Sitzung der phil.-hist. Klasse am 12. Jänner 1848

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C. 6.


Kaiserliche Akademie der Wissenschaften.


Protokoll


der Sitzung der historisch-philologischen Classe


von 12 ten Jänner 1848


Anwesend: Der Herr Präsident Freiherr von Hammer-Purgstall
Freiherr von Hügel
Chmel
Endlicher
Freiherr von Münch
Auer
der Secretär Wolf


Als Gast: Herr General-Secretär von Ettingshausen.


Der Secretär legt folgende, einer be-
sondern Erledigung bedürfende Eingaben
vor


/.121./ 1. Die Publicationen der Académie d'Ar-
chéologie de Belgique
, mit einem
Schreiben ihres Präsidenten Herrn von
Kerckhove
, worin er den Wunsch aus-
drückt, seine Akademie mit der kaiserlichen
Akademie in Verbindung zu setzen, und
dem Herrn Präsidenten und dem Herrn
General-Secretär im Namen seiner Aka-
demie anträgt, sie zu Ehrenmitgliedern der-
selben zu ernennen.

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/:129:/ 2. Die Publicationen der Société ethnologique
de Paris , eingesendet durch Herrn Gustave G.
d'Eichthal , mit demselben Wunsche, eine
Verbindung dieser Gesellschaft mit der
kaiserlichen Akademie einzuleiten;


/:136:/ 3 . Cazwini's Kosmographie herausgegeben
und eingesendet von der Deutsch-Morgen-
ländischen Gesellschaft, mit demselben Wunsche.
Die Classe beschließt, diesen drei Gesell-
schaften danken zu lassen, die angetra-
gene Verkündung anzunehmen und ihre
Zusendungen seiner Zeit durch ihre Pub-
licationen zu erwiedern.


/:178:/ 4. Von Herrn Diemer, Scriptor der kaiserlich-königlichen kk.
Universität-Bibliothek in Wien , den
ersten Band seiner "Österreichischen Denkmale"
mit einem Schreiben, worin er um Berück-
sichtigung bei der Wahl der correspon-
dierenden Mitglieder bittet;


/:142:/ 5. von Herrn Doctor Dor Letteris in Wien,
neue Bände seiner hebräischen Werke,
mit derselben Bitte;


Nro 4 u. 5 von der Classe erledigt durch
Empfangsbestätigung mit Dank, und: dient
zur Wissenschaft.


/:132:/ 6. Joseph Bermann, in Wien , über-
reicht die erste Lieferung seiner "Bildli-
chen Statistik" und bittet um Begutach-
tung;


Herrn Baron von Hügel zur Bericht-
erstattung zugewiesen.


/:137:/ 7. Herr Doctor Dor Bolza in Wien , bittet um
Begutachtung seines in der Handschrift ein-

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gesendeten Werkes: Origini della lingua
Italiana";


die Classe ernennt zu Berichterstattern
unter den hiesigen Mitgliedern den Herrn
Regierungsrath Auer , und – da sie über ein
Werk der Art das Urtheil ihrer italieni-
schen Mitglieder einzuholen unerläßlich
findet – unter diesen Seine S Excellenz den
Conte Cittadella-Vigodarzere in Venedig
und den Hof-Epigraphen Labus in Mailand,
welche letzterem, im Falle der Verfasser
damit einverstanden ist, sein Werk zu-
gesendet werden soll.


/:144:/ 8. Herr Professor Remele in Wien,
überreicht nebst einigen gedruckten Werken
in Handschrift den Anfang seines "Wörter-
buches der ungrischen Sprache" und bittet,
um Beurtheilung desselben;


die Classe weist letzteres zur Bericht-
erstattung ihren Mitgliedern in Ungarn,
den Herrn Grafen Dessewffy, Grafen von
Kemeny und Seiner S Excellenz, Grafen von
Teleky zu.


Bei der nun beginnenden Discussion
über die von der historisch-philologischen
Classe auszuschreibenden Preisfragen,
hält der Secretär einen Vortrag, worin
er den von Herrn Regierungsrath
Endlicher in der vorhergehenden Classen-
sitzung angeregten Vorschlag: zur ersten
philologischen Preisfragen die theilweise
Ausarbeitung einer historisch-verglei-
chenden Grammatik der slavischen Sprachen

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zu bestimmen, näher entwickelt und dadurch
zu begründen sucht, daß er zeigt, wie die kai-
serliche Akademie nicht leicht einen passen-
deren Gegenstand zur Aufgabe ihres ersten
philologischen Preises wählen könne; indem
dieser der Absicht ihres erhabenen Stifters,
dem Interesse der kaiserlichen Akademie
selbst, und dem Bedürfnisse der Wissen-
schaft überhaupt vollkommen entspricht. Im
Falle daher diese Preisfrage ausgeschrieben
werden sollte, formulirt er sie also:


Explorentur leges euphoniae, linguarum
slavicarum slavicarum praecipua
ratione habita linguae palaeo-
slovenicae sive linguae Slavorum-
ecclesiasticae eo modo, quo doctrina
euphoniae /:Lautlehre:/ linguarum
germanicarum et romanicarum.
exposita est a viris clarissimis
Jacobo Grimmi, Friderico Diezio.


Der Herr Präsident bemerkt dagegen,
daß er es für passender hielte, die erste
philologische Preisaufgabe, die doch vorzugs-
weise eine deutschen Akademie ausschreibe,
im deutschen Sprachgebiete auszuwählen, so
zum Beispiel z.B. eine tabellarische Grammatik der
deutschen Hauptsprachen und Mundarten.
Herr Regierungsrath Endlicher erwidert,
er könne in der Wissenschaft keine Be-
vorzugung, und sey es des deutschen Ele-
mentes, anerkennen; wenn andere
Sprachen einer wissenschaftlichen Bear-
beitung mehr bedürften, als die deutsche,
so werde er sich für jene erklären,
und dieß sey hier der Fall, denn während

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durch Grimm's Grammatik für die
germanischen Sprachen, die Mund-
arten mit eingeschlossen, nicht nur im
Ganzen eine feste wissenschaftliche Basis
gelegt, sondern auch im Einzelnen so viel
und so Treffliches geleistet worden sey, daß
hier wenig Wesentliches mehr zu thun
bleibe, ermangeln die slawischen Spra-
chen noch gänzlich einer solchen Bearbeitung,
die daher für die Wissenschaft ein viel
dringenderes Bedürfniß, für die Aka-
demie eine viel würdigere Aufgaben sey.
Ja er glaube, daß von dem jetzige Stand-
punkte der philologischen Wissenschaft
überhaupt aus sich nicht leicht eine Auf-
gabe werde stellen lassen, die sich mit
der vorgeschlagenen in Wichtigkeit messen
könne.


Herr Regierungsrath Auer bemerkt dage-
gen, daß auch nach Grimm's Grammatik
im Fache der deutschen Sprache noch viel
zu thun erübrige, Grimm's Gram-
matik sey weder klar noch übersichtlich
und jede späteren Auflage derselben stelle
die Resultate der früheren in Zweifel,
besonders lasse sie in Hinsicht der Mund-
arten noch viel zu wünschen übrig; er
stimme daher für den Antrag des Herrn
Präsidenten , eine tabellarische Gram-
matik der deutschen Hauptsprachen
und Mundarten zur Preisaufgabe
zu wählen; Grimm würde selbst
sich dadurch unterstützt finden.
Herr Baron von Münch gibt zu


Richtig gestellt von dem Gefertigten:
Auer bemerkt dagegen, daß auch nach den
bekannten Auflagen von Grimms Grammatik im
Gebiete der deutschen Sprachlehre noch Manches
zu thun erübrige. Grimms Grammatik sei für
die Mehrzahl der Deutschen durch die eigenthümliche Schreibweise weder zugänglich
genug noch übersichtlich. Die zweite Auflage /1822–1826/
ist gegen die erste /1819 / so umgestaltet, daß
erstere die letztere fast gänzlich aufhebt.
Die dritte Auflage /1840 / bietet das gleiche
Beispiel, wovon nur der ersten Band der
Vocal-Lehre bisher erschienen ist.
(Die Äußerung hinsichtlich der Mundarten
geschah nicht von mir sondern vom Herr H. Präsidenten)
Er stimme nun für den Antrag des Herrn Präsi-
denten
, eine übersichtliche (tabellarische) Grammatik
der deutschen Haupt- und Töchtersprachen zur Preis-
Aufgabe zu wählen.
Grimm dürfte sich selbst, da seit 8 Jahren
außer der Lautlehre /1 . Band/ keine Fort-
setzung seiner Grammatik erschien, dadurch
wesentlich unterstützt finden.
Auer

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bedenken, daß es sich bei einer Preis-
frage um eine Aufgabe handle, die
von einem Einzigen in Jahresfrist
geleistet werden könne; auch er habe
sich mit Grimm's Grammatik beschäf-
tigt und glaube nicht, daß es Einem
in dem gegebenen Zeitraume möglich
sey, eine Arbeit zu liefern, wodurch
ein solches Werk wesentlich verbessert
oder auch nur ergänzt werde; weßhalb
er die ohnehin unklar gestellte Auf-
gabe einer tabellarischen Grammatik
der deutschen Hauptsprachen und Mund-
arten für viel weniger dringend
wichtig halte, als die von den Herrn
Endlicher und Wolf vorgeschlagene,
denen er vollkommen beistimme.
Herr Regierungsrath Chmel bemerkt,
dazu, daß ja das deutschen Sprachgebiet
ohnehin so fleißig und tüchtig angebaut
worden sey; so wolle er nur noch neben
Grimm's Hauptwerk Graffs "Sprach-
schatz" nennen; für das slawische aber
seyen ähnliche Arbeiten noch zu leisten
und ein wahres Bedürfniß; er schließe
sich daher umsomehr dem Vorschlage End-
licher's
und Wolf's an, als sein Vor-
schlag der historischen Preisaufgabe, den
er bei Verhandlung dieser Frage näher
entwickeln werde, einen rein deutschen
Gegenstand betreffe und dadurch das
deutsche Element der kaiserlichen
Akademie volle Berücksichtigung
erhalten werde.

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Herr Baron von Hügel stimmt ebenfalls
dem Antrage des Herrn Endlicher und u Wolf
bei, indem er bemerkt, daß – zugegeben,
die kaiserliche Akademie als eine vor-
zugsweise deutsche betrachten und daher
einen deutschen Gegenstand zur ersten
Preisaufgabe wählen zu wollen – dieß
ihm nicht zu verhindern scheine, im
Falle sich in einem anderen Sprachge-
biete Dringenderes und Richtigeres
zu leisten finde, diesem den Vorzug
zu geben.


Herr Regierungsrath Arneth schließt
sich ebenfalls dieser Ansicht an.


Die Classe beschließt durch Stimmen-
Mehrheit /:sechs gegen zwei:/, den
Antrag der Herrn Endlicher und
Wolf vorläufig anzunehmen und
beauftragt ihren Secretär , ihn, nach
Einvernehmen der zur feierlichen
Eröffnungssitzung eintreffenden
auswärtigen Mitglieder dieser Classe,
vor die Gesammtsitzung zu bringen.


Herr Regierungsrath Chmel entwickelt
nun seinen Antrag als erste historische
Preisaufgabe auszuschreiben:


"Eine kritische Beleuchtung des Ver-
"hältnisses der Länder, welche nun das
"österreichische Kaiserthum bilden, zu
"Kaiser und Reich, in dem Zeitraume
von Kaiser Karl dem Großen bis
Rudolph I.


Die Classe nimmt diesen Antrag, unter

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denselben Modalitäten, wie den vorher-
gehenden, einstimmig an.


Hierauf bittet Herr Regierungsrath
Arneth um das Wort und sagt: Da
nach § 21 der Geschäftsordnung wissen-
schaftliche Vorträge in den feierlichen
Sitzungen gehalten werden sollen, so
erlaube er sich anzufragen, ob es nicht
wünschenswerth wäre, solche schon bei
der bevorstehenden feierlichen Er-
öffnungssitzung zu halten, und im Falle
dieß bejaht würde, böte er sich an,
einen von ihm dazu vorbereiteten Vor-
trag über die berühmte Camée des kaiserlich-königlichen kk.
Antiken-Cabinets, die sogenannte Apo-
theose, zu halten, worin er eine ganz
neue Erklärung versucht und womit
zugleich eine Abbildung derselben an
die Zuhörer vertheilt werden konnte.


Der Herr Präsident bemerkt, er habe we-
gen des Programms der feierlichen Er-
öffnungssitzung bei Seiner Sr kaiserlichen Hoheit
dem durchlauchtigsten Herrn Curator
angefragt; es könne also vor erfolgter
Antwort auf diese Anfrage, darüber
nichts entschieden werden. Übrigens sey
es bei den Eröffnungssitzungen anderer
Akademien nie Sitte gewesen, schon
wissenschaftliche Vorträge zu halten,
wobei er sich namentlich auf die jüngste
Leipziger berufe.


Herr Regierungsrath Endlicher ent-
gegnet: Andere Akademien seyen
gleich bei ihrer Gründung durch eine

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feierlichen Sitzung eröffnet worden,
während unsere schon so lange besteht.
Herr Regierungsrath von Ettingshausen
bemerkt, daß auch bei der anderen
Classe ein Mitglied bereit sey, einen
wissenschaftlichen Vortrag bei der feier-
lichen Eröffnungssitzung zu halten.


Herr Baron von Münch kann sich nicht
enthalten, sich über diese neue Eigen-
mächtigkeit des Herrn Präsidenten aus-
zusprechen, denn er habe abermals
wegen des Fest-Programms, wie er so
eben selbst gestanden, mit dem hohen
Curatorium verhandelt, ohne die Aka-
demie darum befragt oder davon ver-
ständigt zu haben. Nur als Antrag der
Akademie hätte dieß vor das hohen Curato-
rium gebracht werden sollen.


Herr Baron von Hügel schließt sich
der Ansicht des Baron von Münch an,
es wäre schicklich gewesen, daß die Aka-
demie von dem Programm verständiget
worden wäre.


Herr Präsident erwiedert: Es komme
weder in den Statuten noch in der
Geschäftsordnung etwas über die Feier-
liche Eröffnungssitzung vor, er habe
daher geglaubt, über die Modalitaten
derselben bei Seiner Sr kaiserlichen Hoheit
dem durchlauchtigsten Herrn Curator
anfragen zu müssen, überdieß habe
Dieser die Feierliche Eröffnungssitzung
angeordnet, welche die Akademie gar
nicht mehr erwartet hatte, und daher

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habe auch das Programm vom hohen
Curatorium und nicht von der Akademie
auszugehen.


Herr Baron von Münch entgegnet:
wenn auch dieß der Fall ist, so hätte die
Akademie doch über die Art und
Weise, wie sie das Programm auszu-
führen, beauftragt werden sollen. Diese
Übergehung der Akademie von Seite
des Präsidenten sey ein neuer Be-
weis, daß dieser innerhalb derselben
gerne den unbedingten Herrscher
und obersten Censor spielen möchte, wäh-
rend er sich außerhalb seines Libe-
ralismus wegen preisen lasse.


Herr Regierungsrath Endlicher trit
diesen Bemerkungen des Herrn Baron
von Münch bei und tadelt auch das
Benehmen des Herrn Präsidenten , der
sich einer so eigenmächtigen Verhand-
lung über das Programm hätte ent-
halten sollen.


Herr Präsident vertheidigt sich gegen
diese harten Beschuldigungen, indem er
nochmals betheuert, er habe ja kein
Programm vorgelegt, sondern nur
deßhalb bei dem hohen Curatorium
angefragt. Übrigens möge die Aka-
demie sowohl dieserwegen, als auch
seines so sehr angefochtenen Rechtes
wegen mit dem hohen Curatorium
auch ohne Auftrag oder Verständigung der
Akademie zu verhandelt, der Entschei-
gung des ersteren gewärtig seyn.

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Herr Regierungsrath Arneth liest nun zur
Probe einen Theil des wissenschaftlichen Vor-
trages vor, den er, im Falle es gutge-
heißen werde, bei der Eröffnungssitzung
halten wolle.


Die Classe erklärt, im Falle das hohe
Curatorium es gutheiße, daß auch von
ihrer Seite dabei ein wissenschaftlicher
Vortrag gehalten werden solle, und
nimmt den von Herrn Regierungs-
rath Arneth angetragenen mit ge-
ringen Modificationen an, denen sich
unterziehen zu wollen, der Herr Ver-
fasser
sich bereit erklärte.


Hierauf legt noch der Secretär einen
Vorschlag über den bei den nahe bevor-
stehenden Wahlen zu beobachtenden Modus
vor.


Die Classe nimmt diesen Vorschlag mit
einigen Änderungen und Zusätzen
an und ersucht den Herrn General-
Secretär
, ihn auch der anderen Classe
vorzulegen und im Falle ihrer Zu-
stimmung ihn lithographiren und den
auswärtigen Mitgliedern zusenden
zu lassen, damit sie sich demgemäß
auf die Wahlen vorbereiten können.


Hammer-Purgstall
FWolf
FhvMünch
J. Chmel
Endlicher
CAHügel
Jos. Arneth