Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 1, S. 15
Text
ΙΣΙΣ
Hinan die hohen Marmorstufen steigen
Der Priester zwölf in weissen Festtalaren;
Posaunen laden und die heilgen Geigen
Hin in den Vorhof der Geweihten Schaaren.
Der Dreifuss hebt sich hier dem Weltenschweigen,
Und was verborgen, wird sich offenbaren —
Der Rhythmus tönt uns in der Sterne Reigen
Gleich einem Rufen aus dem Unsichtbaren.
Wien. Felix Rappaport.
ÇAVITRI.
Deutsch von Richard Schaukal.
Nach Maha-Barrata, der Heldensage,
Hielt sich Çavitri aufrecht »wie ein Pfahl«
Drei Nächte lang, drei sonnenheisse Tage,
Weil sie gelobt, zu retten den Gemahl.
Es glühten Çurya’s Räder über ihr,
Und Tchandra kam, den Schlaf auf seinen Flügeln:
Ihr Herz blieb stark, vergeblich riss die Gier
Nach Ruhe an des Willens straffen Zügeln.
— Wenn Euch die Sehnsucht an der Seele zerrt,
Der Giftwahn des Vergessens lockend blüht,
Dann hüllet das verzärtelte Gemüth
In hartes Erz und seid Çavitri’s werth.
Paris. Paul Verlaine.
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 1, S. 15, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-01-01_n0015.html)