Text
In acht Tagen würde es Novemberregen werden.
Er blieb stehen und schaute in den Hof hinab; da wollte
der Milchwagen eben hinein — ein Knecht läutete.
Ein Weilchen später vernahm der Oberlehrer es vom
nächsten Hof her — vielleicht würde er es von noch einem
Hof hören können — dieselben dreimal — mit drei Schlägen
zum Schluss.
Er trank seinen Thee mit den vier Stückchen Zucker
darin, ass ein Ei und zwei Stückchen Weissbrot.
Dann ging er in die Wohnstube und liess die Thüre
hinter sich offen stehen.
Das Fenster stand halb offen, wie es auch sollte, vom
Abend, wenn er zu Bett ging; auch die Thür des Kachel-
ofens stand offen; um die Luft zu ventiliren — im Vorbei-
gehen stiess er sie mit dem Fusse zu. Das Fenster schloss
er — jetzt kam dort nur die feuchte, rauhe Luft hinein,
vermischt mit dem Gestank von der Strasse. Die Arbeits-
wagen rumpelten vorbei, durch das Gerassel vernahm er,
dass bei dem Materialwaarenhändler Eisenstangen abgeladen
wurden — einen Augenblick, da es gleichsam etwas still
wurde, schrie die Stimme einer Handelsfrau hindurch; er
kannte die Stimme. Im dritten Stock in dem grauen Hause
gerade gegenüber stand derselbe kleine Junge wie immer
im Fensterrahmen und bewegte den Kopf hin und her und
umklammerte die Stangen des Eisendrahtes, welcher vor den
Scheiben angebracht war.
Er ging zum Schreibtisch und fing an, die lateinischen
Uebersetzungen der Prima in ein graues Papier einzupacken.
Während er stand und damit beschäftigt war, den Bindfaden
herumzuschnüren, begann im Hof der Leiermann zu spielen
— das war der Donnerstagsmann — und dann war die Uhr
halb neun — der Mann kam das ganze Jahr hindurch.
Als er den Bindfaden herumgemacht hatte, ging er in
das Schlafzimmer zurück, um ihm seine fünf Oere herab-
zuwerfen.
Der Leiermann grüsste. Er musste ein wenig suchen,
ehe er das Geldstück im Schmutz fand, dann grüsste er
wieder zu dem Oberlehrer hinauf.
Es fiel von einem der Küchenfenster ein Geldstück herab.
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 7, S. 244, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-01-07_n0244.html)