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Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 1, S. 7

Text

IM CAEÉ. 7

Er schlummerte schon hinüber.

Aber die Orgel klang unbekümmert weiter, noch lange Zeit, als
des Todten gebrochene Augen schon auf den prachtvollen, dunkelblauen
Himmel starrten.

Vis-à-vis drehten sich die Dienstmädchen, wie verzückt, im Walzer
»linksum«.

Ja, ja, das Leben ist ein Schauspiel, das man besser schon vor
Jahrtausenden hätte verbieten sollen. Dem unbekannten Regisseur —
übrigens ein bewunderungswürdig eigensinniger Kopf — müsste der
Process gemacht werden. Wenn man seiner habhaft werden könnte!
Vielleicht nützt es was, wenn man eine anständige Belohnung dafür
aussetzte.

, Witte, das ist es ja gerade, ich bin feige wenn Einem
Alles im Pulverdampf verschwindet leider dazu gehört doch
Courage und starke Nerven

Das Beste, was die Götter einem Menschen in die Wiege legen
können, ist doch der Leichtsinn, aber er muss eben der göttliche sein.
Von dem Plebejerleichtsinn, der Jemand etwa verleitet, silberne Löffel
zu stehlen, rede ich natürlich nicht. Ich meine die angeborene rosen-
rothe Brille, die Einem die Welt und den ganzen Trödel in ihr ewig
in dem gleichen zauberhaften Lichte sehen lässt. Der Teufel! Mir hat
man eine schwarze bescheert. Ist’s da ein Wunder, dass mir Alles zu-
wider ist?

Sie haben Recht, lieber Witte, Cyankali, Cyankali, das ist das
Wahre, das Beste, wenn die Zeit da ist, wenn uns die Sündfluth an
den Hals steigt.

Da sitzen die Leute hier und schwatzen und schwatzen, erklügeln
philosophische Systeme und vergessen in ihrem Biereifer die Zeit, bis
sie auf einmal merken, dass es Abend geworden ist, dass der rosen-
farbene Himmel über ihnen vergangen ist und anstatt dessen ein ein-
töniges Grau seine Nüchternheit niederträufelt, und ehe sie noch das
Maul aufsperren können, um sich wieder einmal zu wundern oder
wieder einmal eine Analyse anstellen zu können, sinken sie hin, wie
die Fliegen!

Das Menschenleben ist eine Melodie, der ich nur etwa das
wunderschöne »Margarethe, Mädchen ohnegleichen« zur Seite zu
stellen wüsste. Die Welt ist eben ein verstimmter Leierkasten. Kaum
lassen ein paar gute Töne eine vage Sehnsucht nach etwas Besserem
aufkommen, ah! dann zerreissen die verdammten Misstöne wieder das
schöne Gespinnst. Das Gescheiteste ist, man hält sich schleunigst die
Ohren zu und entweicht der Qual.

Er schwieg. Beide versanken in Brüten.

Ein gelangweilter Kellner kam daher und zündete lässig die Gas-
kronen an.

Da standen die beiden pessimistischen Fledermäuse verdrossen
auf und trollten sich.


Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 1, S. 7, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-01-01_n0007.html)