Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 2, S. 25

Die Schlüssel des Himmelreichs. (Zweiter Act) (Strindberg, August)

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Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 2, S. 25

Text

DIE SCHLÜSSEL DES HIMMELREICHS oder: SANCT PETERS
WANDERUNG AUF ERDEN.
Märchenspiel in fünf Acten von AUGUST STRINDBERG .
Autorisierte Übersetzung aus dem Schwedischen von ERICH HOLM.

(Den Bühnen gegenüber als Manuscript gedruckt.)

(Fortsetzung.)

Zweiter Act.

(Der Hof eines Gasthauses. Zur Linken und
Rechten von Baulichkeiten eingeschlossen, im
Hintergrunde von einer Mauer mit grossem
Einfahrtsthore begrenzt. Im Tracte rechts die
Schenke, links Kuh- und Pferdeställe, Wagen-
schuppen und dergleichen. In der Mitte des
Hofes ein Brunnen. Vor der Schenke ein paar
längliche Holztische mit Bänken.)

Erste Scene.

Der Schmied (und) Der Arzt (sitzen am Tische,
vor sich ein Schreibzeug und das Fremdenbuch).

Der Schmied (schreibt).

Hier denn mein Name, Stand etcetera,
Nun ist’s an Dir zu schreiben!

Der Arzt.

Schreib’ Du für mich, das ist ja ganz egal!

Der Schmied.

Wie heissest Du?

Der Arzt.

Anonymus.

Der Schmied.

Ein sonderbarer Name das! Dein Stand!

Der Arzt.

Mein Stand? Da könnt ich’ manchen
nennen! —
Sag’ Doctor!

Der Schmied.

Von wannen?

Der Arzt.

Vom Mutterleibe!

Der Schmied.

Dein Reiseziel?

Der Arzt.

Das Grab!

Der Schmied.

Stets mystisch!
Was bist Du, wunderlicher Mann, der
mein Geschick

In Deine Hand Du nahmst? — Was willst
Du mir?

Der Arzt.

Das sollst Du wissen, wenn Du fertig
worden!

Der Schmied.

Wann werd’ ich fertig denn?

Der Arzt.

Wenn Du, wie ich,
Dich selbst erkennen lerntest!

Der Schmied.

Dies selbst nur immer!
Was ist dies selbst, das Du beständig
predigst?

Der Arzt.

Das ist der feste Punkt, den Archimedes
suchte,
Von da er sich vermass, das Weltall zu
bewegen.
Das ist dein Selbst, das nie ein andres ist,
Dein Mittelpunkt in Deinem Horizont.

Der Schmied.

Wer bin ich denn?

Der Arzt.

Ein Bursche vorderhand
Von vierzig Jahr, versetzt mit Erz und
Schlacke,
Empfindlich wie ein Kind, und gleich
gestimmt zu Lust und Leid!
Gewiss, noch locken Dich des Lebens
schlichte Freuden:
Ein voller Tisch, ein schäumend’ Glas,
Ein Tanz mit Dirnen in dem Grünen

Die Wirtin
(mit einer Flasche Wein und zwei Gläsern).

Der Wein ist für die Herren, nicht? (Geht ab.)

Der Arzt (schenkt dem Schmied ein).

Das nicht, doch einerlei! —Trink Schmied!

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 2, S. 25, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-03-01-02_n0025.html)