Text
Von Richard Schaukal (Wien).
Sie war wie der Frühlingswind, der von den hellgrünen Wald-
hängen kommt. Ihre manchmal smaragdgrünen, heute hellhellblauen Augen
leuchteten wie räthselhafte Steine unter den kindlich hochgezogenen,
feinen dunklen Brauen. Die Lider waren müde wie ein Traum im
Vorfrühling, wenn das Gras zu duften beginnt und die Vögel zögernd
ihr Hoffen singen, und die zarten, langen Wimpern waren wie die
weichen, dünnen Spitzen ganz junger schüchterner Blumenkronen,
dunkelblond wie Korn und an den Enden goldglänzend wie Sonnen-
strahlen, wenn die Sonne siegreich durch zerflatternde Dunstwolken
dringt. Aber ihr herb-abweisender, launisch-geschürzter und doch so
zärtlich-wünschender, blassrother Mund unter den hochmüthig-fragenden,
kurzen, steilen Nasenflügeln ruhte wie ein winziger welliger Falter,
den der Gruss einer seltenen hochstengeligen Blume lockte, und der
jetzt mit ausgebreiteten, kaum noch leise flatternden schmalen Flügeln
verlangend und eigentlich schämig in seinem Verlangen über dem ent-
gegenbebenden Kelche schwebt.
Sie ging mit der nachlässig-schlanken Geberde ihres hüftschmalen
geschmeidigen Körpers wie eine Prinzessin, die unter der Bürde einer
gebietenden Vergangenheit träumend sich nach Gänseblümchen am Weg-
saum bückt. Ihre dünnen, scheuen Kinderarme wiegten sich in dem
sanften Rhytmus ihres jungen Glückes wie im lauen Winde die glatten
Ranken des Epheus; und ihre ungepflegten, sonntagmüden Hände
waren wie vergleitende, leise Triller in dem unbewussten seligen Liede
ihrer unberührten Schönheit.
Weiss und schwach, gerade und wie erwartend standen Birken
am Waldsaum über dem trägen, breiten, gelben Flusse, und sie ging
auf dem Dammrain zwischen den hügeligen Grasflächen auf den Früh-
ling zu, der sie erwartete wie eine Braut, die unter die Gespielinnen
kommen soll, um ihr verschämtes Glück stumm und erröthend zu
zeigen. Es ist dieser blassen, in bangen, süssen Ahnungen zitternden
Braut, als müsste sie ihre beiden unruhigen Hände auf das laute, un-
gestüme Herz pressen, dass es nicht die weissen, flugbegehrenden
Flügel endlich entbreitet und jubelnd zum blauen Himmel steigt. Aber
sie weiss, sie darf nicht, sie muss stehen und unter den bewundernden,
unfassenden Blicken sich langsam auf den ungeduldigen Fersen drehen
vor den ehrfürchtig-neidischen Gespielinnen wie ein seltsamer, knospender
Baum, um den alle Vögel sind mit flüsterndem Zwitschern und neu-
gierigem Federsträuben. So erwartet sie der Birkenwald, die zarten
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 1, S. 8, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-01-01_n0008.html)