassung, in der eigene Forschungsdaten generiert und mit Methoden, etwa des maschinellen Lernens, verarbeitet, analysiert und visualisiert werden können – auch in Zusammenarbeit mit Studierenden im Rahmen von Abschlussarbeiten und Modulen (s.o.). Ziel ist es, Teile der Forschung stärker an naturwissenschaftlichen Methoden zu orientieren, während die spezifischen Anforderungen der Kultur- und Geisteswissenschaften berücksichtigt werden. Thematisch lässt sich die Forschung innerhalb der oben genannten Laboreinheiten verorten.
Ausblick
Dieses Poster stellt den ersten Bericht zur Entstehung und Entwicklung des Labors der CH-Gruppe dar. In zukünftigen Veröffentlichungen werden wir unsere Erfahrungen und Learnings sowie neue Forschungs- und Lehransätze weiter dokumentieren und teilen. Für die CH-Gruppe wird das Lab eine wichtige Schlüsselrolle in der Umsetzung zukünftiger Forschungs- und Lehraufgaben einnehmen. Es bietet Zugänge zu forschungsrelevanten Instrumenten und eine innovative und anregende Umgebung für die Bearbeitung offener, forschungsintensiver Themen in den digitalen Geisteswissenschaften.
Fußnoten
Bibliographie
- Earhart, Amy E. 2015. „The Digital Humanities as a Laboratory“. In Between Humanities and the Digital, herausgegeben von Patrik Svensson und David Theo Goldberg, 391–400. The MIT Press. https://doi.org/10.7551/mitpress/9465.003.0034 .
- Pawlicka-Deger, Urszula. 2020. „The Laboratory Turn: Exploring Discourses, Landscapes, and Models of Humanities Labs“. Digital Humanities Quarterly 14 (3).
- Siemens, Lynne, und Raymond Siemens. 2012. „Notes from the Collaboratory: An Informal Study of an Academic DH Lab in Transition“. In DH 2012: Book of Abstracts. Hamburg.