Faksimile

Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 24, S. 943

Text

NOTIZEN.

Slevogt. Das erste Gefühl
beim Betreten des Saales ist ein
gewisses Erstaunen. Es gibt also
doch noch tapfere Männer in
Wien, denn Muth gehört ent-
schieden dazu, eine solche Aus-
stellung hier zu veranstalten, in der
Stadt Girardi’s und Lueger’s, der
Metropole des Gulyas und der
Gemütlichkeit. Das geringe Mass
von Interesse, das man hier Cultur-
fragen entgegenbringt, reicht gerade
für den üppig blühenden Coulissen-
klatsch hin, erstreckt sich aber
nicht auf solchen ausländischen
Import, der zum Denken verleiten
könnte. Jenseits der weltbedeuten-
den Bretter fängt gleich die grosse
Leere an, selten nur unterbrochen
von den harmlosen Darbietungen
unserer Künstlergenossenschaft, de-
ren zwölf auf ein Dutzend gehen.
Man kann es den Leuten übrigens
nicht verargen, wenn sie vor den
Bildern des Herrn Slevogt mit
derselben Unschuld dastehen wie
etwa unsere schwarzen Freunde
aus dem Thiergarten, und es ist
für diesen münchnerischen Skandi-
navier keine Empfehlung, dass
man zum Verständnisse seiner
Werke ziemlich viel Böcklin und
Thoma genossen haben muss, an
die man fortwährend erinnert wird.
Auf solche Verwendung fremder
Sprache sind Viele angewiesen,
bei denen die Instinctsicherheit
nicht mit der hochgradigen Ver-
feinerung des Intellects Hand in
Hand geht: daher der Mangel
eines einheitlichen Gepräges und

einer deutlichen Physiognomie.
Wir finden hier wieder einmal die
verzweifelten Versuche einer un-
leugbaren Individualität, sich mit
unzulänglichen Mitteln auszu-
drücken, wir treffen hier auf die
bekannten Requisiten aus der
Garderobe fast aller Richtungen
der letzten Jahrzehnte, auf längst
abgelegte Posen und höchst
fadenscheinig gewordene Ver-
zückungen. Neben einer an Besnard
gemahnenden Farbenorgie die
kahle Lichttechnik der Siebziger-
jahre und Rops’scher Satanismus
neben verstaubtester Romantik.
Auch die meisten seiner Farben-
probleme sind bereits früher und
besser gelöst worden, wie z. B.
der haarsträubend geschmacklose
»grüne Domino«; und wer jemals
im Luxembourg Eduard Manet’s
Olympia gesehen hat, weiss ziem-
lich genau, von wannen die Danaë
des Herrn Slevogt stammt. Im
Ganzen empfängt man von der
Sammlung einen peinlichen Ein-
druck; es ist, als hörte man auf
verstimmten Instrumenten eine
Beethoven’sche Symphonie spielen.
— Das Interessanteste im Saale
ist ein Blatt von T. T. Heine:
die Eifersucht. Voll raffinirtester
Grazie und Perversität, stammt es
aus den besten Zeiten dieses geist-
reichen Japaners, den ein Witz
des Schicksals in Deutschland zur
Welt kommen liess. Seither ist er
leider in der Plattheit socialisti-
scher Tendenzmalerei unterge-
gangen. f. r.

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 24, S. 943, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-02-24_n0943.html)