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Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 1, S. 2

Text

STRINDBERG: DIE SCHLÜSSEL DES HIMMELREICHS. DIE SCHLÜSSEL DES HIMMELREICHS oder: SANCT PETERS
WANDERUNG AUF ERDEN.
Märchenspiel in fünf Acten von AUGUST STRINDBERG .
Autorisierte Übersetzung aus dem Schwedischen von ERICH HOLM.*

(Den Bühnen gegenüber als Manuscript gedruckt.)

Erster Act.

(Kammer hinter der Schmiede, von der letzteren
durch eine Bretterwand, in deren Mitte sich
eine grosse Öffnung befindet, getrennt. Durch
dieselbe sieht man die Schmiede, die zugleich
Verkaufsladen ist und nach der Strasse zu ein
grosses offenes Fenster hat. — In der Mitte
der Kammer ein Amboss mit Schlegel. An der
linken Wand drei leerstehende Kinderbettchen,
Spielsachen auf einer nebenbefindlichen Bank;
über den Bettlehnen Kinderkleidchen, unter
den Bettstellen Kinderschuhe. An der rechten
Wand ein Kachelofen aus grünen Kacheln
mit einer eingemauerten Bank. — An den
Wänden auf Zeug gemalte Darstellungen aus
der biblischen Geschichte, des Ganges nach
Golgatha, der Höllenfahrt Christi. Auf dem
Getäfel Krüge, Kannen, Silber- und Zinngefässe.
Draussen in der Schmiede ein langer, die
Mitte einnehmender Tisch mit Eisenwaren,
Werkzeugen, Blechschilden, Schlüsseln, Schlös-
sern, Waffen, Rüstungen. Die Zugstange des
Blasebalgs hängt rechts an der Zwischenwand
hervor. — Durch das im Hintergrund befind-
liche, offene Fenster der Schmiede wird eine
Strasse im mittelalterlichen Stile sichtbar.)

Erste Scene.

Der Arzt. Der Schmied. Sanct Peter.

(Der Arzt, schwarz gekleidet, in Doctorstracht,
sitzt unbeweglich auf der Bank am Kachel-
ofen, so dass er dem Zuschauer den Rücken
zuwendet. Der Schmied in Trauerkleidern tritt
in Aufregung und verweint beim Aufgehen des
Vorhangs ein.)

Der Schmied.

Was half mir Deine Kunst, Du Wunderdoctor?
Was nützten wohl Mixtur und Balsam,
Da nun die Pest mein Haus verödet?
Was liest Du unaufhörlich, schwarzer
Meister,
Von Säuren und von Salzen,
Von Teriak und des Weisen Stein,
Der sitzen soll in eines Krebses Magen?
Kannst Du in meine Kinder Leben lesen,
Die jüngst sie senkten in die schwarze Erde?
Ich kam zu spät zum letzten Scheidekuss,
Zu spät, sie zu der Grube zu geleiten,
Darein, was lieb uns war und theuer,

Vergraben wird und fault zum Schmutz. —
O, Du mein Gott! Nun ist die Stube leer,
Und leer sind auch die kleinen Betten!
Sieh, hier lag Katharina! Ach sie war
mein Ält’stes!
Sieh hier den Abdruck ihres schönen Köpf-
chens
Im Kissenüberzug
Sie war mein Freund, seit Mutter starb —
Und ich war ihrer!
Und Mutter ward sie den Geschwistern.
So klug, so zärtlich und so ernst
Sie kam zur Welt in unsern allertrübsten
Zeiten
Und brachte mit das Glück,
Und Wohlstand, reichen Segen unserm
Haus. —
Gesegnet sei Dein Angedenken, Engel! —
Und hier mein Margaretel!
Du frische Rose voller Duft,
Du kleiner Vogel, der mit frohem Zwitschern
Das Haus erheitert, der Geschwister Kreis!
Mit off’ner Hand und off’nem Herzen,
Wie war Dir’s Geben Lust!
Da steht Dein kleiner Schuh!
Den Heller leg’ ich Dir hinein —
Dass, wenn Du aufwachst Wenn Du
aufwachst? — Wenn?
Ja, dies der Schuh, doch wo das Füsschen,
Das kleine, runde Füsschen,
Das kaum berührt den Blumenanger,
Das eine Emse nicht zertrat —
Ohn’ dass ein leises »Gott verzeih’«
Aus leicht gerührtem Herzen Zeugnis gab.
Du kleiner Schuh
Schlaf süss mein liebes, liebes Margaretel!

Und Du, mein Sohn, mein Schmerzenskind,
Doch meiner Sorgen nicht!
Mein Benjamin,
Der Mutter Bild war mir zurückgegeben,
Wenn aus der Wiege Deine grossen, hellen
Augen

* Die vorliegende ausschliesslich befugte deutsche Bearbeitung des Dramas, bisher nur
zum Zwecke von Aufführungen, die jedoch Censurschwierigkeiten halber unterbleiben mussten,
erschienen, wird hier zum erstenmale dem Lesepublicum theilweise zugänglich gemacht. D. Ü.

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 1, S. 2, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-03-01-01_n0002.html)