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Stämme, die stumm stehen und aus ungeschauten tausend Augen
blicken, weiss und schwach, gerade und mit verhaltenem Athemholen
der begehrenden Säfte. Es war still über dem Flusse. Die kurzen
Gräser standen steif. Die dicken, knorrigen Stämme um den Tennis-
platz schwiegen hoheitsvoll. Aber die Luft war erfüllt mit Weihe
und Duft.
Hinter dem Mädchen, gross und mit demüthig zögernden
Schritten ging Einer, dem zu Muthe war wie vor dem Feste, das ihn
würdigen soll. Er hielt seine Kappe in der Hand vor Scheu und
Liebe, und seine schwermüthigen Augen, in denen ein mühsames Ent-
sagen, die bange Schwüle einsamer, in stummem Hohn verzehrter
Jahre lag, folgten diesen leichten, unhörbaren Füssen wie im Traume.
Er wagte nicht zu reden, denn er wusste, seine reinen, huldigenden
Gedanken würden hässlich und welk als sterbende Worte von seinen
trockenen Lippen hallen. Seine langen, knochigen Finger an den
langen, nervösen Händen krampften sich wie in Qualen um die
Schäfte der beiden Tennisrakette. Er dehnte die weichen Nasenflügel
und presste die Zähne gegeneinander. Sein Gang aber war stockend,
wie in Unentschlossenheit, und sein Rücken trug wie unter der Bürde
eines verfehlten Lebens.
Seine Seele war bittend bis in seine verengte Kehle gestiegen,
er fühlte ihren mahnenden Vorwurf, er litt unter dem unwilligen Drange
seines Blutes, aber wie mit einer Erzfaust hielt er diese sehnsucht-
bleiche Seele nieder und schwankte in der Mühe dieses Zwanges.
Sie ging und dachte. Er las in ihren unschlüssigen Bewegungen
die Kämpfe ihrer Zweifel. Er wusste, sie dachte über seine Treue.
Wie ein Hund schlich er hinter ihrer trotzigen Liebe und den be-
rechtigten Zweifeln ihrer Vernunft.
Aber in ihm wallte wie von einem Opferherde der Dampf eines
rothlodernden Zornes gegen diese Vernunft.
Sie war ihm wie eine Elfe, die nicht mitkonnte im Südenfluge
ihrer Geschwister, und die er einst an rieselnder Waldquelle über-
rascht und starr vor Staunen über ihre keusche Schönheit gefunden
in der fröstelnden Müdigkeit ihrer weissen, gesenkten, verzichtenden
Schwingen, zierlich und ebenso erstaunt über sein plötzliches Ent-
decken.
Sie war ihm die Musik seiner geheimsten Gedichte, der aller-
schönsten, die ungesungen wie Schatten durch die hohen gewölbten
Gänge der einsamen Seele gehen, sie war ihm die silberne Gnade seiner
heiligen Nächte
Und sie war ihm die Qual seiner Entwürfe, seiner Eifersüchte
und zaudernden Entfernungen.
In ihr war sein Leben. Das wusste er. Sie hatte alle Schlüssel zu
einem neuen reichen Selbst in ihrer kleinen, weichen Hand.
Sie konnte Alles in ihm öffnen. Die verborgenen kostbaren
Wandschränke und schnörkelig geschnitzten Truhen seiner Eigenart
konnte sie erschliessen, sie wusste die Worte zu seinen Fragen an das
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 1, S. 9, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-01-01_n0009.html)