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Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 1, S. 3

Text

STRINDBERG: DIE SCHLÜSSEL DES HIMMELREICHS.

Mich, wie dereinst die ihren, angelacht.
Ich hatt’ Dich lieb! Wie lieb, das kann
Ich gar nicht sagen. Eins ich weiss,
Als Du mir starbst, starb ich. —
Dein kleiner, zarter Leib
Barg einen männlich starken Willen!
Dein schönes blondes Köpfchen,
So reich an mächtiger Gedanken Keim,
Liess Dir zu Spielen niemals irgend Ruh.
Und in der schwachen Brust ein edles
Herz Dir klopfte,
Dass Du Dich strafen liessest für die
Schwestern. —
Denk, schwarzer Doctor Dir,
Er nahm der andern Schuld auf sich —
Dem Jesuskinde war er gleich:
Sein liebstes Spielzeug war das kleine
Lämmchen,
Das Lämmchen, sieh, so unschuldsweiss!
Das sollte schlafen ihm im Arm,
Es sollt’ ihm fressen aus der Hand!
Mein kleines, weisses Lamm, leb wohl,
Leb wohl, mein Liebling, mein Johannes!

(Lässt sich am Bette des Kindes nieder.)

Der Arzt (aufstehend).

Hat, armer Freund, der Schmerz nun
ausgetobt?

Der Schmied.

Wo gab’s ein Ende solchen Grams,
Arzneien wo?
Ja, gib mir meine Kinder wieder, und
ich bin geheilt!

Der Arzt.

Hör’ mich und nimm Vernunft zu Hilfe!
Nicht immer heilt man Gleiches nur mit
Gleichem,
Brandwunden linderst Du mit kühler Salbe;
Du weisst, die des Gesichts entrathen
Sie helfen sich mit Ohr und Hand;
Und bald, als Deine Frau Dir starb,
Vergassest Du sie um die Kinder?

Der Schmied.

Und nun sind auch die Kinder mir ge-
storben!

Der Arzt.

So höre doch! Kann ich zum Leben wecken,
Die von uns schieden?
Ich kannte Deine Kinder, habe nie
So liebe Kleinen noch gesehen.
Und dass sie Dich geliebt, das weiss ich,
In Leidensstunden sah ich sie,
Und hörte wie sie Vater riefen.

Mit Thränen in der Stimme! Väterchen,
Komm, Vater. Komm! Wir sterben.

Der Schmied.

Ach! Nach dem Vater riefen sie!
Was weisst Du noch? So sprich !
Sie litten schwer? Wie sahn sie aus?
Wer war am tapfersten?
Berichte alles! Auch das Kleinste
Ruf ins Gedächtnis Dir zum Leben!

Der Arzt.

Zuletzt, im Fieber, dem Ersticken nah —

Der Schmied.

Halt ein, zum Satan! Sie erstickten!
O Gott! Der Du sie mir erstickt,
Ich hasse Dich!

Der Arzt.

Bedeckten sie mit Küssen meine Hand
Und nannten Vater mich — — —
Zum erstenmal hört’ ich mich Vater rufen
Und als ich fühlte ihre heissen Lippen
Auf meiner harten Hand, die schnitt in
Menschenfleisch,
Empfand ich Deine Seligkeit, Dein Wehe

Der Schmied.

Du bist ein Mann von Herz, Du Doctor.

Der Arzt.

So ziemlich, ja!
Indessen kam ich da auf den Gedanken —
Und denken ist ja meine starke Seite —
So dacht’ ich denn:
Wie schön der Tod ist in der Jugend,
Bevor des Lebens Bosheit uns verderbte.

Der Schmied.

Ein altes Wort, und wohl so unwahr nicht.

Der Arzt.

Du bist ein Mann von Kopf, Du Schmied.

Der Schmied.

So ziemlich, ja!

Der Arzt.

Doch sollst ein lust’ger Kerl Du von Natur
Auch sein. So spricht man in der Zunft.

Der Schmied.

Ich war’s. Doch bin ich es nicht mehr.
Nun ist mein Frohsinn hin.
Der Baum, dem seine Wurzeln abgestorben,
Der welket ab!

Der Arzt.

Doch setzt die Zweige man ins Wasser,
schlägt er neue Wurzeln.

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 1, S. 3, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-03-01-01_n0003.html)